Viele Leute glauben, dass jedes Wort eine bestimmte Bedeutung hat. Weil das nicht so ist, müssen wir, wenn wir Semantik betreiben, die Bedeutungen der Wörter aus dem Kontext erschliessen.
Der Kontext ist beim Wort ‹Piano› eigentlich schnell klar, er ist meistens ein musikalischer. In der klassischen Musik sind italienische Wörter angesagt, weil Italien einst das Hochland der Musik war, und Wörter wie «Andante›, ‹Sonate›, ‹Tutti› und ‹Coda› zeugen davon. So auch das ‹Pianoforte›, das Instrument, das leise (ital: piano) und laut (ital: forte) spielen kann, im Gegensatz zum Cembalo, aus dem heraus es sich entwickelt hat. Von ‹Pianoforte› hat sich der Name dann zum ‹Piano›, dem ‹Leisen›, abgeschliffen. Genauso wie das Violoncello (die kleine Violone) zum Cello (dem «Kleinen») wurde. Das Piano heisst auf Deutsch auch Klavier. Dieses Wort kommt von Clave, dem Schlüssel. Mit Schlüssel sind die Tasten gemeint. Auf Englisch gibt es digitale Pianos, d.h. Keyboards, also Schlüsselbretter. Der ‹Flügel› ist kein Vogelflügel und auch kein Engelsflügel, sondern ein grosses Klavier, oder Englisch ‹Grand Piano›. Die Orgel wiederum heisst in England Organ, also gleich wie ein Organ, wie z.B. die Leber.
Die Instrumente haben es auch sonst in sich. Die ‹Violine› ist – mit dem ‹-ine› die Verkleinerung einer ‹Viola›. Die Viola ist das Geigeninstrument, das in Altlage spielt. Sie heisst auch Bratsche, was von Arm (ital: braccio) kommt, da die Bratsche mit dem Arm gehalten wird. Im Gegensatz zu den Gamben, die auf den Beinen (ital: gambas) stehend gespielt werden. Aber auch die Violine, die ‹kleine Viola›, die keine Bratsche (Altlage) ist, wird mit dem Arm gehalten. Neben der Violine (Sopranlage) gibt es auch die Geige in Basslage, die Violone, die auch Kontrabass (engl. double bass) oder Bassgeige heisst, und von der das Cello (Violoncello) die kleine Schwester ist. Cello und Bassgeige werden zwischen die Beine gestellt, sind also keine Bratschen. Sie sind aber auch keine Gamben. Gamben sind nämlich keine Geigen, obwohl ebenfalls Streichinstrumente. Sie haben aber eine etwas andere Form, einen etwas anderen Klang und Bünde, wie die Gitarren.
Die Vorläufer der Gitarren sind die Lauten, ebenfalls Saiteninstrumente, die im Gegensatz zu den Geigen aber gezupft und nicht gestrichen werden. Obwohl ihr Name darauf hindeuten könnte, dass sie laut spielen, sind sie in der Tat eher leise. Der Name hat auch gar nichts mit der Lautstärke zu tun (im Gegensatz zum Pianoforte), sondern kommt aus dem Arabischen. Dort heissen die Lauten ‹Ud›, mit Artikel ‹Al Ud› (männlich). In Europa heisst sich das ‹Al Ud› zu ‹La Ud› geschlechtsgewandelt und wir haben die Laute.
Der Stamm ‹Ud› im Wort Laute bedeutet ursprünglich Holz. Die Laute ist also ‹das Holz›, genauso wie Trompeten und Posaunen im Orchester ‹das Blech› genannt werden. Die Streicher im Symfonieorchester sind aber nicht ‹das Holz›, obwohl sie aus Holz sind, sondern ‹die Streicher›. ‹Das Holz›, das sind die Holzbläser, also die Flöten und Oboen. Bei den Oboen steckt das auch im Wort: Oboe = haut bois = hohes Holz. Die Querflöten sind heute aus Metall, gelten aber weiterhin als Holzblasinstrumente. Ebenso die Saxophone, obwohl sie schon immer aus Blech sind. Die Hörner sind in der klassischen Musik Blechblasinstrumente aus Metall, mit Nähe zur Jagd. Im Jazz hingegen sind auch die Saxophone Hörner (horns).
Die Welt der Wörter und ihrer Bedeutungen ist voll von Widersprüchen. Simple Logik führt uns schnell in die Irre. Um computergängige Semantik zu betreiben, muss man sich auf einiges gefasst machen 😉
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