Archiv der Kategorie: Drei-Welten-Theorie

Resonanz und Tonleitern

Im Gespräch mit informierten Musikern, höre ich von Ihnen oft, dass die Musiktheorie Tonleitern bereits perfekt erklärt, und zwar über die Obertonreihe. Diese jahrhundertealte Vorstellung ist nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig.

Nun ist die Obertonreihe selber zwar keine Tonleiter, doch die Theoretiker wenden mathematische Tricks an, um von der Obertonreihe doch noch unser Dur und Moll abzuleiten. Ich empfinde diese Tricks als kompliziert und willkürlich. Zudem fehlt eine physikalische Begründung für die nötigen Rechenschritte. Viel einfacher, stimmiger und physikalisch begründet ist die Erklärung nicht über die Obertonreihe, sondern über die Resonanz.

Wie die Resonanz physikalisch hinter den Tonleitern steht, erkläre ich in dieser Zusammenstellung:
–>  Resonanz als Begründung der Tonleitern

Mathematik und Physik

«A mathematician may say anything he pleases, but a physicist must be at least partially sane»
(Josiah Williard Gibbs)

«Ein Mathematiker kann sich irgendetwas ausdenken und es innerhalb der Mathematik beweisen. Ob es in der Realität funktioniert, zeigt die Realität.»
(hrs)


Ich mag Mathematik

Ich mag Mathematik. Darin unterscheide ich mich von den meisten meiner Freunde; die meisten wollen möglichst nichts mit Mathematik zu tun haben. Das hat nichts mit der Intelligenz meiner Freunde zu tun – vielmehr bestreiten sie, dass Mathematik für sie persönlich hilfreich sein könnte.

Das ist das eine Lager, quasi das Hauptlager der Menschheit. Im Gegenlager finden sich die Menschen, welche glauben, dass die ganze Welt aus nichts als aus Mathematik besteht. Wenn wir nur die Axiome – z.B. der Mengenlehre – akzeptieren, könnten wir daraus die ganze Welt aufbauen.

Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich gestehe, dass ich mich weder zum einen noch zum anderen Lager zähle. Mathematik ist ein unglaublich scharfes Werkzeug und ermöglicht tiefe Erkenntnisse über das Funktionieren unserer Welt. Gleichzeitig ist Mathematik prinzipiell von ihrem Wesen her beschränkt, so kräftig und überzeugend sie in ihrem ureigenen Bereich auch ist.

Die spannende Frage für mich ist: Wie ordnet sich die Mathematik in die Realität ein?


Abgeschlossenes System

Eine charakteristische Eigenheit der mathematischen Welt ist, dass abgeschlossene Systeme untersucht werden, z.B. die Menge der natürlichen Zahlen. Abgeschlossene Systeme können konsequent und logisch untersucht werden, und die gewonnen Aussagen sind deshalb sehr sicher wahr – für das untersuchte System.

Obwohl die Menge der natürlichen Zahlen unendlich ist, ist sie doch abgeschlossen, insofern, als die Grenzen klar sind: für jede Zahl kann ausgesagt werden, ob sie zur Menge gehört oder nicht: 25399275933184 z.B. gehört dazu, nicht aber 1/2, π oder -1 .

Vorteil Mathematik: Die Abgeschlossenheit mathematischer Systeme ist die Basis für die Sicherheit der Aussagen. Weil das System geschlossen ist, können (fast! ← Gödel) alle Aussagen klar auf ihren Wahrheitswert überprüft werden.

Nachteil Mathematik: Die Aussagen gelten aber nur für das geschlossene System. Die reale Welt ist immer offen.

Konsequenz: Mathematische Systeme beschreiben eindrücklich das Verhalten physikalischer Objekte und Systeme. Allerdings sind letztere stets offen. Das stellt uns vor die Aufgabe, die Wahl des passenden mathematischen System sehr sorgfältig zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Wahl und Anpassung des mathematischen System erfolgen logischerweise stets ausserhalb des mathematischen Systems.


Abstraktion

Mathematik ist platonisch; d.h. die Elemente der Mathematik sind ausserhalb von Raum und Zeit. Nur so können sie ‹ewig› gültig sein.

Physik hingegen beschäftigt sich mit Objekten, die sich innerhalb von Raum und Zeit befinden.

Die Abstraktion (Mathematik) ist immer einfacher als die Verhältnisse (Physik), auf die sie sich bezieht.

Vorteil Mathematik: Mathematische Wahrheiten sind zeit- und ortsunabhängig. Die Wahrheit (Widerspruchsfreiheit) kann innerhalb des Systems (meistens! ← Gödel) bewiesen werden. Sobald eine mathematische Wahrheit einmal mathematisch korrekt  erkannt ist, erübrigen sich weitere Diskussionen über ihren Wahrheitswert.

Nachteil Mathematik: Mathematische Aussagen gelten nur innerhalb der Mathematik, d.h. innerhalb der Abstraktion. Gelten sie auch ausserhalb, d.h. in der Realität? Diese Frage kann nicht innerhalb der Mathematik abschliessend beantwortet werden. – Weshalb nicht? Antwort: Die Korrektheit der Schlüsse gilt nur innerhalb der Abstraktion, doch ist die Abstraktion auf die Realität anwendbar? Diese Frage kann eben nicht innerhalb der Mathematik beantwortet werden, da sie die Abstraktion prinzipiell überschreitet.


Die hilfreiche Mathematik und ihre Grenze

Abb 1:Abstraktion und geschlossenes System
(IPT = Interpretationstheorie)

Die Physik versucht, ihren Stoff in eine mathematische Form zu bringen. Dabei ist sie höchst erfolgreich, was nicht nur für die Leistung der Physiker, sondern auch für die Eignung, Raffinesse und Kohärenz der mathematischen Modelle spricht.

Doch die entscheidende Frage kann nur in der Realität, d.h. von der Physik beantwortet werden, nämlich:

Ist die Abstraktion korrekt, d.h. ist das – immer vereinfachte! – mathematische Modell auch anwendbar? – Diese Frage kann nur ausserhalb von der Mathematik beantwortet werden.


Wie unsere Tonleitern entstanden sind

Tonleitern

Als Amateurpianist interessiert mich das Thema Tonleitern seit langem:
  • Es gibt eine Vielfalt von Tausenden von unterschiedlichen Tonleitern
  • Alle diese Tonleitern gehen über genau eine Oktave – weshalb?
  • Was haben die verschiedenen Tonleitern sonst noch gemeinsam?
  • Und weshalb?
  • Und worin unterscheiden sie sich?
  • Gibt es eine Logik darin?
Als Informatiker interessiert mich die Struktur innerhalb der Tonleitern. Die Mathematik hinter den Tonleitertönen besteht offensichtlich aus einfachen Brüchen:
  • Lässt sich diese einfache Mathematik aus der Physik herleiten? Wenn ja, wie?
  • Lassen sich auch unsere subjektiven Empfindungen mit dieser einfachen Mathematik vereinbaren?
  • Wenn ja, wie?

Das Erstaunliche ist: Diese scheinbar rhetorischen Fragen habern alle ganz klare Antworten.

–> Mehr zur Herkunft unserer Tonleitern

Drei Welten

Zum Thema des Ursprungs der Tonleitern bin ich über die Drei-Welten-Theorie von Roger Penrose gelangt, als ein Anwendungsbeispiel für seine drei Welten:

  • die platonische = mathematische,
  • die physikalische und
  • die mentale = subjektive Welt.

Die Tonleitern erwiesen sich bei meiner Untersuchung als überraschend einleuchtendes Beispiel für das Zusammenspiel der drei Welten.

–> Penroses Drei-Welten-Theorie

Resonanz

Die zweite Überraschung war für mich die ganz entscheidende Rolle – nicht der Obertöne wie in der gängigen Literatur, sondern der Resonanz zwischen den Frequenzen. Die Resonanz lässt sich

  • einfach physikalisch begründen (physikalische Welt),
  • einfach als Bruch darstellen und für die weiteren Überlegungen verwenden (mathematische Welt)
  • und erklärt einleuchtend die Intervalle innerhalt der Tonleitern und ihre Beziehungen (mentale Welt)

Als weitere Überraschung zeigte sich, dass das Phänomen der Resonanz Musik und Quantenphysik verbindet. Die Verbindung ist einfach und offensichtlich. Resonanzphänomene sind überall.

–> Die Rolle der Resonanz

Mentale Welt

Was ist die mentale Welt?

Die mentale Welt ist die Welt in unserem Kopf. Es ist die Weise, wie wir die Welt wahrnehmen, sie umfasst unsere Empfindungen, Gefühle und Gedanken. Es ist eine ganz subjektive Welt.

In der Drei-Welten-Theorie ist die mentale Welt die dritte neben der physikalischen und die platonischen.

Unterschied zur physikalischen Welt

Während die physikalische Welt objektiv fassbar ist, bleibt die mentale subjektiv.

Mit anderen Worten: Während wir die Gegenstände der physikalischen Welt von aussen beobachten können, ist dies mit den Gegenständen der mentalen Welt nicht möglich.

Beispiel Farbe

Objektiv (physikalisch) sind die Farben messbar als Wellenlängen von Lichtwellen. So hat z.B. gelb oder blau eine bestimmte Wellenlänge, die in Nanometern objektiv messbar ist. Was wir wahrnehmen ist allerdings nicht die Wellenlänge. Wir haben einen subjektiven Eindruck von Gelb oder Blau, der zwar durch das physikalische Phänomen der Lichtwelle ausgelöst wird, doch was wir empfinden ist nicht die Wellenlänge, sondern ein ganz subjektiver Eindruck von gelber oder grüner Farbe. So nehmen wir z.B. grün als eine bestimmte Farbe wahr, die einem bestimmten Wellenlänge entspricht. Wie wir aus dem Zeichnungsunterricht wissen, kann das Grün aber aus blau und gelb gemischt werden. Das heisst, was auf unser Auge physikalisch eintrifft, ist eine Kombination von Photonen mit ‹blauer› und ‹gelber› Wellenlänge. Wir nehmen aber nicht diese beiden objektiv vorhandenen Wellenlängen wahr, sondern wir eimpfinden die Kombination als Grün, also als eine ganz andere Wellenlänge. Dieser subjektive Eindruck wird in der Literatur ‹Qualia‹ genannt.


Existiert die mentale Welt wirklich?

Oder ist sie einfach eine Auswirkung (Emanation) der physikalischen Welt? Viele Leute glauben dies. Der subjektive Eindruck, den wir empfinden, wird im Gehirn durch die elektrische Ströme erzeugt, die die Photonen auf unserer Netzhaut auslösen. In diesem Sinn existiert die mentale Welt nicht wirklich, sondern ist eine Emanation der physikalischen Welt, eine blosse Auswirkung der Physik, die uns die Farbempfindung vortäuscht.

Am anderen Ende des Spektrums stehen die Solipsisten und die radikalen Konstruktivisten wie Ernst von Glasersfeld. Für Solipsisten ist die mentale Welt – also ihre eigene Vorstellung – die einzige Welt, die sicher existiert. Alles andere kann eine Täuschung sein, ein Traum, nur die eigene Vorstellung ist sicher.

Wir haben also zwei Extreme

a) Physikalisten: Nur die physikalische Welt e xistiert, die mentale Welt wird völlig durch die physikalische konstruiert.

b) Solipsisten: Nur die mentale Welt existiert, sie täuscht uns die Existenz einer physikalischen Aussenwelt vor.

Interessanter als diese beiden Extreme sind die Meinungen dazwischen. Roger Penrose z.B. plädiert mit seiner Drei-Welten-Theorie dafür, keine der drei Welten als nicht-existierend auszuschliessen. Es geht ihm vielmehr darum, die Beziehungen der drei Welten zu klären.

Koexistenz

Dies ist auch meine Haltung: Obwohl es plausibel erscheint, die mentalen Empfindungen und Vorgänge als reine Auswirkungen der physikalsichen Welt zu sehen, erscheint es mir sinnvoll, die mentale Welt als eigene Welt anzusehen. Nicht weil sie nicht aus der physikalischen emaniert sein könnte, sondern weil sie auf diese Weise besser beschrieben werden kann. Um auf das Beispiel der Farben zurückzukommen: Es ist für das menschliche Verhalten irrelevant, ob grün mit seiner korrekten eigenen Wellenlänge oder mit einer Kombination von gelben und blauen Wellenlängen erzeugt wird, ich sehe immer die gleiche Farbe und verhalte mich auch entsprechend. Die Beschreibung des menschlichen Denkens, Empfindens und Verhaltens wird einfacher und gleichzeitig präziser, wenn wir die Vorgänge in der mentalen Welt direkt angehen. Dies ist möglich, aber nur von innen, wenn ich mir die Gedanken, Farben etc. der mentalen Welt selber vorstelle.

Auch eine Kommunikation über mentale Gegenstände (Gedanken, Farben etc.) ist möglich, setzt aber ebenfalls eine subjektiven Erfahrungsgrundlage voraus, diesmal eine, welche die Kommunikationsteilnehmer auf ähnliche Weise erlebt haben.


Wo spielt die mentale Welt eine Rolle?

Überall, wo es im innere Wahrnehmungen und Vorgänge geht, sind wir in der mentalen Welt.

Folgende Gebiete lassen sich kaum beschreiben, ohne die Existenz der mentalen Welt zu akzeptieren:

  • Psychologie
  • Kultur
  • Werte, Moral
  • Politik
  • Kunst

Die mentale Welt ist somit nicht ganz irrelevant.

Semantik

In meinem eigenen Gebiet, der Semantik, ist eine klare Trennlinie zwischen der objektiven und der subjektiven Welt erkennbar. Während Wörter und Sätze Teil der objektiven Welt sind, sind die Begriffe, also die Bedeutungen der Wörter, und die Gedanken, die mit den Sätzen ausgedrückt werden, Teil der subjektiven, d.h. der mentalen Welt.


Dies ist ein Beitrag zur Drei-Welten-Theorie.

Was ist Resonanz?


Die physikalische Basis der Resonanz

Resonanz basiert auf den Eigenschwingungen von physikalischen Medien und ihrer gegenseitigen Koppelung.


Koppelung der Eigenschwingungen von physikalischen Objekten

Die Eigenschwingungen sind stehende Wellen, deren Frequenz von den Eigenschaften des physikalischen Mediums (Grösse, Form, Material, etc. ) bestimmt wird.

Zwei solche Medien können über ihre Eigenschwingung in eine  Resonanz treten. Die Resonanz entsteht durch eine Koppelung der beiden Eigenschwingungen, sodass die beiden physikalischen Medien in ihrem Schwingungsverhalten eine gekoppelte Einheit bilden.

Die Koppelung erfolgt über einen physikalischen Energieaustausch, sei es direkt oder indirekt, z.B. über die Luft. Bedingung für das Entstehen der Koppelung ist, dass die Frequenzen der Eigenschwingungen der beiden beteiligten physikalischen Medien in einem dafür geeigneten mathematischen Verhältnis stehen.

Stabilität der Resonanz über die Zeit

Sobald der Resonanzzustand eingetreten ist, bleibt er eine gewisse Zeitspanne stabil, d.h. der gekoppelte Schwingungszustand bleibt stationär, oft über eine längere Zeit. Dieses erstaunliche Verhalten hat mit den Energieverhältnissen zu tun, die bei der Koppelung besonders energiegünstig sind.


Resonante Eigenschwingungen

Auch die Eigenschwingung eines einzelnen physikalischen Objekts kann als Resonanz bezeichnet werden. So weist z.B. ein Elektron um den Atomkern eine Resonanz mit sich selber auf und kann dadurch nur ganz bestimmte Umlauffrequenzen annehmen, die es ihm erlauben, auf seiner Umlaufbahn mit sich selber resonant zu sein. Das Gleiche gilt für das Schwingungsverhalten einer Saite.


Resonanz als Abstraktion

Das physikalische Material bestimmt zwar die Eigenfrequenz der beteiligten schwingenden Medien, doch der Rest, d.h. das Entstehen der gekoppelten Resonanz, ergibt sich aus dem geeigneten Verhältnis der beiden Frequenzen. Dieses Frequenzverhältnis folgt mathematischen Regeln. Eine verblüffend einfache Mathematik reicht aus, zu erkennen, wie stark die Resonanz zwischen den beiden schwingenden physikalischen Medien sein wird.


Drei Welten, nach Roger Penrose

Die Entstehung der Resonanz zeigt eindrücklich das Zusammenspiel von zwei der drei Welten, die gemäss Nobelpreisträger Penrose unsere Realität bilden, nämlich der physikalischen und der platonischen. Letzerer Begriff bezeichnet die abstrakte Welt der Ideen, zu der die Mathematik gehört. Mit der Verwendung des Begriffs ‹platonisch› für die Welt der Mathematik verweist Sir Penrose auf die europäische Kulturgeschichte, hier gehört die Diskussion um die Wirklichkeit und Wirksamkeit von Ideen nicht nur zur Philosophie von Platon, sondern bestimmte auch im Mittelalter als Universaliendisput grosse Teile des philosophischen Diskurses. Die Frage hat seither nichts an Relevanz verloren: Wie real sind Ideen? Warum setzt sich Abstraktes in der materiellen Welt durch? Wie ist das Verhältnis von abstrakter Idee und konkreter, d.h. physikalischer Welt?

Ich dachte vor gut einem Jahr, dass das Entstehen der Resonanz in der Musik ein gutes Beispiel wäre, um das Verhältnis von Physik, Mathematik und der dritten Welt, unserem subjektiven Empfinden zu erkunden. Ich war überrascht, wie verblüffend klar der Bezug der drei Welten hier dargestellt werden kann und wie verblüffend einfach, logisch und weitreichend die Mathematik in den Harmonien unserer Musik ist.


Resonanz in der Musik

In einem Musikstück ändern die entstehenden Resonanzen zwischen den Tönen immer wieder und bieten so einen faszinierenden Farbwechsel. Wir können ihn intuitiv erleben, aber auch rational erklären, eben als ein Spiel der Resonanzen unter den Tönen.

Nur die Obertonreihe?

In der Schule habe ich gelernt, dass die Obertonreihe unsere Tonleitern bestimmt. Doch das ist eine grobe Vereinfachung. Das Phänomen der Resonanz kann unsere Tonleitern viel einfacher und direkter erklären als es die Obertonreihe kann. Die Obertonreihe beschreibt das Schwingungsverhalten nämlich nur innerhalb eines physikalischen Medium – die in der Musik interessierende Resonanz entsteht jedoch immer zwischen mindestens zwei verschiedenen Medien (Tönen). Für die Resonanzüberlegungen von zwei Tönen müssen wir konsequenterweise auch zwei Obertonreihen vergleichen. Erst das Nebeneinanderlegen der beiden Reihen erklärt das Geschehen – ein Fakt, der in den Lehrbüchern meist übergangen wird.

Akkorde bestehen aus drei oder mehr Tönen. Auch hier kann die Resonanzanalyse der drei oder mehr beteiligten Töne die Akkordwirkung verblüffend einfach erklären. Nur müssen diesmal nicht die Frequenzen von zwei, sondern von mehreren Tönen gleichzeitig berücksichtigt werden.

Reine und temperierte Stimmung

In Europa hat sich im Barock die gleichmässig temperierte Stimmung durchgesetzt, welche die kompositorischen Möglichkeiten vielfältig erweitert. Das erste, was der Laie zur Theorie der Tonleitern findet, ist deshalb eine genaue Beschreibung der Abweichungen der temperierten von der reinen Stimmung – doch diese Abweichungen sind für die Entstehung von Resonanzen nur von marginaler Bedeutung. Die reine Stimmung ist keine Bedingung für Resonanz, die hier vorgestellte Mathematik der Resonanz erklärt das Phänomen präzis auch bei temperierter Stimmung.


Dies ist ein Beitrag zur Drei-Welten-Theorie nach Penrose und der Herkunft der Tonleitern.

Was bringt die gleichstufige Temperierung?

Die temperierte Stimmung hat sich in der unserer abendländischen Musikkultur durchgesetzt – trotz des offensichtlichen Nachteils, dass ihre Intervalle nicht mehr rein sind. Das war nur möglich, weil gewichtige Vorteile den Makel der Unreinheit wettgemacht haben:

1. Eine einzige Stimmung reicht für alle Tonarten: der Grundton ist frei wählbar.

Im Prinzip muss bei der reinen Stimmung für jede Tonart und jeden Grundton neu gestimmt werden. Bei einem Cembalo sind das einige Saiten und bei einer Orgel ist das wirklich eine grosse Aufgabe in Anbetracht der vielen Register und Pfeifen. Je weiter die Tonarten voneinander entfernt sind – d.h. je mehr Kreuze und B’s Sie haben – umso schlimmer wird die Verstimmung. Das ändert sich bei der gleichstufig temperierten Stimmung. Sie ist zwar nie ganz rein, doch auch nie so verstimmt wie eine entfernte Tonart. Mit der gleichstufigen Temperierung kann ohne Neustimmen sofort in jeder Tonart gespielt werden. Orgeln, Streicher und Bläser, alle Instrumente können jetzt in allen Tonarten miteinander zusammenspielen.

2. Freies Modulieren

Dieser Vorteil ist besonders offensichtlich und wirkungsvoll. Im gleichen Musikstück können wir nun – ganz ohne Pause und Neustimmen – von einer Tonart beliebig in eine beliebige andere wechseln (modulieren). Mit der reinen Stimmung ist das nur ganz begrenzt für eng verwandte Tonarten möglich. Mit der gleichstufigen Temperierung gibt es für das Modulieren jedoch keine Grenzen mehr.

3. «Geschenkte» Tonarten: 

Mit den sieben Töne der Dur-Tonleiter kann nicht nur Dur gespielt werden. Auf den weissen Tasten des Klaviers können Sie alle Kirchentonarten spielen werden, je nachdem welchern der sieben Töne Sie als Grundton wählen:

C: Ionisch = Dur
D: Dorisch
E: Phrygisch
F: Lydisch
G: Mixolydisch
A: Äolisch
H: Lokrisch

Die C-Dur Tonleiter besteht aus einem bestimmten Wechsel von Ganztönen und Halbtönen. Wenn Sie auf einem anderen Ton als C beginnen, erhalten Sie ein anderes Muster der Ganz- und Halbtöne. Mit den gleichen sieben Tönen können Sie somit je nach Ausgangspunkt sieben in ihrem Muster von Ganz- und Halbtönen verschiedene und damit auch in ihrem Charakter sehr unterschiedliche Tonleitern spielen. Das geht aber nur wenn jeder Ganzton und jeder Halbton jeweils immer gleich gross ist – bei der reinen Stimmung ist das wie gezeigt genau nicht der Fall, bei der gleichstufigen Temperierung aber per definitionem so. Deshalb entstehen aus jeder Heptatonik in der gleichstufigen Temperierung automatisch sieben in ihrem Charakter sehr unterschiedliche Heptatoniken.

Das gleiche gilt für die Pentatoniken: Wenn Sie z.B. auf dem Klavier nur die schwarzen Tasten drücken, spielen Sie automatisch pentatonisch (Penta = Fünf → fünf schwarze Tasten). Je nachdem, welchen Ton Sie als Grundton wählen, spielen Sie eine andere Pentatonik, z.B. die Durpentatonik (mit Fis als Grundton) oder die Mollpentatonik (mit Es als Grundton).

Dieses Prinzip gilt nicht nur für die weissen und schwarzen Tasten, sondern auch für weitere Tonleitern, z.B. das «melodisch Moll» im Jazz. Es handelt sich wie bei Dur und den Kirchentonarten um eine Selektion von sieben Tönen, also eine Heptatonik, allerdings in Abständen, die nicht allein mit den weissen Tasten gespielt werden können. Aber auch bei den «melodisch-Moll» Tonleitern können wir mit einer Auswahl von sieben Tönen sieben charakterlich und funktional sehr unterschiedliche Tonleitern spielen, je nachdem, welchen der sieben Töne wir als Grundton wählen.

4. Polytonalität

Dieses Stilmittel entstand im 20. Jahrhundert mit Strawinsky und anderen Komponisten und ist auch im modernen Jazz gebräuchlich. Dabei werden mehrere Tonarten gemischt, in der Praxis sind es meist zwei (=Bitonalität). Das erscheint auf den ersten Blick etwas gewagt, klingt aber unter entsprechender Beachtung der Resonanzen (!) – durchaus eingängig.


Fazit aus Sicht der Drei-Welten-Theorie

Die mathematische Reinheit (platonische Welt) der Intervallresonanzen wird durch die Temperierung verletzt, aber so minimal, dass die resultierenden Schwingungsphänomene (physikalische Welt) sich trotzdem einstellen und das Hörerlebnis (mentale Welt) kaum geschmälert wird.

Andererseits werden aber durch das freie Modulieren die Kombinationsmöglichkeiten der insgesamt immer noch nur zwölf Töne gewaltig erweitert. Diese mathematische Erweiterung (platonische Welt) ist hörbar und spannend (mentale Welt). Durch die minimale Unreinheit gewinnt die Musik an Varianten und Reichtum.


Dies ist ein Beitrag zum Thema Drei-Welten-Theorie.

Weshalb Resonanz auch bei Unschärfe funktioniert

Wann entsteht Resonanz?

Resonanz zwischen zwei physikalischen Medien hängt vom Frequenzverhältnis ihrer Eigenschwingungen ab. Wenn die beiden Frequenzen einen einfachen Bruch bilden, z.B. 2/1 oder 3/2, kann Resonanz entstehen. In einem früheren Beitrag  habe ich dargestellt, wie die zehn einfachste Frequenzverhältnisse mathematisch zwingend genau zu den zehn Tönen führen, die in unseren Tonleitern vorkommen, seien es Dur, die verschiedene Molltonleitern, Kirchentonarten, Durpentatonik, Mollpentatonik, Bluestonleiter etc..

Reine und temperierte Stimmung

Funktioniert die Resonanz aber auch in der gleichstufig temperierten Stimmung? Im Beitrag zur gleichstufigen Stimmung haben wir gesehen, wie sich die beiden Stimmungen unterscheiden. Abb. 1 zeigt die die reine Stimmung in blau – d.h. die zehn resonantesten Intervalle, plus die beiden Füller Cis und Fis – und darunter die zwölf Intervalle der gleichstufig temperierten Stimmung in rot.

Abb 1: reine (blau) und gleichmässig temperierte Stimmung (rot), bei Grundton C (logarithmischer Darstellung)

Offensichtlich weichen die Frequenzverhältnisse der temperierten Stimmung von derjenigen der reinen Stimmung ab und entsprechen somit nicht mehr den einfachen Frequenzverhältnissen, welche ursprünglich zu unseren reinen Tonleitern geführt haben. Trotzdem funktioniert die unreine Stimmung und wir hören und unterscheiden kleine und grosse Terzen, Quinten und Sexten, obwohl sie gar nicht mehr rein sind. Sind die temperierten, also unreinen Intervalle dabei weiterhin resonant?

Die Antwort ist ein eindeutiges Ja.

Weshalb die unreine Stimmung trotzdem resonant ist

Abb 2. zeigt die Resonanz, abhängig, von der Frequenzrelation und der Dämpfung. Je grösser die Dämpfung ist, umso kleiner ist die Resonanz, ganz unabhängig von den Frequenzverhältnissen.

Interessant aber ist, wie die Frequenzverhältnisse – in Abb. 2 auf der Horizontalen von 0.0 bis 3.0 eingezeichnet – auf die Resonanzentstehung wirken. Am stärksten ist die Resonanz bei 1.0, also dann, wenn die beiden Medien, das anregende und das angeregte, die identische Frequenz haben. Doch auch wenn das Frequenzverhältnis nicht genau 1 ist, entsteht Resonanz. Dies ist der Grund, weshalb wir auch die temperierte Stimmung als resonant erleben.

Abb. 2: Resonanz in Abhängigkeit von der Präzision der Frequenzverhältnisse [Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Resonanz (1.8.2021)] Graphikautor:  https://commons.wikimedia.org/wiki/User:Geek3]

Die temperierte Stimmung mit ihren nicht ganz genauen Brüchen führt, wie in Abb. 2 ersichtlich ist, trotzdem zu Resonanzen zwischen den Intervallen, wenn auch zu etwas schwächeren. Weil wir praktisch nur Musik hören, die auf der temperierten Stimmung basiert, haben wir uns zudem daran gewöhnt. Reine Stimmung kann nur von Stimmen und Instrumenten erklingen, welche die Tonhöhen beliebig ändern können. Auf Tasteninstrumenten geht das nicht. Reine Streicherensembles oder unbegleitete Sänger aber können rein musizieren, und gute Ensembles tun das auch.

Zusätzliche Effekte der temperierten Stimmung

Der Hauptnutzen der Temperierung liegt in einer gewaltigen Erweiterung der kompositorischen Möglichkeiten.

Es gibt aber weitere zusätzliche Effekte: Die leichte «Verstimmung» der Intervalle führt zu Interferenzen (Schwebungen). Die Resonanz kann dabei ab- und anschwellen. Die Reibung von zwei unreinen gestimmten Töne kann einen dritten entstehen lassen, der sich den beiden anderen überlagert. Solche Effekte können auch bewusst bei der reinen Stimmung gesucht werden, indem der Sänger oder Instrumentalist die Tonhöhe leicht verschiebt und damit einen bewussten musikalischen Effekt erreicht, mit dem er spielen kann.

Auf diese Effekte möchte ich aber nicht weiter eingehen. Auch nicht auf die sehr interessanten Effekte, welche Klavierstimmer beachten müssen, wie z.B. das sogenannte Strecken über den GesamttonverlaufDas Stimmen z.B. eines Klaviers ist muss nämlich mehrere Ziele gleichzeitig beachten. Auch dabei wirken die die drei Welten gleichzeitig: Die Mathematik der reinen Zahlen, die Physik der realen Klaviersaiten und unser subjektiver Eindruck.

Aus zwei Gründen führe ich diese Überlegungen hier aber nicht weiter. Erstens sind die genannten akustischen Phänomene sehr gut beschreiben und zweitens von Fachleuten, die sich darauf spezialisiert haben und wesentlich mehr darüber wissen als ein Informatiker und Amateurmusiker wie ich. Für mich ist die gleichstufige Temperierung einfach eine geniale und praktische Erfindung, die ich sehr gerne akzeptiere, weil sie die harmonischen Möglichkeiten der Musik deutlich erweitert.

Ich setze deshalb diese Serie mit den Erweiterungen der kompositorischen Möglichkeiten fort, die sich durch die gleichstufige Temperierung ergeben.


Dies ist ein Beitrag zum Thema Drei-Welten-Theorie.

Die gleichstufige Temperierung

Ausgangswunsch: Wechsel des Grundtons während eines Musikstücks

Im Vorbeitrag haben wir gesehen, dass eine reine Stimmung beim Wechsel des Grundtons nicht mehr rein ist, da sich gewisse Intervalle verändern. Je entfernter die Tonart ist, umso mehr Töne stimmen nicht mehr mit den errechneten, d.h. resonanten Tonhöhen überein..

Wenn nun die die Frequenzen der Tonleitertöne ganz leicht verschoben – d.h. temperiert – werden, dann kann auch in benachbarte Tonarten gewechselt, d.h. moduliert werden. Bei der gleichstufig temperierten Stimmung sind sogar Wechsel zu jedem beliebigen Grundton möglich und diese Stimmung hat sich seit dem Barock in Europa  erfolgreich durchgesetzt.

Wie die gleichstufige Temperierung funktioniert

In Abb. 1 sehen sie die resonanten, d.h. reinen Intervalle zwischen einem Grundton und seiner Oktave.

Abb. 1: Resonante Intervalle über dem Grundton C in logarithmischer Darstellung

In der obenstehenden Abbildung habe ich mit Cis und Fis auch die indirekt resonanten Töne aufgenommen und somit die Lücken im Band der zehn meistresonanten Intervalle geschlossen. In Abbildung 1 fällt auf, dass die zwölf Töne zwar nicht regelmässig, doch annähernd gleichmässig über die Oktave verteilt sind. Könnte man das musikalisch ausnützen?

Abb. 2: Reine (blau) und gleichstufige (rot) Verteilung der 12 Tonleitertöne 

Abbildung 2 zeigt den Vergleich einer natürlichen, d.h. reinen Verteilung der Tonleitertöne mit einer völlig gleichmässigen. Wie Sie sehen, sind die Abstände zwar sichtbar, doch auch nicht allzu gross. Die unregelmässigen, reinen Töne werden leicht verschoben und wir erhalten so eine völlig gleichmässige Verteilung der Töne. Diese leicht verschobene, aber dafür regelmässige Stimmung wird gleichstufig temperierte Stimmung genannt.

Weil die Abstände der zwölf Töne exakt gleich sind, ist es egal, auf welchem Grundton wir die Tonleitern aufbauen:

C-Dur:  C – D – E – F – G – A – H – C

Es-Dur: Es – F – G – As – B – C – D – Es

Die relativen Abstände zwischen den einzelnen Tönen sind – wie Sie leicht überprüfen können – bei den temperierten Frequenzen nun genau gleich, egal ob in C-Dur, Es-Dur oder irgend einer anderen Tonart.

Die gleichstufig temperierte Stimmung ist eine radikale Lösung und als solche der Endpunkt einer historischen Entwicklung über mehrere Zwischenlösungen (Werckmeister-Stimmung u.v.a.). Diese historische Entwicklung und die Details der praktischen Ausführung sind im Internet und in der Literatur ausführlich dokumentier und für Interessierte leicht auffindbar. Was uns hier interessiert sind hingegen zwei ganz andere Fragen:

  1. Weshalb funktioniert die Temperierung, obwohl wir dann für die Resonanzen keine genauen Brüche mehr vorfinden?
  2. Was sind die kompositorischen Konsequenzen?

Mehr dazu in den folgenden Beiträgen


Dies ist ein Beitrag zum Thema der Drei-Welten-Theorie.

Wie die temperierte Stimmung entstand

Tonleitern vor der Temperierung

Natürliche Tonleitern

Die Tonleitern der menschlichen Kulturen haben sich über die Jahrtausende auf natürliche Weise, d.h. ganz ohne bewusste mathematische Überlegungen entwickelt. Dass trotzdem sehr viel Mathematik dahinter steckt, hat mit den Resonanzen der Tonleitertöne zum Grundton zu tun. Diese Resonanzen sind für uns attraktiv und Musik, die auf solchen Resonanzen beruht, hat die Fähigkeit, menschliche Gemeinschaften zusammen zu bringen.

Mathematisch kann die Resonanz auf Brüche mit möglichst kleinen ganzen Zahlen zurückgeführt werden und wir konnten rechnerisch ableiten, welche neun Intervalle die deutlichsten Resonanzen aufweisen müssen. Nicht zufällig bestehen alle global verbreiteten Tonleitern – d.h. die Standardpentatoniken, unser Dur und unser Moll, die Kirchentonarten und viele mehr – ausschliesslich aus einer Auswahl von fünf, bzw. sieben aus diesen neun Tönen.

Der Grundton und die Spannung

Ebenfalls in allen Kulturen beobachtbar und für uns gar nicht anders vorstellbar ist die Tatsache, dass alle Tonleitern eine klar definierte Basis, d.h. einen Grundton haben, auf den sich die anderen Töne immer beziehen. Dies ist der Grundton, zu dem jeder Tonleiterton seine Resonanz aufbaut, je stärker sie ist, umso ruhiger wirkt der Ton neben dem Grundton, aber auch innerhalb der Melodie. Andererseits, je höher die Zahlen in den Brüchen, d.h. je schlechter die Resonanz zum Grundton ist, umso schärfer und gespannter erscheint uns der Melodieton. Der schärfste Ton in der Dur-Tonleiter ist die grosse Sept (z.B. H in C-Dur), die einen Halbton unter Oktave liegt. Dieser Ton trägt die stärkste Spannung von allen Tönen in der Durtonleiter, er verlangt nach seiner Auflösung auf die Oktave und führt so die Melodie von Spannung zu Entspannung. Diese Spannung ist nur möglich, weil der Grundton hör- oder unhörbar mitschwingt und die Resonanz zu ihm gespannt ist.

Dies alles aber hat noch nichts mit der Temperierung zu tun und funktioniert in reinem Dur.

Weshalb wurden die Tonleitern temperiert?

Zwei Masstäbe: linear und exponentiell

Temperierung bedeutet, dass die Frequenz der Tonleitertöne leicht verändert, vermindert oder erhöht – d.h. temperiert – wird. Dabei werden die Resonanzen auf den ersten Blick leicht abgeschwächt, trotzdem hat sich in der europäischen Musikkultur die Temperierung als selbstverständlich durchgesetzt.

Um die Temperierung zu verstehen, ist es hilfreich zu erkennen, dass wir Intervalle mit zwei verschiedenen Masstäben messen: ein Masstab ist linear, der andere verhält sich exponentiell. Eine genaue Erklärung der Gründe und Konsequenzen der zwei Masstäbe finden sie hier. Vereinfacht gesagt geht es darum, dass alle Intervalle relativ sind. Wenn ich also eine Tonleiter von C aus aufbaue, sind die Tonleitertöne auf dieses C ausgerichtet, wenn ich einen anderen Grundton wähle, z.B. das D, dann ist das E von C ein anderes als das E von D.

Beispiel für diese Relativität der Masstäbe

In C-Dur ist der Ton E eine grosse Terz über dem Grundton C, die Frequenz des E beträgt 5/4 des Grundtons C. Ein Ton D ist eine grosse Sekunde über dem C und hat somit 9/8 der Frequenz des C. Wenn wir nun dieses D (=9/8) zum Grundton wählen, dann kommt in D-Dur ebenfalls E vor, aber diesmal als grosse Sekunde. Der entscheidende Punkt ist, dass dieses E nicht genau gleich hoch ist wie das E vorher von C-Dur:

Tonalität / Tonart Frequenz bezüglich Tonleitergrundton Frequenz bezüglich
C-Dur
Funktion des Tons in C-Dur, bzw. D-Dur
C-Dur C = 1 1 Grundton
D = 9/8 9/8 grosse Sekunde
E = 5/4 5/4 grosse Terz
D-Dur D = 1 9/8 Grundton
E = 9/8 9/8 x 9/8 = 81/64 grosse Sekunde

Tabelle 1: Relativität der Frequenzen bezüglich Grundton

In Tabelle 1 sehen Sie, dass das scheinbar gleiche E in den beiden Tonleitern verschiedene Tonhöhen hat:

E in C-Dur = 5/4        = 1.25
E in D-Dur = 81/64 = 1.266

Wenn ich eine Saite auf das E für C-Dur stimme, dann stimmt die Saite nicht ganz mit dem erwarteten E in D-Dur überein. Der Unterschied ist nicht gross, doch messbar und für feine Ohren durchaus hörbar.

Die reine Stimmung funktioniert nur für einen definierten Grundton. 

Sobald der Grundton wechselt, sind alle Tonleitertöne relativ zum neuen Grundton in Resonanz und die Tonhöhen der früheren Tonart stimmen nicht mehr alle ganz. Grund dafür sind wie dargestellt die doppelten Masstäbe für Intervalle, einmal linear (Hörempfindung) und einmal exponentiell (physikalische Frequenzen).

Die drei Welten

Wieder geht es um die drei Welten nach Penrose: Die Hörempfindung findet in der mentalen Welt statt, die Frequenzen sind Teil der physikalischen Welt und die ideale Welt ist diejenige der Mathematik der ganzzahligen Brüche. Alle drei Welten spielen bei der Musik auf höchst interessante Weise zusammen.

Ziel der Temperierung

Bei der Temperierung geht es nun darum, dass der Grundton frei gewechselt werden kann, ohne dass die von früher bekannten resonanten Tonleitern aufgegeben werden müssen. Es handelt sich um einen genial gewählten Kompromiss, der wirklich beide Ziele vereinen kann.

Historische Entwicklung

Die Faszination für resonante Akustik ist typisch für alle menschliche Kulturen. So entstanden die hochresonanten Tonleitern, die Standardpentatoniken und die Durtonleiter, verschiedene Molltonleitern und die in den gregorianischen Chorälen häufig verwendete dorische Tonleiter. Die Musik, die früher mit diesen Tonleitern gespielt wurde, hatte immer eine konstante Tonalität, d.h. einen Grundton, der nicht geändert wird, solange die Melodie erklingt.  Alle Töne der Melodie vergleichen sich mit dem Grundton und die Tatsache, wie stark der Melodie mit dem Grundton in Resonanz steht, zeigt die Spannung an, welche die Melodie beim jeweiligen Ton hat.

Mehrstimmige Instrumente aus früheren Kulturepochen haben zur Unterstützung der Grundtöne oft zusätzliche Saiten (Bordunsaiten) oder Pfeifen (Dudelsack), deren Tonhöhe nicht verändert werden kann, damit genau diese Spannung des Melodietons zum Grundton hervorgehoben wird. Während die Töne der Melodie variieren, erklingt der Grundton (Bordunton) durch das ganze Stück durch und gibt einen soliden Boden.

In Europa jedoch setzten sich in der Renaissance gewisse Neuerungen durch. So begann man den Grundton während des Stücks zu wechseln. Das erlaubt eine grössere Vielfalt in der Musik. Solange die Tonarten miteinander verwandt waren, entstanden nur geringe Frequenzabweichungen, bei wirklich eng verwandten Tonarten betrafen sie auch nur einen Ton. Je weiter die Tonarten aber voneinander entfernt waren, umso schwieriger wurde es. So klang es z.B. sehr unschön, wenn versucht wurde auf einer Orgel, die in C gestimmt war, in Fis-Dur zu spielen. Nun begann in Europa eine Periode der verschiedensten Versuche mit leicht veränderten (=temperierten) Stimmungen, welche die Unvereinbarkeit der Grundtonverschiebung mit der Reinheit der Intervalle in verschiedenen Kompromissen zu überbrücken versuchten. Letztlich durchgesetzt hat sich im Spätbarock die gleichstufige (gleichschwebende) Temperierung, die einen wirklich überzeugenden Kompromiss darstellt und die reiche Entwicklung der Harmonik in Klassik und modernen Jazz erst möglich gemacht hat.

Mehr dazu im nächsten Beitrag


Dies ist ein Beitrag zum Thema Drei-Welten-Theorie.

 

Zwei schlechter resonante Intervalle für die Lücken

Ausgangslage: Zwei Lücken

Im Vorbeitrag haben wir erkannt, dass in der Reihe der bisher gefundenen zehn Tonleitertönen zwei Lücken bestehen. Können wir dort auch resonante Töne finden? Folgendes wissen wir bereits:

  • Wir kennen bereits die zehn «resonantesten» Intervalle in der Oktave.
  • Mit diesen zehn Intervallen können die fünf Standard-Pentatoniken, und unser Dur und Moll gebildet werden. Dort stören die Lücken also nicht, nur in der Anordnung aller zehn potentiellen Tonleitertöne fallen sie auf.
  • Intervalle kommen nicht allein, weder in einem Akkord, noch in einer Melodie. Wenn wir also ein resonantes Intervall haben, können wir darauf ein zweites ansetzen (addieren) und das resultierende Summenintervall berechnen. Oder wir betrachten den Abstand zwischen zwei Intervallen, und rechnen dazu den Abstand zwischen den beiden Intervallen aus, zählen also das eine vom anderen ab (=Subtraktion).
  • Wegen des exponentiellen Verlaufs der Frequenzen und gegen unsere intuitive Erwartung müssen wir für das Aneinanderfügen der Intervallen ihre Frequenzverhältnisse aber nicht addieren, sondern multiplizieren, und für den Abstand dürfen wir nicht abzählen, sondern müssen dividieren.

Weil wir schon alle resonanten Intervalle innerhalb der Oktave gefunden haben, können wir für die beiden Lücken keine hochresonanten Intervalle mehr erwarten. Doch obwohl die Intervalle im Erfolgsfall zwar nicht mehr so resonant sind, was ihre Resonanz zum Grundton betrifft, sie können sie doch direkte und dadurch sehr resonante Bezüge zu anderen Tonleitertönen haben. Das macht sie im musikalischen Verbund je nach Situation ebenfalls resonanzmässig interessant.

Hier meine Versuche, Töne für die Lücken zu füllen. Zur Illustration zeige ich zu Beginn nochmals die Anordnung der zehn bestresonanten Intervalle aus dem Vorbeitrag:

Abb. 1: Anordnung der zehn resonanten Tonleitertöne in einer Oktave (logarithmische Darstellung)

Die kleinen Sekunden

Für die erste Lücke finden wir keine gute Resonanz zum Grundton, rein rechnerisch haben die Brüche dort viel zu hohe Zähler und Nenner. Der gesuchte Ton darf nur ganz wenig höher sein als der Grundton, das Intervall muss also sehr klein sein. Dazu untersuchen wir als Kandidaten die Abstände zwischen zwei Intervallen, die nahe beieinander liegen. Wir finden so:

Oktave – grosse Sept  = 2 : 15/8 = 16/15 = 1.067
Quart – grosse Terz = 4/3 : 5/4 = 16/15 = 1.067
Kleine Sext – Quint = 8/5 : 3/2 = 16/15 = 1.067
Kleine Terz – grosse Sekunde = 6/5 : 9/8 = 48/45 = 16/15 = 1.067
Grosse Terz – kleine Terz = 5/4 : 6/5 = 25/24 = 1.042
Grosse Sept – kleine Sept = 15/8 : 9/5 = 75/72 = 25/24 = 1.042
Grosse Sext – kleine Sext = 5/3 : 8/5 = 25/24 = 1.042
Kleine Sept – grosse Sext = 9/5 : 5/3 = 27/25 = 1.08

Wir finden so mehrere Intervalle, welche die Bedingungen erfüllen und in die erste Lücke passen. Wie Sie sehen, sind die Intervalle sehr klein, d.h. nur wenig grösser als 1. Mit unserer Methode tauchen immer wieder die gleichen Intervalle auf, insgesamt sind es drei, die sich aus je zwei bekannten und resonanten Intervallen herleiten lassen:

  • 16/15 = 1.042
    – grosse Terz – kleine Terz
    – grosse Sext – kleine Sext
    – grosse Sept – kleine Sept
  • 25/24 = 1.067
    – kleine Terz – grosse Sekunde
    – kleine Sext – Quint
    – Quart – grosse Terz
    – Oktave – grosse Sept
  • 27/25 = 1.08
    – kleine Sept – grosse Sext.

Diese drei Intervalle klingen alle recht scharf. Wir nennen sie kleine Sekunden. In reiner Stimmung gibt es mindestens drei davon.

Die Tritoni

Die zweite Lücke findet sich genau in der Mitte der Tonleiter. Wir versuchen nun, mit Kombination von zwei bekannten resonanten Intervallen diese Lücke zu treffen:

Grosse Sept – Quart = 15/8 : 4/3 = 45/32 = 1.406
Kleine Sept – grosse Terz = 9/5 : 5/4 = 36/25 = 1.44
Grosse Sext – kleine Terz = 5/3 : 6/5 = 25/18 = 1.389
Oktave + kleine Terz – grosse Sext = 2 x 6/5 : 5/3 = 12/5 : 5/3 = 36/25 = 1.44

Wieder erhalten wir drei Intervalle, die nahe beieinander sind:

  • 25/18 = 1.389
  • 45/32 = 1.406
  • 36/25 = 1.440

Einfügung der kleinen Sekunden und Tritoni in die Reihe der Tonleitertöne

Unsere bisherigen Berechnungen betreffen die Frequenzverhältnisse. Diese müssen wir, wie im Vorbeitrag erklärt, logarithmisch umwandeln, damit ihre Abstände dem entsprechen, was wir in unserer mentalen Welt wahrnehmen. In logarithmischer Darstellung (auf Basis 2) erhalten wir folgende Verteilung:

Abb. 2: Drei kleine Sekunden («Halbtöne») und drei Tritoni füllen die Lücken von Abb. 1

Wir sehen zwar, dass die Vorschläge die Lücken jeweils gut füllen, doch für jede Lücke haben wir drei Vorschläge! Welcher ist jetzt der beste? Wir könnten für den mit den kleinsten Zahlen in Zähler und Nenner argumentieren oder für den mit der grössten Häufigkeit unter den Varianten oder den mit dem engsten Bezug zu einer bereits bekannten Tonleiter.  Doch wir schieben die Frage mit gutem Grund bis zur Behandlung der temperierten Stimmung auf.


Dies ist ein Beitrag aus der Serie über die Tonleitern in der Drei-Welten-Theorie

Anordnung der Töne innerhalb der Oktave

Die zehn resonantesten Töne innerhalb der Oktave

Wir untersuchen in dieser Textserie die Tonleitern unter dem Aspekt der drei Welten. Alle drei Welten sind mitbeteiligt, wie wir das z.B. gesehen haben bei der Beantwortung der Frage, weshalb die Tonleitern aller Musikkulturen immer genau eine Oktave abdecken. Nur mathematisch oder physikalisch lässt sich das nicht erklären. Unter Hinzunahme der dritten Welt, nämlich unserer mentalen Welt, wird die Bedeutung der Oktave einleuchtend.

Auch die Auswahl der in der Tonleiter verwendeten Töne  wird über das Phänomen der Resonanz von allen drei Welten bestimmt, wie wir in den Vorbeiträgen gesehen haben. Schauen wir jetzt an, wie die zehn resonantesten Töne im Verlauf der Tonleiter-Oktave angeordnet sind. Wir werden dabei sehen, dass es in der Anordnung Lücken gibt, und uns dann überlegen, welche Konsequenzen wir daraus ziehen können.

Hier also nochmals die 10 Töne. (In Tabelle 1 sind zwar 11 aufgeführt, aber der Grundton und die Oktave zählen als ein Ton, da die Oktave sowohl der höchste Ton der aktuellen, als auch gleichzeitig der Grundton der nächsthöheren Oktave ist, in der sich die Tonleiter ja wiederholt).

Tab. 1: Der Grundton und die zehn resonantesten Intervalle in einer Oktave 

In Tabelle 1 finden sich in der mittleren Spalte die Brüche, welche das Verhältnis des Tonleitertons zum Grundton angeben, bei der Quinte z.B. beträgt die Frequenz das 3/2-fache der Grundfrequenz. Ganz rechts habe ich diese Brüche als Dezimalzahlen angegeben, damit man sie besser vergleichen kann. Die Zahlen bewegen sich selbstverständlich zwischen 1 (Grundton) und 2 (Oktave).

Anordnung der zehn Töne

Um zu sehen, wie sich die zehn Töne innerhalb der Oktave verteilen, nehmen wir die Frequenzen der Töne und vergleichen sie mit der Frequenz des Grundtons. Dies Frequenzverhältnisse finden sich in Tabelle 1 in der rechten Spalte. Diese Zahlen habe ich in die Abbildung 1 übertragen und Sie sehen, wie sich die Frequenzverhältnisse linear anordnen.

So sieht die Anordnung der Intervalle von Tabelle 1 aus:

Abb. 1: Frequenzverhältnisse der potentiellen Tonleitertöne (Tab. 1) in linearer Darstellung. Die Intervalle sind hier von C aus gedacht, d.h. C = Grundton.

In Abb. 1 fällt sofort auf, wie unregelmässig die Anordnung ist. Die Verteilung weist vier grössere Lücken auf, nämlich zwischen C-D, F-G, A-B und H-C. Subjektiv wirkt die Verteilung auch nicht masstabsgetreu, z.B. ist der Abstand zwischen dem Grundton und der Quart (C-F) viel kleiner als der zwischen der Quint und der Oktave (G-C). Wir empfinden aber beide Intervalle als die gleichen, nämlich als zwei Quarten, denn auch zwischen G und C ist der Abstand eine Quarte, genau wie zwischen C und F. Trotzdem ist es von G zu C in Abbildung 1 viel weiter als von C zu F. Weshalb entspricht der wahrgenommene Abstand nicht dem wirklichen Frequenzverhältnis? – Die Antwort liegt wieder im exponentiellen Verlauf der Frequenzen (physikalische Welt), der nicht unserer linearen Empfindung (mentale Welt) entspricht. Wir müssen deshalb die Frequenzen logarithmisch notieren und kommen so zu einer Darstellung, die unserer subjektiven Wahrnehmung entspricht:

Abb. 2: Frequenzverhältnisse der Abb. 1 in einer logarithmischen Darstellung.

Wir sehen, dass in Abb. 2 die Abstände unserer subjektiven Empfindung masstabsgetreuer entsprechen. So ist im Gegensatz zu Abb. 1 z.B. zwischen C und F der gleiche Abstand wie zwischen G und C, was wir als zutreffend empfinden, nämlich beidesmal als eine Quarte. Auch die anderen Abstände entsprechen unserer Empfindung.

Weiterhin sieht die Anordnung jedoch unregelmässig aus und es bestehen Lücken. Diese haben sich nun aber ebenfalls verschoben. Die Lücke C-D ist grösser geworden, während H-C kleiner geworden ist. Wirklich auffällig sind die beiden Lücken C-D und F-G. Können wir da etwas tun? Es geht wieder um die mentale Welt. Wir empfinden die Lücken wirklich. Können wir wieder unsere Resonanzüberlegungen zu Hilfe ziehen, um die Lücken zu füllen? Im nächsten Beitrag erkläre ich wie das geht.

Wir können nämlich Intervalle auch kombinieren. Das kombinierte Intervall weist dann auch noch eine gewisse Resonanz auf, diese ist jedoch meist schwächer als bei den beiden Ausgangsintervallen. Deshalb sind diese Intervalle in den Tonleitern etwas weniger beliebt. Mehr in der Fortsetzung.


Dies ist ein Beitrag zur Serie über die Drei-Welten-Theorie.

Reine und unreine Stimmung

Die zwei auseinanderstrebenden Ideale einer Theorie

Musiktheorie bewegt sich wie jede Theorie zwischen zwei Extremen. Einerseits erlaubt es eine Theorie, ganz verschiedene Beobachtungen zusammenzufassen und auf einfache Art zu erklären – je einfacher umso besser. Andererseits wollen wir die Erklärung aber auch anwenden, und zwar auf möglichst alles, was wir beobachten. Eine Theorie ist also dann gut, wenn sie möglichst einfach ist, andererseits aber auch möglichst alles erklärt.

Diese beiden Extremziele jeder guten Theorie gleichzeitig zu erfüllen ist die Herausforderung.

Typisch ist der Moment, wo bei der Anwendung der Theorie plötzlich eine Beobachtung auftaucht, die mit der Theorie nicht vereinbar ist. Solche Beobachtungen stürzen die Theorie in eine Krise, z.B. als Max Planck unerklärliche Unregelmässigkeiten in der Schwarzkörperstrahlung feststellte und so die Quantentheorie einleitete oder als Kurt Gödel  mit der Beobachtung einer Lücke in der Logik der Mengen (Unvollständigkeitssatz 1931) sowohl die Mengenlehre als auch die klassische Logik in eine schwere Krise stürzte.

Jede Theorie funktioniert solange gut, bis sie an ihre Grenzen kommt. Dann tauchen plötzlich Lücken auf.

Stimmt die reine Stimmung überhaupt?

Nun, die Krise, von der ich hier spreche, ist etwas älter als die von Max Planck und Kurt Gödel ausgelösten. Sie hat auch schon lange eine sehr praktische Lösung gefunden. Es handelte sich um eine Krise in der Musiktheorie, und die gefundene Lösung ist die gleichstufig temperierte Stimmung. Dies ist die Art, wie wir heute Musikinstrumente stimmen, aber es ist keine Selbstverständlichkeit.

Wie kam es dazu? Schon lange war bekannt, dass mathematische Gesetzmässigkeiten hinter den Intervallen stecken, die wir als wohlklingend empfinden. Tonleitern mit diesen durch einfache Brüche definierten Intervallen gelten als rein, auch unser Dur (ionisch) und alle anderen Kirchentonarten sind perfekt rein, sofern die Intervalle entsprechend den einfachen Brüchen gestimmt werden. Dann sind sie «rein».

Das funktioniert aber nur, wenn man in der gleichen Tonalität bleibt, d.h. wenn die Musik nicht den Grundton wechselt, d.h. nicht moduliert. In der Renaissance aber kamen die Komponisten zunehmend in Aufbruchstimmung und begannen zu modulieren, indem sie den Grundton (die Tonalität),  innerhalb des gleichen Musikstücks wechselten. Dabei wurden die Grenzen der reinen (=pythagoräischen) Stimmung evident.

Die Lücke im pythagoreischen Tonsystem

Als ich das erste Mal vom pythagoreischen Komma hörte, war ich sehr überrascht. Unser perfektes Tonsystem sollte eine – wenn auch klitzekleine – Lücke in der mathematisch perfekten Anordnung haben? Das Tonsystem besteht – wie jeder Blick auf eine Klaviertastatur zeigt – aus zwölf Halbtönen. Wenn ich die Halbtöne einen nach dem anderen nach oben gehe, kommt nach sieben Halbtönen die Quint und nach zwölf die Oktave. Wenn ich also zwölf Quinten (=12×7 Halbtöne) hochgehe, bin ich mathematisch gesehen am gleichen Ort, wie wenn ich sieben Oktaven (=7×12) hochgehe, nicht wahr?

Soweit die Mathematik, die mir als Kind sehr eingeleuchtet hat und ich war erstaunt, dass es nicht so sein sollte. In Wirklichkeit kommt man nach zwölf Quinten nämlich zu einem etwas höheren Ton als nach sieben Oktaven. 12×7 ist in diesem Fall nicht 7×12. Dieser Unterschied ist das pythagoreische Komma.

Woher kommt es? Die Ursache liegt – wie so oft – in einem unerwarteten exponentiellen Wachstum. Im Beitrag zum pythagoreischen Komma erkläre ich, wie und weshalb diese Lücke im pythagoreischen Tonsystem entsteht.


Dies ist ein Beitrag zur Drei-Welten-Theorie.

Wie entsteht das pythagoreische Komma?

Das pythagoreische Komma

Das pythagoreische Komma zeigt, dass unser Tonsystem nicht perfekt stimmt, sondern eine Lücke hat, deren Form und Ursache ich in diesem Beitrag beschreibe.   Das Komma ist sowohl für unsere Musikpraxis relevant, auf die es ganz konkrete Auswirkungen hat, als auch erkenntnistheoretisch, da es typisch ist für die Probleme, die wir beim Zusammenspiel unserer drei Welten (nach Penrose) beobachten. Es ist in diesem Sinn nicht nur für Musiker ein relevantes Thema, sondern auch für philosophisch interessierte Menschen, die sich fragen, wie Mathematik (ideale Welt), Physik (physikalische Welt) und unser Erleben (mentale Welt) zusammenhängen.

Als erstes erkläre ich hier, weshalb es zu diesem Komma kommt.


Intervalle addieren

Was geschieht, wenn wir zwei Intervalle, z.B. eine Quint und eine Quart addieren? Wir werden sehen, dass eine solche Addition in den einen Fällen perfekt funktioniert, in anderen aber zu Problemen führt. Hier liegt der Ursprung des Kommas, aber auch der temperierten Stimmung. Weshalb entstehen hier überhaupt Probleme? Darauf möchte ich jetzt eingehen, auf die Ursachen, später aber auch auf die Lösung des Problems.

Addieren heisst für Intervalle Multiplizieren

Können wir Intervalle einfach so addieren? Das Problem dabei ist, dass wir die Intervalle linear empfinden, die Frequenzen aber nicht linear ansteigen, sondern exponentiell.

Abb. 1: Exponentieller Anstieg der Frequenzen

Zwischen dem Ton A (110Hz) und dem Ton a (220 Hz) besteht ein Abstand von 110 Hz. Dieser Abstand entspricht einer Oktave – aber nur dort! Wenn wir nun den Abstand von Ton a zu Ton a' messen, was wieder einer Oktave entspricht, bekommen wir aber nicht 110 Hz sondern 220 Hz. Und von a' zu a" sind es bereits 880 Hz. Die Frequenzen verhalten sich eben nicht linear, sondern exponentiell, wie in Abb. 1 dargestellt.

Hier liegt nun die Ursache des Problems, das europäische Musiker dazu geführt hat, verschiedene temperierte Stimmungen auszutesten, wobei sich letztlich die gleichmässig temperierte Stimmung durchgesetzt hat.

Wenn wir Intervalle addieren, müssen wir also ihre Frequenzverhältnisse multiplizieren, wenn wir sie abzählen, müssen wir sie dividieren. Die Operationen verschieben sich von Addition/Subtraktion zu Multiplikation/Division. Diese Art Verschiebung ist den Mathematikern bestens bekannt. Vor den Taschenrechnern und Computern benutzten Techniker sogenannte Logarithmentabellen und Rechenschieber, die auf genau dieser Verschiebung basieren. Ebenso kommt der Effekt bei der kombinatorischen Explosion zu tragen oder beim Verlauf von Epidemien.


Beispiele für Intervall-Additionen

Was uns bei Intervallbetrachtungen immer interessiert, ist das Zahlenverhältnis der Frequenzen der beiden Töne des Intervalls: also der Bruch zwischen der Frequenz des höheren geteilt durch die Frequenz des tieferen Tons: X = f2/f1. Dieser Bruch bestimmt das Intervall, das wir wahrnehmen.

Oktave und Oktave

Siehe Abb. 1: Wir addieren zwei Oktaven, z.B. A-a und a-a'.

Die erste Oktave (A-a) misst 220/110 = 2
Die zweite Oktave (a-a') misst 440/220 = 2
Die beiden Oktaven zusammen ergeben 2×2 = 4

Die Multiplikation ist hier korrekt, denn a' ist 4 mal so schnell wie A (440Hz / 110Hz). Zwei Oktaven führen also zu einer Vervierfachung der Grundfrequenz.

Quinte und Quarte

Die Quinte entspricht einer Frequenzbeschleunigung auf 3/2
Die Quarte einer Beschleunigung auf 4/3

Quinte und Quarte zusammen ergeben 3/2 * 4/3 = 12/6 = 2

2 entspricht einer Oktave. Somit ergeben eine Quinte und Quarte zusammen rechnerisch genau eine Oktave. Auch hier entspricht die Mathematik unseren Hör-Erwartungen.

Weitere Additionen zu einer Oktave

Kleine Terz plus grosse Sext = 6/5 * 5/3 = 30 /15 = 2
Grosse Terz plus kleine Sext = 5/4 * 8/5 = 40 /20 = 2

Über die Oktave hinaus

Zwei Quinten: 3/2 * 3/2 = 9/4 = 2.25

2.25 ist grösser als 2, wir haben also den Bereich der Oktave verlassen. Wo sind wir gelandet? Bei einer None. Eine None ist eine Oktave plus eine grosse Sekunde. Geht das auf? Wir rechnen:

Oktave plus grosse Sekunde = 2 * 9/8 = 18/8 = 9/4 = 2.25
Ja! Es funktioniert. Wenn wir zwei Intervalle addieren, müssen wir ihre Brüche multiplizieren.


Subtraktion wird Division

Es geht natürlich auch umgekehrt, wir können ein Intervall von einem anderen abziehen. Dann müssen wir dividieren:

Eine Oktave weniger eine Quinte = 2 : 3/2 = 4/3 = eine Quart
Eine Quinte weniger eine Quart = 3/2 : 4/3 = 9/8 = eine grosse Sekunde.


Warum funktionieren diese Rechnungen?

Ich war überrascht, zu sehen, dass trotz der Verschiebung der Rechenoperationen die Rechnungen genau die Resultate liefern, die ein Musiker erwartet. Wie kann das sein? Eine Multiplikation ist doch etwas ganz anderes als eine Addition. Weshalb können wir trotzdem so rechnen?

Der Grund liegt darin, dass unzählige musikalische Menschen über viele Jahrtausende ein Tonsystem entwickelt haben, das genau das erlaubt. Dass die Rechnungen so perfekt aufgehen, ist nämlich keine Selbstverständlichkeit und es ist auch nicht immer so, wie wir gleich sehen werden. In den obigen Beispielen aber gehen sie auf und das rührt nur daher, dass wir die Intervalle klug gewählt haben. Sie sind wie in früheren Beiträgen dargestellt, alles andere als zufällig gewählt, sondern nach den Kriterien für resonante Tonleitern. Und dabei haben wir gesehen, dass Intervalle dann resonant sind, wenn sie Brüche mit ganzzahligen Zählern und Nennern darstellen, und dass es für eine gleichzeitige Resonanz von mehreren Intervallen notwendig ist, dass die beiden Zahlen möglichst klein sind und insbesondere bei der Primzahlzerlegung keine Primzahl grösser als 5 enthalten.

Diese restriktiven Bedingungen erlauben es nämlich, dass wir kürzen können, wenn wir die Intervalle miteinander vergleichen. Hohe Zahlen und insbesondere hohe Primzahlen sind fürs Kürzen ungeeignet. Das Kürzen aber kommt uns, wie wir in den oben stehenden Beispielen gesehen haben, enorm entgegen. Nur wenn wir kürzen erhalten wir aus der Kombination von zwei resonanten Intervallen wieder ein resonantes. Und nur so bleiben wir innerhalb unserer resonanten Tonleiter.

Das ist bei der Tonleiter so, aber auch beim «Addieren» von mehreren Intervallen. Nur leider funktioniert es nicht immer.


Es wäre zu schön …

Der Übergang vom linearen zum exponentiellen Wachstum führt nämlich schneller zu Problemen als wir erwarten. Schon einfachste Rechnungen funktionieren nicht:

Grosse Sekunde plus kleine Sept = 9/8 * 9/5 = 81 / 40 = 2.025
Wir erwarten eigentlich nicht 2.025, sondern 2, d.h. eine reine Oktave,

Grosse Terz minus grosse Sekunde = 5/4 : 9/8 = 40/36 = 10/9 = 1.111
Wir erwarten eigentlich eine grosse Sekunde, also 9/8 = 1.125

Eine Quart und eine Quart = 4/3 * 4/3 = 16/9 = 1.777
Wir erwarten eigentlich eine kleine Sept = 9/5 = 1.800

Sie sehen, unsere Erwartung, dass das Rechnen mit den Intervallen aufgeht, wird enttäuscht. Nur ganz wenige Intervallkombinationen erlauben ein «reines» Rechnen, und das auch nur darum, weil wir unser Tonleitersystem so gut gewählt haben. Alle anderen Intervallekombinationen gehen nicht auf. Meist sind die Abweichungen nicht sehr gross, aber trotzdem sind sie deutlich vorhanden. Das Phänomen, dass die Intervallkombinationen nicht aufgehen, ist unter dem Namen pythagoräisches Komma berühmt geworden.


Das pythagoreische Komma

Pythagoras hat bereits gewusst, dass natürliche, d.h. gut klingende Intervalle auf einfache Brüche mit kleinen Zahlen zurückzuführen sind. Die einfachsten Intervalle mit den kleinsten Zahlen in den Brüchen sind bekanntlich die Oktave (2/1), die Quinte (3/2) und die Quart (4/3).

Wie wir oben gesehen haben geben zwei Quinten zusammen eine None. Wie viele Quinten braucht es nun, bis wir wieder beim Grundton sind? Schauen wir das von C aus an und untersuchen wir, wie viele Quinten es braucht, bis wir wieder bei einem C sind:

C – G:  erste Quinte
G – D:  zweite Quinte

Die ganze Reihe ist folgende:
C – G –  D – A – E – H – F# – C# – Ab – Eb – B – F – C

Wir haben somit zwölf Quinten. Das tiefe und das hohe C sind sieben Oktaven voneinander entfernt. Somit ist das obere C über die Quinten gerechnet = 3/212 = 129.746 und über die Oktaven gerechnet = 27 = 128. Die Abweichung zwischen den beiden Berechnungen beträgt: 129.746 : 128 =  1.0136.

Diese kleine Abweichung ist das pythagoreische Komma.

Einordnung des Kommas in den grösseren Zusammenhang

Das pythagoreische Komma ist unausweichlich und rührt letztlich daher, dass wir hier mathematisch unter zwei verschiedenen Flaggen segeln, nämlich derjenigen, die addiert und derjenigen, die multipliziert. Unser Denken, das sich vor allem materiell-räumlich orientiert, ist das lineare Rechnen gewohnt, mit dem Längen gemessen werden. So sehen wir auch die Intervalle. Diese aber funktionieren über die Frequenzen und ihre gegenseitigen Verhältnisse, und diese sind eben nicht linear, sondern exponentiell.

Das ist übrigens nicht der einzige Ort, an dem uns unsere Gewohnheit, linear zu denken, zur Falle wird. Viele Prozesse verlaufen exponentiell, genannt seien hier die kombinatorische Explosion, sobald ein Kollektiv von mehreren Objekten angeschaut wird oder der Verlauf von Epidemien, Gesellschaftstrends etc. Sobald das Geschehen komplex wird, dürfen uns exponentielle Verhältnisse nicht überraschen.

Dies führt uns zum Grundthema dieser Serie zurück, nämlich zum Verhältnis der drei Welten. Was ist die Rolle der Mathematik für die Physik und unseren Geist? Ich lasse diese Frage hier offen und bleibe vorerst auf dem Gebiet der Musik.  Im nächsten Beitrag werde ich erläutern, welche Vorteile unsere Lösung des Komma-Problems, nämlich die gleichmässig temperierte Stimmung bietet.


Fazit

  1. Intervalle werden verrechnet, indem man die Brüche ihrer Frequenzen multipliziert und dividiert.
  2. Dies widerspricht unserer intuitiven Vorstellung, dass dabei addiert und subtrahiert wird.
  3. Aus diesem Grund führen die meisten «Additionen» und «Subtraktionen» von zwei Intervallen nicht zu den erwarteten reinen Intervallen.
  4. Nur ganz wenige Additionen/Subtraktionen von Intervallen führen wieder zu reinen Intervallen. Dies ist nur dann möglich, wenn die Brüche der beteiligten Intervalle ein Kürzen ermöglichen.
  5. Dabei gelten die gleichen Regeln wie für die Bestimmung resonanter Tonleitertöne: Zähler und Nenner müssen kleine Zahlen sein, insbesondere höhere Primzahlen stören Resonanz und Verrechenbarkeit.
  6. Das pythagoreische Komma ist Ausdruck dieser grundlegenden mathematischen Inkompatibilität von Linearität (Addition) und Exponentialität (Multiplikation).
  7. Das pythagoreische Komma setzt somit der reinen Stimmung eine natürliche Schranke.

Wir werden bald sehen, wie das Problems der pythagoräischen Kommas mit der temperierten Stimmung gelöst wird. Doch vorher schauen wir die Anordnung der Töne innerhalb der Oktave in der reinen Stimmung an.


Dies ist ein Text aus der Serie zur Drei-Welten-Theorie.

Resonante Tonleitern

Resonanzen spielen bei unseren Tonleitern eine entscheidende Rolle. Die Bedingungen für die Resonanzentstehung zwischen zwei Tönen sind in der Physik gut bekannt und zeigen einfache mathematische Verhältnisse. Die Frequenzen der beiden Töne stehen nämlich, wenn sich Resonanz entwickelt, in einem Verhältnis, das als Bruch zwischen zwei ganzen Zahlen gesehen werden kann. Das besondere dabei ist, dass die Resonanz umso stärker ist, je kleiner die beiden Zahlen sind, ideal sind 1, 2, 3, 4 und 5.

So entsteht eine Resonanz am leichtesten beim gleichen Ton (1/1), bei der Oktave (2/1), der Quint (3/2) und der Quart (4/3). Auch die grosse (5/4) und die kleine Terz (6/5) zeigen Brüche mit ausgesprochen kleinen Zählern und Nennern. Insgesamt erfüllen total 10 Töne die mathematisch formulierbaren Bedingungen für starke Resonanzen.

Kann man nun aus diesen zehn am stärksten resonanten Tönen – oder einer Auswahl aus ihnen – sinnvolle Tonleitern aufbauen? Und kommen solche Tonleitern in der Natur auch vor – d.h. werden sie in den menschlichen Kulturen auch verwendet?

Hier wird es nun interessant, denn die beiden Tonleitern, welche aus mathematischen Gründen die stärksten Resonanzen zwischen ihren einzelnen Tönen aufweisen, sind verblüffenderweise genau die, welche in allen Kulturkreisen vorkommen. Es handelt sich um die Dur- und die Moll-Pentatonik. Diese beiden Pentatoniken verwenden von den erwähnten zehn resonantesten Tonleitertönen genau diejenigen fünf, welche auch unter sich ausschliesslich starke Resonanzen aufweisen. Diese beiden Pentatoniken klingen deshalb nie «falsch», d.h. alle ihre Töne passen immer reibungslos, eben resonant zusammen.

Bei Tonleitern mit sieben Tönen (=Heptatoniken) ist es unsere bekannte Dur-Tonleiter (=ionisch), welche die stärkste Resonanz aller Tonleitertöne mit dem Grundton aufweist. Die Dur-Heptatonik ergänzt die eng mit ihr verwandte Dur-Pentatonik um zwei neue Töne, nämlich um die Quart und die grosse Sept. Diese beiden zusätzlichen Töne sind ebenfalls bereits im Set der 10 resonanten Tonleitertöne enthalten. Sie bringen für die Dur-Heptatonik im Vergleich zur reibungslosen Dur-Pentatonik mehrere Vorteile: Die beiden zusätzlichen Töne erlauben es insbesondere, durch ein flexibles Einstellen der Resonanzen Spannung und Entspannung erlebbar zu machen. Dies ist bei der Dur-Pentatonik schlechter möglich, weil bei ihr nur resonante, d.h. spannungslose Töne vorkommen.

Die Dur-Heptatonik erweitert die Dur-Pentatonik noch in anderer Hinsicht: Sie bietet neu die Möglichkeit, den hochresonanten und dadurch sehr wohlklingenden Dur-Dreiklang (Grundton – grosse Terz – Quint), der sich in der Pentatonik bereits auf dem Grundton aufbauen lässt, noch auf zwei weiteren Tönen aufzubauen, nämlich auf der Quinte (Dominante) und auf der Quarte (Subdominante). Zwischen den drei Akkorden, die jeweils in sich ruhend sind, kann nun hin und her gewechselt werden. Mit den zwei zusätzlichen Tönen können deshalb weit interessantere Harmoniefolgen entstehen als mit den einfachen Standard-Pentatoniken.

Eine Übersicht über die weiteren Beiträge zur Drei-Welten-Theorie, den Tonleitern und Resonanzen finden sie hier.

Die Dur-Tonleiter bringt Spannung in die Resonanzen

Die Dur-Tonleiter

Die Dur-Tonleiter (ionisch) ist in Europa und auch global mit Abstand die weitest verbreitete Tonleiter. Es handelt sich um eine Heptatonik, also um eine Tonleiter mit sieben Tönen. Sie zeichnet sich durch ganz besondere Resonanzverhältnisse aus, die ihre weltweite Wertschätzung gut erklären können.

Unten habe ich die Töne der C-Dur Tonleiter aufgezeichnet, von unten nach oben aufsteigend und jeweils rechts von jedem Ton sein Intervall zum Grundton. Selbstverständlich ist dieses Intervall das, was die Tonleiter ausmacht. Man könnte die Tonleiter auch auf jedem anderen Ton beginnen und nur von den Intervallen (Sekunde, Terz usw.)  sprechen, da es zur Beschreibung der Tonleiter nur auf die Abstände zwischen den Tönen ankommt. Ich verwende hier jedoch die Töne der C-Dur-Tonleiter, einfach weil das anschaulicher ist und Sie das auch leichter am Klavier oder einem anderen Instrument nachvollziehen können.

Das Intervall bezeichnet das Verhältnis der Frequenzen des jeweiligen Tonleitertons zur Frequenz des Grundton. Dieses Intervall liegt bei jeder Tonleiter immer zwischen 1 (Grundton) und 2 (Oktave). Wir geben es in Form eines Bruchs an.

C      2
H      15/8
A      5/3
G      3/2
F      4/3
E      5/4
D      9/8
C      1

Tab. 1: Die C-Dur-Tonleiter

Die Brüche erlauben uns zu erkennen, was das Typische der Dur-Tonleiter ist. Sehr gut lässt sich zeigen, dass das, was wir subjektiv hören (mentale Welt) ganz parallel läuft zu dem läuft, was in der konkreten Materie (physikalische Welt) geschieht und zu dem, was wir mathematisch mit einfachen Brüchen darstellen können (platonische Welt). Erneut stellt heraus, dass die drei Welten (nach Penrose) auf dem Gebiet der Musik perfekt zusammenspielen.

Alle Töne sind resonant zum Grundton

In einem Vorbeitrag habe ich Resonanzkriterien für Tonleitertöne aufgestellt Mit diesen Kriterien erhalten wir 10 Töne, welche jeweils zum Grundton eine starke Resonanz haben. Die Dur-Heptatonik besteht – wie auch die Standard-Pentatoniken – aus einer Auswahl aus diesen zehn am stärksten resonanten Tönen. Somit können wir davon ausgehen, dass die Dur-Tonleiter generell gesehen schon in sich eine starke Resonanz aufweist. Doch nicht jeder Ton ist gleich resonant zum Grundton. Und besonders unter sich sind die Töne sehr unterschiedlich resonant. Hier wird nun die Geschichte interessant. Als erstes schauen wir den Unterschied von der Dur-Heptatonik zur Dur-Pentatonik an.

Die Dur-Heptatonik als Erweiterung der Dur-Pentatonik 

Die Standard-Pentatoniken sind die am stärksten resonanten Tonleitern überhaupt und die resonanteste von ihnen ist die Dur-Pentatonik. Die Dur-Heptatonik kann man als Erweiterung der Dur-Pentatonik sehen. Beide Tonleitern sind Subsets der zehn resonantesten Töne:

Tabelle 2:Vergleich der Dur-Pentatonik mit der Dur-Heptatonik

Die Töne, die die Heptatonik im Vergleich zur Pentatonik neu aufnimmt, erklären den Unterschied. Während die Pentatonik durchgehend resonant ist und alle Töne beliebig gemischt werden können ohne dass Spannungen auftreten, ist das bei der Heptatonik nicht mehr so. Die beiden Töne, die neu dazukommen, das F und das H, bringen die notwendige Spannung hinein, damit die Sache interessant wird.

Als erstes fällt auf, dass mit dem H der Ton dazukommt, der unter den zehn resonantesten Tönen derjenige mit den höchsten Zahlen in Zähler und Nenner ist. Somit ist er von allen zehn resonanten der Ton mit der schlechtesten Resonanz zum Grundton, also der spannungsgeladenste. Dies betrifft das Verhältnis zum Grundton.

Doch auch das Verhältnis der Tonleiter-Töne untereinander spielt in der Tonleiter eine wichtige Rolle. Wir rechnen es aus, indem wir das Frequenzverhältnis des oberen Tons durch dasjenige des unteren teilen (Grund dafür siehe in der Appendix). Die beiden neu in die Heptatonik aufgenommenen Töne, nämlich das F und das H erzeugen nun rechnerisch und hörbar eine Spannung, wie sie in der Pentatonik bisher nicht vorkommt. Wenn wir z.B. das F zusammen mit dem E erklingen lassen, dann ergibt das ein Frequenzverhältnis von 4/3 : 5/4 = 16/15, ein Bruch, der auf eine schwer zu erreichende Resonanz hinweist. Ähnlich ergeht es dem H neben dem oberen C, hier ist das Verhältnis 2 : 15/8 = 16/8 : 15/8  = 16/15. Zwischen dem H und dem C besteht somit das gleiche spannungsgeladene Intervall wie zwischen dem E und dem F. Das Intervall zwischen dem F und dem H ist nochmals heikler, hier ist der Bruch 15/8 : 4/3 = 45/32.

Spannung und Entspannung

Schlechte Resonanz bedeutet Spannung, da die beiden Töne sich nicht so leicht verbinden. Das empfinden wir subjektiv (mentale Welt), wie Sie leicht testen können, indem sie auf einem Klavier gleichzeitig ein E und ein F anschlagen und das Resultat vergleichen mit dem gleichzeitigen Erklingen z.B. von E und G. Das E und das F reiben sich mehr. Die Mathematik der Frequenzverhältnisse wirkt sich physikalisch als kleinere oder grössere Bereitschaft aus, eine Resonanz einzugehen und das hören wir.

Musikalisch ist die Spannung aber nicht uninteressant. Die Dur-Pentatonik ohne F und H erscheint uns zwar ruhig und harmonisch, aber auch ein bisschen langweilig. Die Dur-Heptatonik hingegen enthält kleine Pfefferkörner, welche eine spannende Schärfe hineinbringen, ähnlich wie Peperoncini in den Speisen. Die Schärfe spüren Sie im Mund aber noch lange nach, während in der Musik die Schärfe ganz präzis ein- und ausgeschaltet werden kann, einfach in dem Sie den spannungsreichen Ton durch eine ruhigen, d.h. problemlos resonanten austauschen. Dieses Spiel von Spannung und Entspannung wird in der Musik ausgiebig benützt.

Die Dur-Heptatonik als Subset der zehn resonantesten Töne

Wie in Tabelle 2 dargestellt, ist die Durtonleiter eine Auswahl von sieben Tönen aus der Liste der zehn resonantesten Töne. Diese Auswahl hat es in sich. Ich werde gleich auf die mathematischen Gegebenheiten eingehen, die sich aus ihr ergeben. Vermutlich werden Sie nicht überrascht sein, dass diese mathematischen Gegebenheiten erneut mit unserem Hörerleben parallel gehen. Schauen wir zuerst, welche Töne im Dur fehlen, es sind dies Es, As und B. Wie immer schauen wir die Brüche dieser drei Intervalle an: 6/5, 8/5 und 9/5. Sofort fällt uns auf, dass alle diese Brüche den Nenner 5 haben. Die Töne der Dur-Heptatonik hingegen kennen keinen Nenner 5.

Nenner wegkürzen

Diese Tatsache des fehlenden Nenners 5 erleichtert die Resonanzen innerhalb der Tonleiter. Wenn zwei Töne den gleichen Nenner haben, kürzt sich dieser weg, wenn wir beide Töne gleichzeitig erklingen lassen. Das Intervall der beiden Töne bekommt so schneller eine Resonanz. Wenn hingegen verschiedene Nenner vorhanden sind, wird die Resonanz erschwert. Aber auch unterschiedliche Nenner lassen sich kürzen, wenn sich die beiden Zahlen durcheinander teilen lassen.

Dazu führen wir eine Primzahlzerlegung durch und erkennen z.B, dass in der Dur-Tonleiter die grosse Sept und die grosse Terz untereinander perfekt resonant sind: Wir vergleichen (teilen) die grosse Sept durch die grosse Terz und erhalten: 15/8 : 5/4 = 3/2, also ein perfekt resonantes Intervall, nämlich die Quinte.

Dies ist möglich weil der Nenner 8 und der Nenner 4 bei der Primzahlzerlegung beide zweimal die Primzahl 2 enthalten (8=2x2x2 und 4=2×2). Somit kürzt sich die 2 zweimal weg. Ähnliches geschieht wo immer möglich auch bei den beiden Zählern.

Aus diesem Grund ist es «klug» von der Dur-Tonleiter, dass sie gerade auf alle Töne mit dem Nenner 5 verzichtet. So stört die 5 nie, und Kürzungen sind besser möglich. Und gekürzte Brüche in den Frequenzverhältnissen bedeuten physikalisch und mental eine bessere Resonanz.

Resonanz der Gesamtheit aller Tonleitertöne

Wir können das Kürzungsverhalten der Gesamtheit aller Töne in einer Tonleiter grob abzuschätzen, indem wir das kgV (kleinste gemeinsame Vielfache) aller Nenner ausrechnen, so wie wir das bereits bei den Pentatoniken getan haben. Die Töne der Dur-Heptatonik weisen nun ein fast unschlagbar tiefes kgV von 24 aus, es ist sogar genau das gleiche wie bei der Dur-Pentatonik mit zwei Tönen weniger.

Dieses kleine kgV rührt natürlich ebenfalls daher, dass wir keine Töne mit Nenner 5 aufgenommen haben, sonst müssten wir das kgV mit 5 vervielfachen und kämen auf 120.

Das kgV ist nützlich,  sagt aber nicht alles

Das kgV zeigt aber nicht das ganze Resonanzverhalten der Tonleiter. Es ist nur ein Mass für die Resonanz aller Tonleitertöne zum Grundton, sagt aber nichts aus zu den Resonanzen der Tonleitertöne untereinander. So kommen wir im Beispiel oben für F und H auf ein Frequenzverhältnis von 45/32, d.h. auch wenn die Töne zum Grundton gut resonant sind, können sie unter sich spannungsgeladen sein.

Das ist aber kein Schwachpunkt, sondern macht die Tonleiter im Gegenteil interessant. Die Dur-Heptatonik ist in dieser Hinsicht eindeutig interessanter als die Dur-Pentatonik, obwohl beide das gleiche kgV haben.

Trotzdem ist das kgV aber ein valabler grober Gradmesser für die grundsätzlichen Resonanz-Möglichkeiten in der Tonleiter, denn bei hohem kgV, d.h. wenn sich die Nenner nicht kürzen lassen, sind die Dissonanzen auf jeden Fall schärfer.

Dreiklänge in der Durtonleiter

Wir wenden nun unsere Resonanz-Überlegungen auf drei gleichzeitig erklingende Töne an.  Analysieren wir z.B. den Dreiklang von C, E und G. Die Frequenzen sind (siehe Tabelle 1): 1 – 5/4 – 3/2. Um das Verhältnis aller drei Töne zueinander zu berechnen, müssen wir alle drei auf gleichen Nenner setzen. Genau dafür brauchen wir wieder das kgV, und dieses ist hier 4. Wir bekommen so aus 1 – 5/4 – 4/2  zu einem Verhältnis von 4/4 – 5/4 – 6/4. Den gemeinsamen Nenner 4 können wir gleich wegkürzen und das Verhältnis der Frequenzen von C-E-G ist somit 4 – 5 – 6.

Dies ist das resonanteste Verhältnis, das in einem Ensemble von drei verschiedenen Tönen überhaupt möglich ist. Beim Dreiklang C-E-G handelt es sich um den einfachen und allen wohlbekannten Dur-Dreiklang. Auf dem Klavier ist er durch die Temperierung etwas gestört, aber auch so können Sie leicht selber austesten, wie eingängig dieser Dreiklang ist. Kein Wunder spielt er in der Pop- und Volksmusik eine derart überragende Rolle.

Drei Dur-Dreiklänge in der Dur-Heptatonik

Die Dir-Heptatonik aber enthält den Dur-Dreiklang aber nicht nur einmal, sondern gleich dreimal. Schauen Sie die Töne F – A – C an, in Brüchen 4/3 – 5/3 – 2, oder alle Töne auf den gemeinsamen Nenner 3 gesetzt: 4/3 – 5/3 – 6/3, also wiederum 4 – 5 – 6. Hier sieht man erneut den Nutzen, den gemeinsame Nenner (hier 3) für die Resonanzen darstellen. Die Dur-Heptatonik hat also gut daran getan, den Ton F hineinzunehmen, der einen zweite Dur-Dreiklang ermöglicht.

Aber auch das H ist gut gewählt, denn zum dritten Mal gibt dadurch den Dur-Dreiklang in der Dur-Heptatonik. Wir starten diesmal mit dem G und nehmen das H hinzu. Als drittes nehmen wir das D, dieses eine Oktave höher als gewohnt, also gleich über dem höheren C. Dazu müssen wir (siehe Rechenregeln) das 9/8 des D mit 2 multiplizieren und bekommen 9/4. Dieser Bruch ist grösser als 2, liegt also bereits über der Oktave. Schauen wir jetzt die Töne G – H – D an, die Frequenzen sind: 3/2 – 15/8 – 9/4. Mit dem kgV=8 bekommen wir: 12/8 – 15/8 – 18/8. Wir können nun Zähler und Nenner kürzen und erhalten wieder 4 – 5 – 6, also das gleiche Verhältnis wie oben, d.h. den gleichen perfekt resonanten Dur-Dreiklang wie beginnend mit dem C oder dem F.

Die Dur-Heptatonik enthält somit den Dur-Dreiklang gleich dreimal, denn dreimal lassen sich drei Töne aus der Heptatonik miteinander auf diese höchst resonante Weise verbinden. Bemerkenswert ist aber auch, dass sich die drei Dreiklänge untereinander nicht so gut mischen können. Das ist gut hörbar, die Mathematik entspricht auch hier wieder perfekt dem subjektiven mentalen Erleben (Sorry, ich muss das einfach immer wieder bringen mit den drei Welten, ich bin selber überrascht, wie gut die drei bei den Tonleitern zusammen kommen).

Natürlich wurde die Dur-Tonleiter nicht «erfunden«, schon gar nicht von einem Mathematiker. Die Tonleiter wurde vielmehr gefunden, und zwar von Menschen, die selber aktiv Musik machten und dabei auf die speziell interessanten Resonanzverhältnisse aufmerksam wurden, die sich bei dieser Zusammenstellung von Tönen ergeben.

Es ergeben sich nämlich drei isolierbare Auswahlen von Tönen aus der Dur-Tonleiter, die in sich jeweils gut resonant sind, aber zu den anderen beiden Auswahlen weniger gut harmonieren. Das ergibt drei unterschiedliche Farben oder Harmonien, die in der Tonleiter getrennt abrufbar sind und deren Abfolge in einem Musikstück geplant werden kann und so eine musikalische Geschichte erzählt. Die drei Farben definieren sich durch den jeweiligen Grundton des Dreiklangs, nämlich durch den Tonleiter-Grundton (C), seine Quart (F) und seine Quint (G). Die drei Töne heissen auch Tonika (Grundton), Subdominant (Quart) und Dominante (Quint). Die Möglichkeit, mit solchen Farben zu spielen, geht weit über die Möglichkeiten der Dur-Pentatonik hinaus und wurde in Europa im Verlauf der Jahrhunderte immer mehr perfektioniert.

Moll-Dreiklänge

Auch diese haben ein spezielles Resonanzverhältnis, nämlich 10 – 12 – 15. Die Zahlen sind etwas höher als im Dur-Dreiklang, was den Moll-Dreiklang etwas weniger resonant macht. Doch für drei verschiedene Töne ist das Verhältnis immer noch extrem einfach und somit resonant und Moll-Dreiklänge sind ganz bestimmt keine Dissonanzen.

Beim Moll-Dreiklang kommt mit der Mollterz zum ersten Mal ein Frequenzverhältnis mit Nenner 5 vor, Dur hingegen kennt das nicht und bevorzugt Nenner basierend auf der Primzahl 2. Dadurch ergibt sich eine deutlich andere Farbe. Mit dem Nenner 5 sind wir schon bei der höchsten «erlaubten» Primzahl angelangt, viel höher als mit der 2 und seinen gut teilbaren Vielfachen des Durs. Moll klingt deshalb weicher, spezieller und nicht so strahlend wie Dur.

Die Moll-Dreiklänge finden sich nicht nur in der Moll, sondern auch in der Dur-Heptatonik, einfach basierend auf weniger prominenten Tönen der Tonleiter, konkret auf dem D, dem E und dem A, doch grundsätzlich lassen sich auch in der Dur-Tonleiter Mollfarben erzeugen, wenn auch nur auf Nebentönen.

Fazit

Insgesamt bieten die sieben Töne der Dur-Tonleiter eine fast unerschöpfliche Quelle an Kombinationen. Die Dur-Tonleiter vereinigt ein maximales Mass an Resonanz mit der Möglichkeit, Spannung und verschiedene Farben zu erzeugen. Dies alles lässt sich mit einfachem Bruchrechnen mathematisch einfach nachvollziehen – in vollem Einklang mit dem, was wir subjektiv hören.


Als nächstes werfen wir einen Blick auf den Unterschied zwischen reiner und unreiner Stimmung. Interessanterweise ist es ja gerade die unreine Stimmung, welche die aktuelle Musikkultur prägt, und nicht etwa die reine. Die unreine Stimmung hat gewichtige Vorteile gegenüber der reinen und sie wurde in Europa bewusst gesucht.

Dieses ist besonders interessant, weil es zeigt, wie die reine mathematische Welt in der physikalischen an Grenzen kommt. Diese Tatsache hat zur gleichmässig temperierten Stimmung geführt, einer «unreinen» Stimmung, die aber heute für uns die gewohnte ist – und das aus guten Gründen. Lesen sie deshalb im nächsten Beitrag, wie es dazu gekommen ist.


Dies ist ein Beitrag zur Drei-Welten-Theorie.