Statisches und Dynamisches IF-THEN, Teil 2


Dieser Beitrag setzt den Einstiegsbeitrag über das dynamische IF-THEN fort.


Mehrere IF-THENs nebeneinander

IF A, THEN B
IF A, THEN C

Wenn aus einer Bedingung A ein Schluss B und gleichzeitig auch ein Schluss C gezogen werden kann, welcher Schluss wird dann zuerst gezogen?

Statische und Dynamische Logik

Für die klassische Logik spielt das keine Rolle, da A, B und C in einem statischen System immer simultan existieren und ihren Wahrheitsgehalt nicht ändern. Es kommt also nicht darauf an, ob zuerst der eine oder der andere Schluss gezogen wird.

Ganz anders ist das für die dynamische Logik – also in einer Realsituation. Wenn ich mich für B entscheide, kann es sein, dass ich dabei die Möglichkeit C quasi «aus den Augen verliere». Die Aussage B ist ja meist mit weiteren anderen Aussagen verbunden und diese Möglichkeiten können meinen Prozessor weiterhin beschäftigen, sodass der Prozessor gar keine Zeit hat für die Aussage C.

Umgang mit Widersprüchen

Ein weiteres Moment kommt dazu: Die Aussagen B und C führen über weitere Schlüsse zu weiteren Aussagen D, E, F usw. In einem statischen System müssen alle Aussagen, die durch weitere gültige Schlüsse gezogen werden untereinander kompatibel sein. Diese absolute Gewissheit ist bei realen Aussagen nicht gegeben. Deshalb ist es nicht auszuschliessen, dass z.B. die Aussagen D und E einander widersprechen. Und in dieser Situation kommt es darauf an, ob D oder E zuerst erreicht wird.

Ein dynamisches System muss mit dieser Situation umgehen können. Es muss die sich widersprechenden Aussagen D und E aktiv halten können und sie gegeneinander «erwägen», d.h. ihre Relevanz und Plausibilität unter Berücksichtigung der jeweiligen Kontexte analysieren. Wenn Sie so wollen, ist das der normale Denkvorgang.

Dabei spielt es eine Rolle, ob ich zuerst B oder C «erwäge». Je nachdem gerate ich in ein ganz anderes «Feld» von Aussagen. Mit Sicherheit werden sich die einen oder anderen Aussagen aus den beiden Felder widersprechen. Für die statische Logik würde das den Zusammenbruch des Systems bedeuten. Für die dynamische Logik ist das aber ganz normal, im Gegenteil: Der Widerspruch ist der Anlass, das System von Aussagen an dieser Stelle genauer anzusehen. Er ist die Spannung, die das System antreibt und den Denkvorgang aktiv erhält – bis die Widersprüche aufgelöst sind.

Diese Dynamik des Denkens zu beschreiben, ist das Ziel der Logodynamik.

Wahrheit – ein Findungsprozess

Sie können es als eine Schwäche des dynamischen Systems anschauen, dass die Wahrheitsgehalte der Aussagen nicht von Anfang an festgesetzt sind. Andererseits ist das eben genau unsere Situation, dass wir NICHT von Anfang an wissen, was wahr ist und was nicht, und dass wir unser System von Aussagen erst erarbeiten müssen. Wie dieses Erarbeiten funktioniert, darüber kann uns die statische Logik nichts sagen, genau dafür brauchen wir eine dynamische Logik.

Denken und Zeit

Beim realen Denken spielt die Zeit eine Rolle. Es kommt real darauf an, welcher Schluss zuerst gezogen wird. Das macht die Geschichte in der dynamischen Logik zugegebenermassen etwas schwieriger. Wenn wir den Vorgängen in der Realsituation auf die Spur kommen wollen, müssen wir aber akzeptieren, dass Realvorgänge stets in der Zeit ablaufen. Wir können die Zeit nicht aus dem Denken herausnehmen – und auch aus unserer Logik nicht.

Die statische Logik tut dies aber. Deshalb kann sie nur einen Ergebnis des Denkens beschreiben, den Endpunkt eines Vorgangs in der Zeit. Was während dem Denken geschieht, damit beschäftigt sich die Logodynamik.

Determinismus – eine liebgewordene Gewohnheit

Wenn ich aus A sowohl B wie auch C schliessen kann, und je nachdem, welchen Schluss ich zuerst ziehe, der Denkprozess sich in eine andere Richtung entwickelt, dann muss ich einer weiteren unangenehmen Tatsache ins Auge sehen: ich kann nämlich aus der Ausgangssituation (also der Menge von an als wahr akzeptierten Aussagen A) nicht ableiten, welchen Weg ich einschlage. Mit anderen Worten: Mein Denkvorgang ist nicht determiniert – jedenfalls nicht aus der Menge des bereits Erkannten.

Das ist einerseits bedauerlich, denn ich kann nie ganz sicher sein, ob ich richtig schliesse, ich habe dafür einfach zu viele Alternativen. Andererseits gibt mir das auch Freiheit. Im dem Moment, wo ich mich entscheiden muss, den Weg über B oder C zuerst zu verfolgen – und das ohne schon das Gesamtsystem zu durchschauen, also in meiner Realsituation – in diesem Moment erhalte ich auch die Freiheit, selber zu entscheiden.

Freiheit – eine Sicherheit gibt es nicht

Logodynamik untersucht somit den Denkvorgang für Systeme, welche die Wahrheit erst finden müssen. Diese Systeme sind auch nicht in der Lage, unbeschränkt viele Schlüsse gleichzeitig zu untersuchen. Das ist die Realsituation. Somit haben diese Systeme eine gewisse Willkür, aus eigenem Gutdünken zu entscheiden. Was für Denkstrukturen dabei entstehen, welche Vor- und Nachteile sie haben, und was dabei vorausgesetzt werden kann, untersucht die Logodynamik.

Klar ist: Eine sichere Ableitbarkeit kann nicht vorausgesetzt werden. Das ist bedauerlich und wir wären lieber auf der sicheren Seite. Aber erst diese Unsicherheit ermöglicht uns, frei zu denken.

Das dynamische IF-THEN ist nötig

Der rein denkpraktische Aspekt ist, dass für den Prozess der Wahrheits-Findung die statische Logik nicht ausreicht. Die Statik beschreibt nur das gefundene widerspruchsfreie System. Die vorhergehende Diskussion darüber, ob das System die Widersprüche löst und wie, wird erst durch die logodynamische Beschreibung sichtbar.

Mit anderen Worten: Die statische Logik ist unvollständig. Zur Untersuchung des realen Denkvorgangs ist die etwas heiklere dynamische Logik unverzichtbar. Wir verlieren dabei an Sicherheit, gewinnen aber an Realitätsnähe.


Dies ist ein Beitrag zur dynamischen Logik. Der Vorbeitrag unterschied das dynamische vom statischen IF-THEN.

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