Schlagwort-Archive: FOL

Logodynamik

Wozu dient Logik?

Geht es bei Logik ums Denken? Das dachte ich jedenfalls früher. Logik sei quasi die «Lehre vom Denken» oder gar die «Lehre vom richtigen Denken». Beim näheren Blick aber zeigt sich, dass es bei dem, was als Logik bezeichnet und studiert wird, nicht ums Denken, sondern ums Beweisen geht. Die klassische Logik ist in der Tat eine Wissenschaft des Beweisens.

Denken ist aber weit mehr als Beweisen. Man muss die Beweise erst finden. Dann muss man die Beweise im Kontext bewerten. Der Kontext kann ändern. Was mache ich mit Widersprüchen? Meines Erachtens sollte Logik untersuchen, wie wir uns ganz allgemein den Fragen des richtigen Denkens stellen und mehr sein als nur eine Wissenschaft des Beweisens. Wie aber gelangen wir zu einer solchen erweiterten Logik?

Der entscheidende Schritt war für mich die Erkenntnis, dass es eine statische und eine dynamische Logik gibt. Erst wenn wir wagen, den sicheren Garten der statischen Logik zu verlassen, können wir anfangen, das wirkliche Denken zu untersuchen.

Klassische Logik = Logostatik

Die klassische Logik prägte das abendländische Geistesleben über zwei Jahrtausende lang – angefangen bei den Syllogismen des Aristoteles über die Scholastik des Mittelalters mit den Lehren des Thomas von Aquin bis hin zur heute noch aktuellen Prädikatenlogik ersten Grades (FOL = First Order Logic) der Mathematiker. Diese Logiken sind genuin statisch. Bei ihnen hat jede Aussage einen allgemein gültigen, absoluten Wahrheitswert; die Aussage ist entweder wahr oder falsch – und das darf sich nicht ändern. Mit anderen Worten: Das logische Gebäude ist statisch. Die Mathematiker nennen eine solche Logik monoton.

Logodynamik

Während Widersprüche in einem klassischen logischen System nicht geduldet werden können, bilden sie in einem dynamischen System entscheidende Elemente im Netzwerk der Aussagen. Genauso wie sie es in unserem Denken tun. Widersprüche sind nämlich nichts anderes als Ausgangspunkte für unser Denken. Schliesslich zwingen uns Widersprüche, z.B. Beobachtungen die nicht zueinander passen, die Dinge genauer anzusehen. Wenn Aussagen einander widersprechen, wollen wir darüber nachdenken, was gilt. Widersprüche, in klassischer Logik verboten, sind in dynamischer Logik der eigentliche Ausgangspunkt des Denkens. Genauso wie in der Physik eine elektrische Spannung z.B. die Energie für den Strom liefert, so bildet für die Logik ein Widerspruch die Spannung, um weiter zu denken.

Weiterdenken heisst aber auch immer, offen zu sein für ganz neue Aussagen. Auch darin unterscheidet sich Logodynamik von klassischer Logik. Letztere definiert zuerst ihre «Welt», das heisst alle Elemente, die später, bzw. überhaupt verwendet werden dürfen. Das System muss geschlossen sein. Die klassische Logik verlangt eine klare Grenzziehung um die Welt eines Aussagensystems, und zwar bevor Schlüsse gezogen (gedacht) werden kann. Unser Denken ist aber keinesfalls geschlossen. Wir können immer neue Objekte einbeziehen, neue Differenzierungen für bekannte Objekte austesten, neue Gründe finden, Gründe neu bewerten usw. Mit anderen Worten: Wir lernen. Deshalb muss ein Logiksystem, das sich der Art, wie Menschen denken annähert, prinzipiell offen sein.

In einem klassischen logischen System gibt es keine Zeit. Alles was gilt, gilt immer. In einem logodynamischen System ist das prinzipiell anders. Was heute als wahr angesehen wird, kann morgen als Irrtum erkannt werden. Ohne diese Möglichkeit gibt es kein Lernen. Das logodynamische System erkennt die Zeit als notwendiges und internes Element an. Das greift ganz tief in den logischen Mechanismus ein, quasi in den «Grundschalter» der Logik, nämlich in das IF-THEN. Das IF-THEN der dynamischen Logik hat nämlich prinzipiell (immer) einen Zeitbezug: Das IF ist stets vor dem THEN.

Ein statisches System könnte die Zeit höchstens als Objekt seiner Betrachtung erkennen, quasi als eine seiner Variablen, nicht aber als etwas, was mit seinem eigenen Funktionieren zu tun hat.

Somit unterscheidet sich ein logodynamisches von einem logostatischen System durch folgende drei Eigenschaften:

  1. Non-Monotonie: Widersprüche im System sind erlaubt.
  2. Offenheit: Jederzeit können neue Elemente im System auftauchen.
  3. Systeminterne Zeit: Zwischen IF und THEN vergeht Zeit.

Non-Monotonic Reasoning (NMR)

Begriffsmoleküle und NMR

Im Beitrag Zwei Arten von Codierung 1 habe ich die Aufgabe beschrieben, Computer die beeindruckende Vielfalt der medizinischen Diagnosen «verstehen» zu lassen. Dazu war es  nötig, die unterschiedlichen Diagnoseformulierungen beim Lesen durch den Computer in eine einheitliche Form zu überführen, welche alle semantischen Details in leicht abrufbarer Form repräsentiert.

Mit den Begriffsmolekülen ist uns das erfolgreich gelungen. Dabei halfen uns zwei Eigenschaften der Methode der Begriffsmoleküle, nämlich a) die konsequent komposite Repräsentation der Semantik, sowie b) ein Reasoner auf nicht-monotoner Basis. Die Verwendung eines nicht-monotonen Reasoners war damals überhaupt nicht im Trend. Die meisten Forschungsgruppen im Bereich der medizinischen Computerlinguistik waren gerade dabei, von der First-Order-Logic (FOL) auf Description Logic (DL) umzusteigen und glaubten, dass komplexe Semantiken am besten mit Hilfe von DL durch einen Computer interpretiert werden. In der Praxis allerdings zeigte sich, dass wir als kleine private Forschungsfirma ohne staatliche Unterstützung die erfolgreicheren waren. Wir setzten auf eine nicht-monotone Methode, während die anerkannte Lehrmeinung mit FOL und DL auf eine monotone Methode setzte.

Was ist monotone Logik?

Monotonie bedeutet in der Logik, dass durch Schlüsse gewonnene Aussagen ihren Wahrheitsgehalt nicht ändern, auch wenn neue Aussagen dazu kommen, die ihnen widersprechen. Was also im System als wahr erkannt wurde, bleibt wahr, was als falsch erkannt wurde, bleibt falsch. Nicht-Monotonie bedeutet umgekehrt, dass durch das System gezogene Schlüsse auch wieder in Frage gestellt werden können.

Was ist das Problem bei der Nicht-Monotonie?

Man muss sich im Klaren sein, dass Beweise nur in einem monotonen System möglich sind. In einem nicht-monotonen weiss man nie, ob nicht irgendwoher ein Argument kommt, das zu ganz anderen Schlüssen führt. Da Beweise z.B. in der Mathematik essentiell sind, ist es einleuchtend, dass die mathematische Logik ganz klar auf Monotonie setzt. 

Natürlich geht es bei der Computerlinguistik nicht um Beweise, sondern um korrekte Zuordnungen von Wörtern zu Begriffen. Der Vorteil, Beweise führen zu können, so wichtig er für die Mathematik ist, spielt für unsere Aufgabe keine Rolle.

Was ist das Problem bei der Monotonie?

Ein System, das seine Aussagen nicht verändern kann, ist nicht in der Lage, wirklich zu lernen. So funktioniert z.B. das menschliche Hirn mit Sicherheit nicht-monoton.

Ein monotones System muss auch geschlossen sein. In der Praxis sind wissenschaftliche Ontologien natürlich nicht geschlossen, sondern wachsen mit dem Erkenntnisfortschritt. Das gleiche Fortschreiten zeigt sich bei der Entwicklung eines Interpretationsprogramms. Auch hier gibt es eine kontinuierliche Verbesserung und Erweiterung, was monotone Systeme vor Probleme stellt.

Monotone Systeme können zudem mit Ausnahmen nicht so einfach umgehen. Jede Regel hat bekanntlich Ausnahmen und ein nicht-monotones System kann damit wesentlich gezielter und einfacher umgehen.

Nicht-Monotonie in der Praxis

Wenn man regelbasierte Systeme vergleicht, sind m.E. für unsere Aufgaben nicht-monotone den monotonen eindeutig vorzuziehen. Zwar ist die Nicht-Monotonie kein leichtes Pflaster und weist einige Fallen und Knacknüsse auf, doch die einfache Modellierbarkeit auch von detailreichen und komplexen Gebieten spricht für das nicht-monotone Reasoning.