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Paradoxe Logikkerne (Teil 1)


Logik in Praxis und Theorie

Computerprogramme bestehen aus Algorithmen, d.h. aus Anweisungen, wie und in welcher Reihenfolge eine Eingabe zu bearbeiten ist. Algorithmen sind nichts anderes als angewandte Logik und ein Programmierer ist ein praktizierender Logiker.

Doch Logik ist ein weiter Begriff. Ganz eng gefasst, ist Logik ein Teil der Mathematik, ganz weit verstanden, ist Logik alles, was mit Denken zu tun hat. Diese beiden Pole zeigen einen deutlichen Kontrast: Die Logik der Mathematik ist geschlossen und wohldefiniert, die Logik des Denkens hingegen entzieht sich gern der präzisen Beobachtung: Wie komme ich auf einen bestimmten Gedanken? Wie verbinde ich meine Gedanken beim Denken? Und überhaupt: Was habe ich eben gedacht? Während die mathematische Logik mit klaren Begriffen und Regeln funktioniert, explizit und objektiv beschreibbar, ist die Logik des Denkens schwerer fassbar. Gibt es überhaupt Regeln des richtigen Denkens, so wie es in der mathematischen Logik Regeln dafür gibt, auf richtige Weise Schlüsse zu ziehen?

Wenn ich in diesen Unterschied zwischen mathematischer Logik und der Logik des Denkens eintauche, dann fällt mir etwas sofort auf: Das Nachdenken über mein Denken entzieht sich der Objektivität. Das ist bei der Mathematik nicht so. Mathematiker versuchen jeden kleinsten Denkschritt abzusichern, auf eine Weise, die klar und objektiv und für jeden nachvollziehbar, sobald er die mathematische Sprache versteht, ganz unabhängig von seiner Person: Das Subjekt des Mathematiker bleibt draussen.

Ganz anders ist es beim Denken. Wenn ich versuche, einen Gedanken zu beschreiben, den ich im Kopf habe, ist das mein persönlicher Gedanken, ein subjektives Geschehen, das sich primär nur meinem eigenen Denken zeigt und durch Wörter oder mathematische Formeln nur beschränkt ausgedrückt werden kann.

Doch genau dieser Widerstand reizt mich. Schliesslich möchte ich ‹korrekt› denken, und dazu ist es verlockend, zu verstehen, wie korrektes Denken überhaupt funktioniert.

Ich könnte nun Regress nehmen auf die mathematische Logik. Doch das Gehirn funktioniert nicht auf diese Weise. Auf welche Weise denn? Damit habe ich mich über viele Jahrzehnte beschäftigt, in der Praxis, ganz konkret bei dem Versuch, dem Computer NLP (Natural Language Processing) beizubringen, also explizite, maschinenfassbare Regeln zu finden für das Verstehen von Texten, ein Verstehen, das eigentlich ein subjektiver und zudem schwierig zu beschreibender Vorgang ist.

Meine Computerprogramme waren erfolgreich, doch das wirklich Interessante sind die Erkenntnisse, die ich dabei über das Denken gewinnen konnte, genauer, über die Logik, mit der wir denken.

Bei meiner Arbeit gelangen mir Erkenntnisse über den semantischen Raum, in dem wir denken, die Begriffe, die sich in diesem Raum aufhalten und die Art, wie sie sich bewegen. Doch die wichtigste Erkenntnis betraf die Zeit in der Logik. Darauf möchte ich jetzt eintreten.

Echte Paradoxe

Jeder, der sich ernsthaft mit Logik beschäftigt, ob professionell oder aus persönlichem Interesse, stösst früher oder später auf Paradoxe. Ein klassisches Paradox ist z.B. das Barbier-Paradox:

Das Barbierparadox

Der Barbier eines Dorfes wird dadurch definiert, dass er alle Männer rasiert, die sich nicht selber rasieren. Rasiert der Barbier sich selber? Wenn er das tut, gehört er zu den Männern, die sich selber rasieren und die er deshalb nicht rasiert. Wenn er sich somit nicht selber rasiert, gehört er aber zu den Männern, die er rasiert, also rasiert er auch sich selber. Dadurch gehört er aber zu den Männern, die er nicht rasieren muss. Also rasiert er sich nicht – usw. Das ist das Paradox: Wenn er sich rasiert, rasiert er sich nicht. Wenn er sich nicht rasiert, rasiert er sich.

Das gleiche Muster findet sich in weiteren Paradoxien, wie dem Lügnerparadox und vielen anderen. Man könnte nun denken, dass diese Art Paradoxien sehr gesucht sind und real keine Rolle spielen. Doch die Paradoxien spielen schon eine Rolle, zumindest an zwei Orten: in der Mathematik und im Denkvorgang.

Das Russel’sche Paradox und die Unvollständigkeitssätze von Kurt Gödel

Das Russel’sche Paradox hat das ‹Loch› in der Mengenlehre gezeigt. Die «Menge aller Mengen, die sich nicht selbst als Element enthalten» folgt dem gleichen Muster wie der Barbier des Barbierparadoxes und führt zur gleichen Art von unlösbarem Paradox. Etwas komplexer sind die beiden Unvollständigkeitssätze von Kurt Gödel, die aber letztlich auf dem gleichen Muster beruhen. Sowohl Russels wie Gödels Paradoxien sind für die Mathematik folgenreich. Das Russel Paradox hat dazu geführt, dass die Mengenlehre nicht mehr allein mit Mengen gebildet werden kann, weil das zu unhaltbaren Widersprüchen führt. Zermelo hatte deshalb die Mengen mit Klassen ergänzt und so die Geschlossenheit der Mengenlehre aufgeben müssen.

Auch Gödels Unvollständigkeitssätze beruhen letztlich auf dem gleichen Muster wie das Barbierparadox. Gödel hatte gezeigt, dass jedes formale System (formal im Sinn der Mathematik) Aussagen enthalten muss, die man formal weder beweisen noch widerlegen kann. Ein harter Schlag für die Mathematik und ihre formale Logik.

Spencer-Brown und die «Laws of Form»

Russels Widerlegung des simplen Mengenbegriffs und Gödels Beweis der Unvollständigkeit formaler Logik legen es nahe, näher über Paradoxe nachzudenken. Was ist das genau für ein logisches Muster, das hinter Russels und Gödels Problemen steckt? Was macht die Mengenlehre und die formale Logik unvollständig?

Die Frage hat mich lange beschäftigt. Überraschend hat es sich dann gezeigt, dass Paradoxien nicht nur lästige Übel sind, sondern dass es sich lohnt, sie vielmehr als sinnvolle Elemente in einer neuen formalen Logik einzusetzen. Dieser Schritt wurde vom Mathematiker Georg Spencer-Brown in seinem Buch «Laws of Form» von 1969 aufgezeigt, samt einem maximal einfachen Formalismus für Logik.

Ich möchte nun näher auf die Struktur der Paradoxien eintreten, wie sie Spencer-Browns aufgezeigt hat und auf die Konsequenzen, die sich daraus auf die Logik, die Physik, die Biologie und vieles mehr ergeben.

Fortsetzung: Paradoxe Logikkerne (Teil 2)