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Entropie zwischen Mikro- und Makroebene


Die zwei Ebenen der Entropie: Mikro und Makro

Zwei Ebenen definieren die Entropie

Die schulmässige physikalische Definition der Entropie weist diese als eine Differenz zwischen zwei Ebenen aus: einer Detail- und einer Übersichtsebene.


Beispiel Kaffeetasse

Klassisch ist die thermale Entropie nach Boltzmann, am Beispiel eines idealen Gases. Die Temperatur (1 Wert) ist direkt verbunden mit den Bewegungsenergien der einzelnen Gasmoleküle (1023 Werte). Mit gewissen Anpassungen gilt das für jedes materielle Objekt, z.B. auch für eine Kaffeetasse:

  1. Thermischer Makrozustand: Temperatur der Flüssigkeit in der Tasse.
  2. Thermischer Mikrozustand: Bewegungsenergie aller einzelnen Moleküle in der Tasse

Die Werte von a) und b) sind direkt verbunden. Die Wärmeengergie der Flüssigkeit, die sich in der Temperatur des Kaffees äussert, setzt sich zusammen aus den Bewegungsenergien der vielen (~ 1023) einzelnen Moleküle in der Flüssigkeit. Je schneller sich die Moleküle bewegen, umso heisser ist der Kaffee.

Die Bewegung der einzelnen Moleküle b) ist jedoch nicht konstant. Vielmehr stossen sich die Moleküle andauernd und ändern dabei ihre Geschwindigkeit und damit auch ihre Energie. Trotzdem ist die Gesamtenergie nach jedem Stoss die gleiche. Wegen dem Energiesatz ändert sich bei jedem Stoss zwar die Energie der beteiligten Moleküle, die Energie aller beteiligten Moleküle zusammen bleibt aber erhalten. Auch wenn der Kaffee langsam abkühlt, oder wenn die Flüssigkeit von aussen erhitzt wird, bleibt der Zusammenhang erhalten: Der einzelne Übersichtswert (Temperatur) und die vielen Detailwerte (Bewegungen) hängen immer gegenseitig voneinander ab.


Beispiel Wald und Bäume

Das bekannte Sprichwort warnt, vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr zu sehen.

Wald: Makroebene

Wald: Mikroebene

Auf der Mikroebene sehen wir die Details, auf der Makroebene erkennen wir das grosse Ganze.

Welche Sicht ist nun besser? Die auf den Wald oder auf die Bäume?

  • Sowohl Makroebene wie Mikroebene sind sinnvoll – je nach Aufgabe
  • Beides bezieht sich auf das gleiche Objekt.

Beides ist nicht im gleichen Moment zu sehen:

  • Sieht man die Bäume, verpasst man den Wald
  • Erkennt man den Wald, sieht man nicht alle einzelnen Bäume

Generell glauben wir, dass es besser sei, alle Details zu kennen. Doch das ist eine Täuschung. Wir brauchen immer wieder die Übersicht. Und wir würden uns verlieren in den Details.


Wo ist nun die Entropie?

Wir können nun alle Details der Mikrosicht aufzählen und erhalten so den Informationsgehalt – z.B. in Bits – des Mikrozustandes. Von diesem können wir den viel kleineren Informationsgehalt der Makrosicht abzählen. Die Differenz, die wir erhalten ist die Entropie, nämlich die Information, die im Mikrozustand (Bäume) vorhanden ist, im Makrozustand (Wald) aber fehlt. Die Differenz ist die Entropie.


Warum ist nicht der Informationsgehalt auf der Mikroebene die absolute Entropie?

Der Informationsgehalt auf der Mikroebene lässt sich in Bits berechnen. Entspricht diese Bitmenge der Entropie? Dann wäre der Informationsgehalt auf der Makroebene einfach eine Reduktion der Information. Die eigentliche Information würde dann in der Mikroebene der Details stecken.

Das ist die spontane Erwartung, die ich bei Gesprächspartnern immer wieder antreffe. Sie nehmen an, dass es einen absoluten Informationsgehalt gibt, und der ist in ihren Augen selbstverständlich derjenige mit der grössten Menge an Details.

Das Problem dabei ist: Ds ‹tiefste› Mikrolevel ist gar nicht eindeutig definiert. Die Bäume sind bezogen auf den Wald das tiefere Informationslevel – doch damit ist nicht die tiefste Detailebene erreicht. Man kann die Bäume auf ihre Bestandteile hin – Aste, Zweige, Blätter, Würzeln, Stamm, Zellen usw. – beschreiben, was zweifellos ein tieferes Level ist und noch mehr Details enthalten würde. Doch auch dieses Level wäre nicht tief genug. Wir können durchaus noch tiefer in die Details gehen, und die verschiedenen Zellen des Baumes beschreiben, die Organellen in den Zellen, die Moleküle in den Organellen usw. Wir würden dann weiter bei der Quantenebene ankommen. Doch ist das die tiefste? Vielleicht, doch sicher ist das nicht. Und je weiter wir in die Details gehen, umso mehr entfernen wir uns von der Beschreibung des Waldes. Was uns interessiert ist die Beschreibung des Waldes und dafür ist das tiefste Level gar nicht nötig. Wir tiefer unten wir es suchen, umso mehr entfernen wir uns von der Beschreibung unseres Objekts.

→ Die Tiefe des Mikrolevels ist nicht eindeutig definiert !

Wir können deshalb für unsere Betrachtung nicht von einer eindeutigen absoluten Entropie eines bestimmten Objekts ausgehen. Weil das Mikrolevel beliebig tief ansetzbar ist, ändert sich auch die Entropie, d.h. der quantitative Informationsgehalt auf dieser Ebene. Je tiefer, umso mehr Information, umso höher die Entropie.


Gibt es ein absolutes Makrolevel?

Wie das Mikrolevel ist auch das höchste Informationslevel, z.B. eines Waldes, nicht eindeutig definiert.

Ist dieses Makrolevel das Bild, das eine optische Sicht auf den Wald darstellt, wie es ein über ihm fliegender Vogel sieht? Oder ist des die Darstellung des Waldes auf einer Landkarte? In welchem Masstab? 1:25’000 oder 1:100’000? Offensichtlich ändert sich je nach Sicht die Informationsmenge des jeweiligen Makrozustandes.

Was interessiert uns, wenn wir den Wald beschreiben? Die Wege durch den Wald? Die Baumarten? Hat es Rehe und Hasen? Wie gesund ist der Wald?

Mit anderen Worten: Der Wald kann wie jedes Objekt auf sehr unterschiedlichen Weise beschrieben werden.

Es gibt kein eindeutiges, absolutes Makrolevel. Je nach Situation und Bedürfnissen gilt eine andere Makrodarstellung.


Die Relativität von Mikro- und Makroebene

Auf jeder Ebene gibt es eine jeweilige quantitative Menge an Information, je tiefer umso reichhaltiger, je höher, umso übersichtlicher. Doch es wäre ein Irrtum, eine bestimmte Ebene mit ihrer Informationsmenge als die tiefste oder die höchste zu bezeichnen. Beides ist willkürlich.


Die Information ist die Differenz

Sobald wir akzeptieren, dass sowohl das Mikro- wie das Makrolevel in beliebiger Höhe angesetzt werden können, nähern wir uns einem realeren Informationsbegriff. Es macht plötzlich Sinn, von einer Differenz zu sprechen. Die Differenz zwischen den – jeweils gewählten! – beiden Ebenen definieren die Spanne des Wissens.

Die Information, die ich gewinnen kann, ist die Information, die mir im noch Makrolevel fehlt, die ich aber im Mikrolevel finde. Die Differenz zwischen den beiden Ebenen bezüglich ihrer Entropie ist die Information, die ich dabei gewinnen kann.

Umgekehrt, wenn ich die Details der Mikroebene vor mir habe und eine Übersicht gewinnen will, muss ich diese Information der Mikroebene vereinfachen, und ich muss ihre Bitzahl reduzieren. Diese Reduktion ist die Entropie, d.h. die Information, die auf die ich bewusst verzichte.


Das Informationsparadox

Wenn ich aus einem Wust von Details die Information herausholen will, die mich interessiert, wenn ich also von der Detailbeschreibung zur verwertbaren Information gelangen will, dann muss ich ganz viel Informationen der Mikroebene unter den Tisch fallen lassen. Ich muss Information verlieren, um meine gewünschte Information zu erhalten. Dieses Paradox liegt jedem Analysevorgang zugrunde.


Information ist relativ und dynamisch

Was ich vorschlage ist ein relativer Informationsbegriff. Das entspricht nicht der Erwartung der meisten Mitmenschen, die eine statische Vorstellung von der Welt haben. Die Welt ist aber grundlegend dynamisch. Wir bewegen uns in dieser Welt wie alle anderen Lebewesen als informationsverarbeitende Existenzen. Die Verarbeitung von Information ist ein alltäglicher Vorgang für alle von uns, für alle biologischen Existenzen, ob Pflanzen, Tiere oder Menschen.

Die Verarbeitung von Information ist für alle Lebewesen ein existentieller Prozess. Dieser Prozess hat stets ein Vorher und ein Nachher. Je nachdem gewinnen wir Information, wenn wir etwas im Detail näher ansehen. Und wenn wir eine Übersicht gewinnen wollen, oder einen Entschluss (!) fassen, dann müssen wir Information vereinfachen. Wir gehen also von einer Makrobeschreibung zu einer Mikrobeschreibung und umgekehrt. Information ist dabei eine dynamische Grösse.

Entropie ist die Information, die im Makrolevel fehlt, im Mikrolevel aber zu finden ist.

Und umgekehrt: Entropie ist die Information, die im Mikrolevel vorhanden ist, im Makrolevel – also zur Gewinnung einer Übersicht – ignoriert wird.


Objekte und ihr Mikro- und Makrolevel

Wir können davon ausgehen, dass ein bestimmtes Objekt auf verschiedenen Stufen beschrieben werden kann. Ob eine tiefste Beschreibungsebene zu finden ist, ist gemäss aktuellen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ungewiss, doch für unsere informationstheoretischen Überlegungen letztlich irrelevant. Genauso ist es nicht sinnvoll von einer höchsten Makroebene zu sprechen. Die Makroebenen richten sich nach der Aufgabe der jeweiligen Betrachtung.

Was aber relevant ist, ist der Abstand, also die Information, die im Makrozustand zu gewinnen ist, wenn tiefere Details in die Sicht integriert werden, oder wenn sie – zwecks besserer Übersicht – verworfen werden. Beidemale geht es um eine Differenz zwischen zwei Beschreibungsebenen.

Die Darstellung oben visualisiert die Menge der erkannten Bits in einem Objekt. Oben bei der Makrospitze sind es wenige, unten im Mikrolevel sind es viele. Das Objekt bleibt das gleiche, ob nun viele oder wenige Details berücksichtigt, bzw. erkannt werden.

Die Makrosicht bringt wenige Bits, doch ihre Auswahl wird nicht vom Objekt allein bestimmt, es kommt vielmehr auch auf das Interesse hinter der Sichtweise an.

Die Zahl der Bits, d.h. die Entropie nimmt von unten nach oben ab. Das ist aber nicht eine Eigenschaft des Objekts der Betrachtung, sondern eine Eigenschaft der Betrachtung selber. Je nachdem sehe ich das Objekt anders, einmal detailliert und unübersichtlich, ein anderes Mal übersichtlich und vereinfacht, d.h.einmal mit viel und ein anderes Mal mit weniger Entropie.

Die Informationsgewinnung ist der dynamische Vorgang, der entweder
a) mehr Details erkennt: Makro → Mikro
b) mehr Übersicht gewinnt: Mikro → Makro

Beidemale wird die Informationsmenge (Entropie als Bitmenge) verändert. Die gewonnenen oder verlorenen Bits entsprechen der Differenz der Entropie von Mikro- und Makrolevel.

Wenn ich das Objekt in den Blick nehme, enthüllt es je nach Betrachtungsweise mehr oder weniger Information. Information ist dabei stets relativ zum Vorwissen und dynamisch zu verstehen.


Das ist ein Beitrag zum Thema Entropie. Siehe -> Übersichtsseite Entropie


 

Informationsreduktion 7: Mikro- und Makrozustand

Beispiele von Informationsreduktion

In den bisherigen Texten haben wir Beispiele von Informationsreduktion in folgenden Gebieten angesehen:

  • Kodierung / Klassifizierung
  • Sinneswahrnehmung
  • Fallpauschalen
  • Meinungsbildung
  • Wärmelehre

Was ist gemeinsam?

Mikro- und Makrozustand

Allen diesen Beispielen ist gemeinsam, dass wir bezüglich Informationen zwei Zustände haben, einen Mikrozustand mit vielen Details und einen Makrozustand mit wesentlich weniger Information. Sehr anschaulich und den meisten noch aus der Schule bekannt, ist das Verhältnis der beiden Ebenen in der Wärmelehre.

Beide Zustände existieren gleichzeitig. Sie betreffen weniger das betrachtete Objekt, als vielmehr die Sichtweise des Betrachters. Will er viel wissen? Oder weniger? Oder gar nur die Essenz, beziehungsweise das, was für ihn die Essenz darstellt? Je nach dem richtet sich sein Blick mehr auf die vielen Details des Mikrozustandes oder die einfache Information des Makrozustandes.

Mikro- und Makrozustand in der Informationstheorie

Die Bedeutung von Mikro- und Makrozustand wurde zuerst in der Wärmelehre erkannt. Meines Erachtens handelt es sich aber um ein ganz allgemeines Phänomen, das eng mit dem Prozess der Informationsreduktion verknüpft ist. Insbesondere bei der Untersuchung von Informationsverarbeitung in komplexen Situationen ist es hilfreich, die beiden Zustände zu unterscheiden.
Überall dort, wo die Informationsmenge reduziert wird, kann ein Mikro- und ein Makrozustand unterschieden werden. Dabei ist der Mikrozustand derjenige, der mehr Information enthält, beim Makrozustand ist die Informationsmenge reduziert.

Der detailreichere Mikrozustand gilt als «realer»

Je mehr Details wir sehen, umso besser glauben wir eine Sache zu erkennen. Deshalb sehen wir den detailreichen Mikrozustand als die eigentliche Realität an. Der Makrozustand ist dann entweder eine Interpretation oder eine Konsequenz des Mikrozustandes.

… aber der informationsarme Makrozustand interessiert mehr

Bemerkenswerterweise sind wir am informationsarmen Zustand aber mehr interessiert als am Mikrozustand. Die vielen Details des Mikrozustandes sind uns zu viele. Entweder sind sie uninteressant (Wärmelehre, Sinneswahrnehmung) oder sie verhindern die gewünschte klare Sicht auf das Ziel, für das der Makrozustandes steht (Kodierung, Klassifizierung, Meinungsbildung, Fallpauschalen).

Seltsamer Antagonismus

Es besteht somit ein seltsamer Antagonismus zwischen den beiden Zuständen: Während wir den einen als realer ansehen, sehen wir den anderen als für uns relevanter an. So als stünden real und relevant im Gegensatz zueinander. Je realer, d.h. detailreicher die Sichtweise wird, umso irrelevanter erscheint die einzelne Information, und je intensiver die Sichtweise sich um Relevanz bemüht, umso mehr löst sie sich von der Realität. Dieses paradoxe Verhältnis von Mikro- zu Makrozustand ist charakteristisch für alle Verhältnisse von Informationsreduktion und zeigt die Bedeutung aber auch die Herausforderung, die solche Prozesse an sich haben.

Gibt es Unterschiede zwischen den informationsreduzierenden Prozessen?

Auf jeden Fall. Gemeinsam ist ihnen nur, dass eine Darstellung auf einer detailreichen Mikro- und informationsarmen Makroebene möglich ist und die Makroebene meist relevanter ist.

Solche Prozesse beinhalten immer eine Informationsreduktion, aber die Art, wie reduziert wird, unterscheidet sich. Es ist nun äusserst erhellend, die Unterschiede genauer zu untersuchen. Die Unterschiede spielen nämlich entscheidend in viele Belange hinein. Mehr dazu im Fortsetzungsbeitrag.


Dies ist ein Beitrag zu einer Serie über Informationsreduktion. Der vorhergehende Beitrag beschäftigte sich mit Informationsreduktion in der Wärmelehre.


 

Informationsreduktion 6: Das Wasserglas, revisited

Ist das Physik?

In meinem Beitrag Informationsreduktion 5: Das klassische Wasserglas habe ich als Beispiel für die Informationsreduktion das Wasserglas erwähnt. Dort reduziert sich die komplexe und detailreiche Information über die Bewegungsenergie der Wassermoleküle (Mikroebene) zur simplen Information über die Temperatur des Wassers.

Ein Physiker könnte dieses Beispiel natürlich kritisieren. Zu Recht, denn das Wasserglas ist viel komplizierter. Die Berechnungen von Boltzmann gelten nur für das ideale Gas, also für ein Gas, dessen Moleküle keine Interaktionen untereinander haben, ausser den Stössen, die sie untereinander erfahren und dabei ihre individuellen Bewegungsinformationen untereinander austauschen.

Ein ideales Gas

Ein solches Gas existiert auf der Erde nicht, es handelt sich um eine Idealisierung. Zwischen den einzelnen Molekülen existieren nämlich noch ganz andere Kräfte als die rein mechanischen. Im Wasserglas sowieso. Denn Wasser ist kein Gas, sondern eine Flüssigkeit, und weil zwischen Molekülen in Flüssigkeiten viel stärkere Bindungen existieren als zwischen Gasmolekülen, komplizieren diese zusätzlichen Bindungen das Bild.

Wasser

Beim Wasser ist es darüber hinaus nochmals besonders. Denn das Wassermolekül (H2O) ist ein starker Dipol, d.h. dass es einen starken elektrischen Ladungsunterschied zwischen seinen beiden Polen aufweist, dem negativ geladenen Pol mit dem Sauerstoffatom (O) und dem positiv geladenen Pol mit den beiden Wasserstoffatomen (H2). Diese starke Polarität führt dazu, dass sich mehrere Wassermoleküle aneinander lagern. Wenn solche Zusammenballungen auf Dauer bestehen würden, wäre das Wasser keine Flüssigkeit, sondern ein fester Stoff (wie Eis). Da die Zusammenballungen aber nur temporär sind, ist das Wasser eine Flüssigkeit, allerdings eine besondere, die sich ganz speziell verhält. Siehe dazu z.B. die aktuelle Forschung von Gerald Pollack.

Physik und Informationswissenschaft

Ein Physiker hätte das Wasserglas also wohl kaum als Beispiel gewählt. Ich möchte es allerdings nicht ändern. Um das Verhältnis zwischen der Information auf dem Mikro- und dem Makrozustand zu erklären, eignet sich das Wasserglas genauso gut. Boltzmanns Berechnungen stimmen zwar nur noch ungefähr, aber seine These bleibt: Die Temperatur eines Gegenstands ist auf der Makroebene die Information, die die vielen Informationen über die chaotischen Bewegungen der einzelnen Moleküle der Mikroebene quasi zusammenfasst.

Für einen Physiker ist das Wasserglas ein schlechtes Beispiel. Für einen Informationsphilosophen macht es aber keinen Unterschied. Ob ideales Gas oder Wasserglas, immer besteht ein Informationsgefälle zwischen dem Makrozustand und dem Mikrozustand. Darauf kommt es an. Im Wasserglas enthält der Mikrozustand Milliarden mal mehr Informationen als der Makrozustand. Und obwohl der Mikrozustand informationsmächtiger ist, interessiert uns der Makrozustand interessanterweise mehr.

Wie verläuft der Übergang?

Wie verläuft nun der Übergang vom Mikro- zum Makrozustand in den verschiedenen Fällen?  Offensichtlich verläuft er im Wasserglas wegen den speziellen Eigenschaften des H2O – Moleküls etwas anders als beim idealen Gas. Und in unseren weiteren, völlig unphysikalischen Beispielen Klassifizierung, Begriffsbildung und Framing verläuft dieser Übergang vom Mikro- zum Makrozustand nochmals völlig anders, und auf diese Besonderheiten sollten wir jetzt eingehen. Siehe dazu den Fortsetzungsbeitrag.


Zum Thema Informationsreduktion finden Sie hier die Übersichtsseite.


 

Informationsreduktion 5: Das klassische Wasserglas

Informationsreduktion in der Wärmelehre

In der Wärmelehre findet sich ein ganz besonderes Beispiel für die Informationsreduktion. Das Beispiel ist deshalb besonders, weil es so einfach ist. Es zeigt das Grundgerüst der Informationsreduktion in aller Deutlichkeit, ohne die Komplexität anderer Beispiele, z.B. solchen aus der Biologie. Es ist vielen von uns auch aus dem Physikunterricht bereits bestens bekannt.

Was ist Temperatur?

Ein Wasserglas enthält viele Wassermoleküle, die sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten in unterschiedlichen Richtungen bewegen, dabei immer wieder mit anderen Wassermolekülen zusammenstossen und bei jedem Stoss Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung ändern. Mit anderen Worten: Das Wasserglas ist der typische Fall eines realen Objektes, das eine von aussen unüberblickbare Informationsmenge enthält.

Das ist die Darstellungsweise mit den Wassermolekülen. Was ist nun die Temperatur der Flüssigkeit im Wasserglas?

Wie Ludwig Boltzmann erkannte, ist die Temperatur nichts anderes als die Folge der Bewegungen der vielen einzelnen Einzelmoleküle in einem Gasbehälter oder einem Wasserglas. Je schneller sie sich bewegen, umso mehr Energie haben sie und umso höher wird die Temperatur.

Wie er zeigte, lässt sich die Temperatur statistisch eindeutig aus den Bewegungsenergien der vielen Moleküle berechnen. Milliarden von Molekülen mit ihren dauernden Bewegungsänderungen ergeben genau eine Temperatur. Aus vielen Informationen wird eine.

Die Mikroebene und die Makroebene

Bemerkenswerterweise kann auf der Ebene der einzelnen Moleküle nicht von Temperatur gesprochen werden. Dort findet sich nur die Bewegung der vielen einzelnen Moleküle, die sich bei jedem Stoss ändert, abrupt und z.T. massiv. Die Bewegungsenergie der Moleküle ist abhängig von ihrer Geschwindigkeit und ändert sich entsprechend bei jedem Stoss mit.

Obwohl sich auf der Mikroebene der Wassermoleküle die Bewegungen dauernd ändern, bleibt auf der Makroebene des Wasserglases die Temperatur vergleichsweise konstant. Und für den Fall, dass sich die Temperatur ändert, weil z.B. Wärme vom Wasser an die Wände des Glases abgegeben wird, gibt es Formeln, die die Bewegung der Wärme und somit die Temperaturänderung berechnen lassen. Diese Formeln bleiben auf der Makroebene, d.h. sie kommen ganz ohne den Einbezug der vielen und komplizierten Stösse und Bewegungen der Wassermoleküle aus.

Man kann den Temperaturverlauf somit vollständig auf der Makroebene beschreiben und berechnen, ohne die Details der Mikroebene mit den vielen Wassermolekülen kennen zu müssen. Obwohl die Temperatur (Makroebene) vollständig und ausschliesslich durch die Bewegung der Moleküle (Mikroebene) definiert wird, ist die Kenntnis der Detailinformationen für ihre Voraussage (Temperaturverlauf auf der Makroebene) gar nicht nötig. Die Details der Mikroebene scheinen auf der Makroebene zu verschwinden. Wir haben einen typischen Fall von Informationsreduktion.


Im Fortsetzungsbetrag wird das Bild vom Wasserglas präzisiert. Anschliessend schauen wir das Verhältnis von Mikro- und Makrozustand genauer an.


Zum Thema Informationsreduktion finden Sie hier die Übersichtsseite.