Zwei schlechter resonante Intervalle für die Lücken

Ausgangslage: Zwei Lücken

Im Vorbeitrag haben wir erkannt, dass in der Reihe der bisher gefundenen zehn Tonleitertönen zwei Lücken bestehen. Können wir dort auch resonante Töne finden? Folgendes wissen wir bereits:

  • Wir kennen bereits die zehn «resonantesten» Intervalle in der Oktave.
  • Mit diesen zehn Intervallen können die fünf Standard-Pentatoniken, und unser Dur und Moll gebildet werden. Dort stören die Lücken also nicht, nur in der Anordnung aller zehn potentiellen Tonleitertöne fallen sie auf.
  • Intervalle kommen nicht allein, weder in einem Akkord, noch in einer Melodie. Wenn wir also ein resonantes Intervall haben, können wir darauf ein zweites ansetzen (addieren) und das resultierende Summenintervall berechnen. Oder wir betrachten den Abstand zwischen zwei Intervallen, und rechnen dazu den Abstand zwischen den beiden Intervallen aus, zählen also das eine vom anderen ab (=Subtraktion).
  • Wegen des exponentiellen Verlaufs der Frequenzen und gegen unsere intuitive Erwartung müssen wir für das Aneinanderfügen der Intervallen ihre Frequenzverhältnisse aber nicht addieren, sondern multiplizieren, und für den Abstand dürfen wir nicht abzählen, sondern müssen dividieren.

Weil wir schon alle resonanten Intervalle innerhalb der Oktave gefunden haben, können wir für die beiden Lücken keine hochresonanten Intervalle mehr erwarten. Doch obwohl die Intervalle im Erfolgsfall zwar nicht mehr so resonant sind, was ihre Resonanz zum Grundton betrifft, sie können sie doch direkte und dadurch sehr resonante Bezüge zu anderen Tonleitertönen haben. Das macht sie im musikalischen Verbund je nach Situation ebenfalls resonanzmässig interessant.

Hier meine Versuche, Töne für die Lücken zu füllen. Zur Illustration zeige ich zu Beginn nochmals die Anordnung der zehn bestresonanten Intervalle aus dem Vorbeitrag:

Abb. 1: Anordnung der zehn resonanten Tonleitertöne in einer Oktave (logarithmische Darstellung)

Die kleinen Sekunden

Für die erste Lücke finden wir keine gute Resonanz zum Grundton, rein rechnerisch haben die Brüche dort viel zu hohe Zähler und Nenner. Der gesuchte Ton darf nur ganz wenig höher sein als der Grundton, das Intervall muss also sehr klein sein. Dazu untersuchen wir als Kandidaten die Abstände zwischen zwei Intervallen, die nahe beieinander liegen. Wir finden so:

Oktave – grosse Sept  = 2 : 15/8 = 16/15 = 1.067
Quart – grosse Terz = 4/3 : 5/4 = 16/15 = 1.067
Kleine Sext – Quint = 8/5 : 3/2 = 16/15 = 1.067
Kleine Terz – grosse Sekunde = 6/5 : 9/8 = 48/45 = 16/15 = 1.067
Grosse Terz – kleine Terz = 5/4 : 6/5 = 25/24 = 1.042
Grosse Sept – kleine Sept = 15/8 : 9/5 = 75/72 = 25/24 = 1.042
Grosse Sext – kleine Sext = 5/3 : 8/5 = 25/24 = 1.042
Kleine Sept – grosse Sext = 9/5 : 5/3 = 27/25 = 1.08

Wir finden so mehrere Intervalle, welche die Bedingungen erfüllen und in die erste Lücke passen. Wie Sie sehen, sind die Intervalle sehr klein, d.h. nur wenig grösser als 1. Mit unserer Methode tauchen immer wieder die gleichen Intervalle auf, insgesamt sind es drei, die sich aus je zwei bekannten und resonanten Intervallen herleiten lassen:

  • 16/15 = 1.042
    – grosse Terz – kleine Terz
    – grosse Sext – kleine Sext
    – grosse Sept – kleine Sept
  • 25/24 = 1.067
    – kleine Terz – grosse Sekunde
    – kleine Sext – Quint
    – Quart – grosse Terz
    – Oktave – grosse Sept
  • 27/25 = 1.08
    – kleine Sept – grosse Sext.

Diese drei Intervalle klingen alle recht scharf. Wir nennen sie kleine Sekunden. In reiner Stimmung gibt es mindestens drei davon.

Die Tritoni

Die zweite Lücke findet sich genau in der Mitte der Tonleiter. Wir versuchen nun, mit Kombination von zwei bekannten resonanten Intervallen diese Lücke zu treffen:

Grosse Sept – Quart = 15/8 : 4/3 = 45/32 = 1.406
Kleine Sept – grosse Terz = 9/5 : 5/4 = 36/25 = 1.44
Grosse Sext – kleine Terz = 5/3 : 6/5 = 25/18 = 1.389
Oktave + kleine Terz – grosse Sext = 2 x 6/5 : 5/3 = 12/5 : 5/3 = 36/25 = 1.44

Wieder erhalten wir drei Intervalle, die nahe beieinander sind:

  • 25/18 = 1.389
  • 45/32 = 1.406
  • 36/25 = 1.440

Einfügung der kleinen Sekunden und Tritoni in die Reihe der Tonleitertöne

Unsere bisherigen Berechnungen betreffen die Frequenzverhältnisse. Diese müssen wir, wie im Vorbeitrag erklärt, logarithmisch umwandeln, damit ihre Abstände dem entsprechen, was wir in unserer mentalen Welt wahrnehmen. In logarithmischer Darstellung (auf Basis 2) erhalten wir folgende Verteilung:

Abb. 2: Drei kleine Sekunden («Halbtöne») und drei Tritoni füllen die Lücken von Abb. 1

Wir sehen zwar, dass die Vorschläge die Lücken jeweils gut füllen, doch für jede Lücke haben wir drei Vorschläge! Welcher ist jetzt der beste? Wir könnten für den mit den kleinsten Zahlen in Zähler und Nenner argumentieren oder für den mit der grössten Häufigkeit unter den Varianten oder den mit dem engsten Bezug zu einer bereits bekannten Tonleiter.  Doch wir schieben die Frage mit gutem Grund bis zur Behandlung der temperierten Stimmung auf


Die ist ein Beitrag zur Entstehung der Tonleitern.