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Resonanzen erklären unsere Tonleitern


Wie Resonanzen unsere Tonleitern und Akkorde erklären

Haben Sie sich schon gefragt, weshalb die Tonleitern in allen Musikkulturen, ob im Urwald, im Konzertsaal oder im Fussballstadion über genau eine Oktave gehen. Oder weshalb Kinder ohne Musikbildung den Dur-Dreiklang ganz spontan «schön» finden, überall auf der Welt?

Die Erklärung liegt in den Resonanzen. So sehr sich Musikkulturen unterscheiden, haben sie doch einen gemeinsamen Kern. Dieser besteht aus den Resonanzen, welche zwischen den Tönen der Tonleitern und Akkorden entstehen.

Zwei Saiten (blau) in Resonanz über Schallwellen (rot) in der Luft
Reonanz zwischen zwei schwingenden Saiten

Mathematik und Physik in der Musik

Die klassische Musiktheorie weiss zwar, dass mathematische Brüche in den Intervallen stecken, doch sie erklärt nicht, wie die Brüche zustande kommen und was sie mit unserer Musikwahrnehmung zu tun haben.
Die Brüche stellen die Mathematik dar, doch hinter der Mathematik stecken physikalische Gründe. Schallwellen können sich bekanntlich gegenseitig verstärken oder stören. Diese physikalischen Verträglichkeiten lassen sich berechnen, wenn man die Tonhöhen der beteiligten Töne vergleicht. Eine einfache Regel erklärt, wie leicht die Mischung in Resonanz kommt, und was geschieht, wenn drei und mehr Töne beteiligt sind. Auf diese Weise lassen sich viele Eigenheiten der verschiedenen Tonleitern und Akkorde erklären.

Wir gehen dabei folgenden Fragen nach

  • Weshalb gehen weltweit alle Tonleitern über eine Oktave?
  • Weshalb sind auch reine Quinten und Quarten in praktisch allen Tonleitern vorhanden?
  • Weshalb ist die Obertonreihe keine Tonleiter?
  • Was ist die resonanteste Tonleiter und weshalb kommt sie in allen Kulturen vor? (Spoiler: es ist nicht die gewohnte Dur-Tonleiter, aber fast)
  • Wie mischen sich drei und mehr Töne?
  • Was sind die zehn resonantesten Intervalle innerhalb einer Oktave?
  • Weshalb bilden diese zehn resonantesten Töne als zusammen keine sinnvolle Tonleiter?
  • Was sind im Gegensatz dazu sinnvolle Tonleitern?
  • Was hält die Töne der Dur-Tonleiter zusammen, was die Töne von Moll?
  • Weshalb ist der Dur-Dreiklang so konsonant?
  • Was ist der Leitton physikalisch? Was ist der Tritonus?
  • Wie entstand die Einteilung der Oktave in 12 Töne?
  • Wie funktionieren komplexe Akkorde, z.B. sogenannte Upper Structures?

Alle diese Fragen lassen sich mit der Physik der Schallwellen beantworten.


Intervalle, Frequenzen und Brüche

Wie kommt nun der Zusammenhang zwischen Mathematik und Physik in der style Harmonielehre zustande? Dazu schauen wir das wichtigste physikalische Charakteristikum eines Tons an, nämlich seine Frequenz, die seine Tonhöhe bestimmt. Als nächstes schauen wir an, wie zwei Töne mit ihren Frequenzen ein Intervall bilden, das mit einem Bruch definiert werden kann.

Schallwellen und Frequenzen

Ein Ton ist physikalisch eine Schallwelle. Eine Schallwelle ist eine Schwingung in der Luft oder in einem Gegenstand (Saiten), deren wichtigste Eigenschaft ihre Frequenz, d.h. die Zahl der Schwingungen pro Sekunden ist. So hat der Kammerton a› die Frequenz 440 Hz, der Kammerton schwingt also 440-mal pro Sekunde hin und her – auf der Saite, in der Luft, oder im Innenohr.

Schwingende Saite
Eine schwingende Saite bildet ion der Mitte einen ‹Bauch›

Intervalle und Brüche

Wenn zwei Töne gleichzeitig erklingen, stehen sie in einem Intervall zueinander. Sie mischen sie sich, je nachdem ihre Frequenzen zueinanderstehen, in einer ruhigeren oder angespannteren Weise. Das ist ein Effekt, den wir beim Hören wahrnehmen. Die Intervalle berechnen sich aus dem Verhältnis der Frequenzen zueinander. Dieses Verhältnis ist mathematisch ein Bruch f/ f2, d.h. die Frequenz des höheren Tones wird durch die Frequenz des tieferen geteilt.


Rechenbeispiel für Intervalle

​Das Berechnen der Intervalle ist sehr einfach.

  1. Wenn beide Töne gleich sind, dann ist f1 = f2 und der Bruch somit f2 / f2 = 1.
  2. Wenn die Frequenz f1 doppelt so schnell ist wie f2, dann ist:
    f1 = 2xf2 und der Bruch 2xf2 / f2 = 2. 
    Beispiel: 
    a»: f1 = 880 Hz
    a›: f2 = 440 Hz
    à Intervall a»/a› = 880 / 440 = 2
  3. Wenn die Frequenz f1 kein genaues Vielfaches von f2 ist, dann ergibt das Intervall keine ganze Zahl mehr, sondern einen echten Bruch:
    Beispiel: 
    e»: f1 = 660 Hz
    a›: f2 = 440 Hz
    à Intervall e»/a› = 660 / 440 = 3/2

Mit diesem Wissen können wir unsere Tonleitern und Akkorde einfach und stimmig erklären. Und falls die Rechnerei oben Sie abgeschreckt hat, weil Sie schliesslich Musiker sind und kein Mathematiker oder Buchhalter, kann ich Sie beruhigen: Mehr Mathematik als eben wird gar nicht nötig sein. Es handelt sich um einfaches Bruchrechnen mit sehr kleinen Zahlen, wie Sie es in der Grundschule gelernt haben.


Drei Grade von Resonanz

Die Resonanzen haben nun sehr viel mit diesen Intervallen und den sie charakterisierenden Brüchen zu tun.

Die drei Rechenbeispiele für Intervalle oben charakterisieren bereits die  drei grundsätzlichen physikalischen Grade von Resonanz:

  1. Resonanz 1. Grades: Beide Frequenzen sind gleich
  2. Resonanz 2. Grades: Die höhere Frequenz schwingt mit einem ganzzahligen Vielfachen der tieferen.
  3. Resonanz 3. Grades: Die höhere Frequenz schwingt mit einm gebrochenen Vielfachen der tieferen.

Die Unterscheidung der drei Grade ist essentiell

Die oben dargestellte Unterscheidung der drei Grade der Resonanz bringt uns bei unserem Zeil der Erklärung der unterschiedlichen Tonleitern weiter:

  1. Resonanzen 1. Grades sind banal – alle kennen sie – aber sie sind auch die stärksten Resonanzen. Die mathematisch berechenbare und physikalisch begründbare Stärke der Resonanz wird uns bei den weiteren Überlegungen auch der anderen Graden begleiten.
  2. Resonanzen 2. Grades: Wenn der höhere Ton mit einem geradzahligen Vielfachen des tieferen schwingt, handelt es sich um einen Oberton. Zumischungen von Obertönen f= nx f2 zu einem Grundton f2 ergeben sich in der Regel natürlich bei allen schwingenden Objekten. Die Rechenregel f1 = n x f2 für Obertöne kann auch entsprechend sehr einfach physikalisch begründet werden.
    .

    Grundschwingung und 1. und 2. Oberton
    Grundschwingung und 1. und 2. Oberton

    Die konventionelle Harmonielehre basiert auf diesen Obertönen, doch dabei gibt es ein Problem: Je höher der Oberton, umso schwächer wird die natürliche Resonanz. Die höheren Obertöne wären aber nötig, um Tonleitern physikalisch zu begründen. Die konventionelle Erklärung der Tonleitern versagt hier.
    Erklärung der Tonleitern versagt hier.
    -> Die Obertonreihe ist keine Tonleiter

  3. Resonanz 3. Grades: Eher unbekannt ist, dass auch ein ‹gebrochenes› Intervall sehr resonant sein kann, und in vielen und entscheidenden Fällen sogar stärker resonant ist als ein Oberton. Auch die Resonanz der ‹gebrochenen› Intervalle ist physikalisch einfach erklärbar. Es lässt auch in der Praxis sehr gut beobachten, wie gebrochene Intervalle perfekt resonant sind, auch wenn sie keine Obertöne sind. → Quintenexperiment

Es ist nun diese Resonanz 3. Grades, die verantwortlich ist für unsere Tonleitern und Akkorde. Sie erklärt, welche Intervalle besonders resonant sind, wie mehrere Töne sich mischen und wie die von uns wahrnehmbare Charakteristika der Tonleitern und Akkorde entstehen. Mehr dazu in den folgenden Beiträgen.


Dies ist ein Beitrag zum Thema Tonleitern.

Mehr zum Thema Resonanz

Künstliche Intelligenz und Musik


Was kann KI in der Kunst und was nicht?

Der Schriftsteller Daniel Kehlmann studierte vor drei Jahren die Zusammenarbeit mit einem KI-System (CTRL) und berichtete über seine Erfahrungen beim Bau einer Kurzgeschichte. Die generative KI hat sich seither rasant weiterentwickelt. Kann sie jetzt kreativ sein? Speziell interessant ist die Fragestellung auf dem Gebiet der Musik, da Musik schon immer viel mit Mathematik zu tun hatte. Darüber hat Radio SRF im Rahmen ihrer KI-Woche eine hochaktuelle Sendung produziert.

Künstliche Intelligenz in der Diskothek von Radio SRF 2

Im Rahmen der wöchentlichen Musikdiskussion «Diskothek im Zwei» widmeten sich Redaktor Benjamin Herzog zusammen mit Musikwissenschaftler Michael Harenberg und Tonmeister Andreas Werner verschiedenen mittelalterlichen bis aktuellen Kombinationen von Algorithmen und hörbarer Musik.

Der Würfelkanon, Bach und Chopin

Der geschichtliche Rückblick bringt u.a. den «Würfelkanon» von W. A. Mozart, bei dem durch Kombinatorik immer neue Varianten möglich sind. Generative Intelligenz also, auf Basis von einfachen Kombinationsalgorithmen. 1957 liessen entusiatische Informatikfachleute einen Computer ein rudimentäres Streichquartett komponieren und aufführen. Besonders einladend für generative Intelligenz ist der Kontrapunkt des Barock, ein genaues Regelwerk für mehrstimmige Musik, das sich präzis algorithmisch formulieren lässt. Das führt dazu, dass immer wieder Musik im Stil von J. S. Bach von Computern komponiert wird. Aber ist das Bach? Die Diskothek bringt eine Invention nach Bach aus dem Jahr 1994 und lässt eine Mazurka nach Fréderic Chopin.

Genügen die einzelnen Komponenten, Phrasen und Motive, die uns die Komponisten erkennen lassen oder hat die KI jeweils wirklich kreative Werke selber komponiert? Wer ist der Komponist dieser Werke, Bach, die KI oder der Programmierer? Wie auch immer die Antwort ausfällt, interessant ist es allemal, die Werke mit einem kritischen Ohr anzuhören. Was ist es genau, was fehlt? Ist es der grosse Bogen, der fehlt? Die intelligent durchdachte Zusammenspiel der Komponenten? Der Wille, eine bestimmte Aussage zu machen? Mit anderen Worten, das Bewusstsein des menschlichen, bzw. maschinellen Komponisten?

Aktuelle Werke

Interessant und überraschend sind dann die aktuellen KI-Produktionen. Besonders aufgefallen sind mir:

  • George E Lewis: The reincarnation of blind Tom:
    Es handelt sich um ein Doppelkonzert für menschlichen Saxophonisten, KI-Klavier und Orchester, live aufgeführt in Donau-Eschingen 2024. Das Orchester spielte minutiös notierte Noten, der Saxaphonist inprovisierte völlig frei und die KI offenbar genauso frei. Sie ist generativ, aber auch analytisch, denn sie hört genau, an welcher Stelle der Komposition das Orchester sich befindet und reagiert darauf. Abgesehen von der spannenden Frage, wer nun wo jeweils kreativ ist, ist das Doppelkonzert auch ein farbiges und reiches Stück faszinierende Musik.
  • Holly Herndon: Proto. Album bei 4AD, 2019:
    Die Musikstudios der Pop- und Elektroszene sind seit vielen Jahren darauf spezialisiert, Stimmen zu verfremden. Die Sängerin Herndon hat ihre Stimme nun zu einem eigenen KI-Modell gemacht, das sie in vielen Parametern live verändern und einsetzen kann. Das Album fasziniert mit einer Vielzahl verschiedener Stimmungen und komplexer Geschichten.

Nicht nur die gespielten Musikbeispiele sind interessant. Grundsätzliche Fragen tauchen auf. Was macht die Kreativität aus? Ist es die Idee in der ursprünglichen Erfindung? Oder die Live-Performance? Oder der Interpret? Oder ist es ganz generell der Komponist und Musiker als Mensch, der in der Musik eine menschliche Erfahrung präsentiert, ganz persönlich und doch vom Zuhörer nachvollziehbar?

Imperfektion

Besonders interessant fand ich das Thema der Imperfektion. Schon KI-generierte Bilder sind auffällig makellos, gerade ihre Perfektion lässt sie beeindruckend, aber auch unmenschlich wirken. Genauso ist es mit rein KI-generierter Musik. Tonmeister Werner erkennt Ki-generierte Musik genau an dieser Perfektion, also am Fehlen von kleinen Verzögerungen, Kratzern im Klang, minimalen Intonationsfehlern usw. Moderne KI kann solche Imperfektionen zwar künstlich einbauen, doch ist das das gleiche?

Hier sehe ich den entscheidenden Unterschied: Die KI generiert zu schön, zu ‹gerade›, ein Einbau von Imperfektion erfolgt nicht natürlich, sondern wäre ein zusätzlicher Leistungsaufwand. Der Live-Musiker hingegen, auch der beste, kämpft dauernd mit der Imperfektion. Er kann die ungewollten Abweichungen nicht verhindern, so sehr er genau das auch geübt hat, doch er kann auf sie im Moment der Aufführung reagieren, indem er die kleinen Fehler im weiteren Gang der live gespielten Musik mit der Absicht des Stücks versöhnt, sie im sukzessive einbezieht und so automatisch zum Teil seines ganz persönlichen Stils macht. Seine persönliche und biologische Intelligenz, d.h. sein komplexes menschliches Gehirn und seine jahrelange Erfahrung und Übung macht das möglich. Weil wir Zuhörer auch Menschen sind, können wir sein Erleben mitempfinden, und das berührt uns.

Eine einfache KI wirkt schnell steril, auch bei Bildern. Komplexere Formen hingegen erscheinen oft ziellos, ihr perfekt gelerntes Material zufällig und ohne Plan und Absicht aneinanderreihend. Das trifft nun sicher weder auf Lewis noch Herndon zu. Bei beiden performt nicht die Maschine allein, vielmehr geht es um die Interaktion des menschlichen Musikers mit der Maschine, und umgekehrt. Die Interaktion ist das, was diese Experimente interessant macht.


Nachhören der Sendung im Internet:

https://www.srf.ch/audio/diskothek/kuenstliche-intelligenz-in-der-musik?id=dd4b2bf1-2204-3f04-b2fb-512353fbd52a#autoplay


 

Resonanz und Tonleitern

Im Gespräch mit informierten Musikern, höre ich von Ihnen oft, dass die Musiktheorie Tonleitern bereits perfekt erklärt, und zwar über die Obertonreihe. Diese jahrhundertealte Vorstellung ist nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig.

Nun ist die Obertonreihe selber zwar keine Tonleiter, doch die Theoretiker wenden mathematische Tricks an, um von der Obertonreihe doch noch unser Dur und Moll abzuleiten. Ich empfinde diese Tricks als kompliziert und willkürlich. Zudem fehlt eine physikalische Begründung für die nötigen Rechenschritte. Viel einfacher, stimmiger und physikalisch begründet ist die Erklärung nicht über die Obertonreihe, sondern über die Resonanz.

Wie die Resonanz physikalisch hinter den Tonleitern steht, erkläre ich in dieser Zusammenstellung:
–>  Resonanz als Begründung der Tonleitern

Das semiotische Dreieck

Wörter und ihre Objekte

Wenn wir sprechen, verwenden wir Wörter, um die Gegenstände unserer Umgebung zu bezeichnen. Mit den Wörtern besitzen wir die Gegenstände aber nicht, sondern bezeichnen sie nur, und wie wir alle wissen, sind Wörter nicht identisch mit den bezeichneten Gegenständen. Dass keine Identität besteht, ist offensichtlich.

Beispiele für die nicht immer logische Wortgebung finden Sie in diesem Beitrag, indem erklärt wird, weshalb die Leise laut spielt und die Laute leise.

    Abb. 1: Das Piano (Das Leise)

   Abb.2: Die Laute (Das Holz)

Wie aber sieht die Beziehung zwischen Wörtern und Gegenständen aus, wenn sie keine Identität ist? Sie kann keine 1:1-Beziehung sein, denn wir bezeichnen verschiedene Gegenstände mit dem gleichen Wort und können umgekehrt mehrere Wörter für denselben Gegenstand verwenden. Die Beziehung ist auch nicht fix, denn je nach Kontext bedeutet das gleiche Wort etwas anderes. Wörter ändern sich unaufhaltsam mit der Zeit, sie ändern ihren Klang und ihre Bedeutung.

Der Bezug von Worten und bezeichneten Objekten wird sehr erhellt durch die berühmte Darstellung des semiotischen Dreiecks von Ogden und Richards1 von 1923.

 

Das semiotische Dreieck

 

Abb 3: Das Semiotische Dreieck nach Ogden und Richards1

Die Idee des Dreiecks hat viele Vorläufer. u.a. Gottlob Frege, Charles Peirce, Ferdinand de Saussure und Aristoteles.

Ogden und Richards machen mit dem semiotischen Dreieck darauf aufmerksam, dass wir Worte, Objekte und Begriffe nicht verwechseln sollen. Die drei Spitzen des Dreiecks zeigen nämlich auf drei Bereiche, die von ihrer Natur her völlig verschieden sind.

Das Heikle dabei ist, dass wir nicht nur versucht sind, sondern dass wir zu Recht nichts anderes tun, als die drei Spitzen zusammenzubringen, so als wären sie identisch. Wir wollen nämlich, dass das Wort ein Objekt genau bezeichnet. Wir wollen, dass unsere Begriffe genau mit den Wörtern, die wir dafür verwenden übereinstimmen. Trotzdem sind die Wörter nicht die Objekte und auch nicht Begriffe.

Ogden und Richards sagen dazu: «Zwischen dem Symbol [Wort] und dem Referenten [Objekt] gibt es keine andere relevante Beziehung als die indirekte, die darin besteht, dass das Symbol von jemandem [Subjekt] dazu benutzt wird, einen Referenten zu vertreten.»

Der Bezug zwischen dem Wort (Symbol, Zeichen) und dem Objekt (Referent) ist stets indirekt und verläuft über den Gedanken von jemandem, d.h. das Wort aktiviert ein gedankliches Konzept von ‹jemandem›, d.h. von einem menschlichen Subjekt, Sprecher oder Zuhörer. Dieses gedankliche Konzept ist der Begriff.

Abb. 4: So sehen Ogden und Richards den indirekten Bezug zwischen Symbol und bezeichnetem Objekt (Referent) –> Die abgeschwächte Basislinie findet sich auch im Original. Symbol (Wort) und Referent (Bezugsobjekt) sind nur indirekt über den Gedanken in den verstehenden Subjekten miteinander verbunden.

Wenn wir uns mit Semantik beschäftigen, ist es unverzichtbar, einen Blick auf auf das Dreieck zu werfen. Nur die Begriffe in unserem Kopf verbinden die Wörter mit den Gegenständen. Eine direkte Verbindung ist eine Illusion.


Dies ist ein Beitrag zum Thema Semantik.


1 Ogden C.K. und Richards I.A. 1989 (1923): The Meaning of Meaning. Orlando: Harcourt.

 

Das Piano spielt forte und die Laute leise

Viele Leute glauben, dass jedes Wort eine bestimmte Bedeutung hat. Weil das nicht so ist, müssen wir, wenn wir Semantik betreiben, die Bedeutungen der Wörter aus dem Kontext erschliessen.

Der Kontext ist beim Wort ‹Piano› eigentlich schnell klar, er ist meistens ein musikalischer. In der klassischen Musik sind italienische Wörter angesagt, weil Italien einst das Hochland der Musik war, und Wörter wie «Andante›, ‹Sonate›, ‹Tutti› und ‹Coda› zeugen davon. So auch das ‹Pianoforte›, das Instrument, das leise (ital: piano) und laut (ital: forte) spielen kann, im Gegensatz zum Cembalo, aus dem heraus es sich entwickelt hat. Von ‹Pianoforte› hat sich der Name dann zum ‹Piano›, dem ‹Leisen›, abgeschliffen. Genauso wie das Violoncello (die kleine Violone) zum Cello (dem «Kleinen») wurde. Das Piano heisst auf Deutsch auch Klavier. Dieses Wort kommt von Clave, dem Schlüssel. Mit Schlüssel sind die Tasten gemeint. Auf Englisch gibt es digitale Pianos, d.h. Keyboards, also Schlüsselbretter. Der ‹Flügel› ist kein Vogelflügel und auch kein Engelsflügel, sondern ein grosses Klavier, oder Englisch ‹Grand Piano›. Die Orgel wiederum heisst in England Organ, also gleich wie ein Organ, wie z.B. die Leber.

Die Instrumente haben es auch sonst in sich. Die ‹Violine› ist – mit dem ‹-ine› die Verkleinerung einer ‹Viola›. Die Viola ist das Geigeninstrument, das in Altlage spielt. Sie heisst auch Bratsche, was von Arm (ital: braccio) kommt, da die Bratsche mit dem Arm gehalten wird. Im Gegensatz zu den Gamben, die auf den Beinen (ital: gambas) stehend gespielt werden. Aber auch die Violine, die ‹kleine Viola›, die keine Bratsche (Altlage) ist, wird mit dem Arm gehalten. Neben der Violine (Sopranlage) gibt es auch die Geige in Basslage, die Violone, die auch Kontrabass (engl. double bass) oder Bassgeige heisst, und von der das Cello (Violoncello) die kleine Schwester ist. Cello und Bassgeige werden zwischen die Beine gestellt, sind also keine Bratschen. Sie sind aber auch keine Gamben. Gamben sind nämlich keine Geigen, obwohl ebenfalls Streichinstrumente. Sie haben aber eine etwas andere Form, einen etwas anderen Klang und Bünde, wie die Gitarren.

Die Vorläufer der Gitarren sind die Lauten, ebenfalls Saiteninstrumente, die im Gegensatz zu den Geigen aber gezupft und nicht gestrichen werden. Obwohl ihr Name darauf hindeuten könnte, dass sie laut spielen, sind sie in der Tat eher leise. Der Name hat auch gar nichts mit der Lautstärke zu tun (im Gegensatz zum Pianoforte), sondern kommt aus dem Arabischen. Dort heissen die Lauten ‹Ud›, mit Artikel ‹Al Ud› (männlich). In Europa heisst sich das ‹Al Ud› zu ‹La Ud› geschlechtsgewandelt und wir haben die Laute.

Der Stamm ‹Ud› im Wort Laute bedeutet ursprünglich Holz. Die Laute ist also ‹das Holz›, genauso wie Trompeten und Posaunen im Orchester ‹das Blech› genannt werden. Die Streicher im Symfonieorchester sind aber nicht ‹das Holz›, obwohl sie aus Holz sind, sondern ‹die Streicher›. ‹Das Holz›, das sind die Holzbläser, also die Flöten und Oboen. Bei den Oboen steckt das auch im Wort: Oboe = haut bois = hohes Holz. Die Querflöten sind heute aus Metall, gelten aber weiterhin als Holzblasinstrumente. Ebenso die Saxophone, obwohl sie schon immer aus Blech sind. Die Hörner sind in der klassischen Musik Blechblasinstrumente aus Metall, mit Nähe zur Jagd. Im Jazz hingegen sind auch die Saxophone Hörner (horns).

Die Welt der Wörter und ihrer Bedeutungen ist voll von Widersprüchen. Simple Logik führt uns schnell in die Irre. Um computergängige Semantik zu betreiben, muss man sich auf einiges gefasst machen 😉


Dies ist ein Beitrag zum Thema Semantik.