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Künstliche Intelligenz und Musik


Was kann KI in der Kunst und was nicht?

Der Schriftsteller Daniel Kehlmann studierte vor drei Jahren die Zusammenarbeit mit einem KI-System (CTRL) und berichtete über seine Erfahrungen beim Bau einer Kurzgeschichte. Die generative KI hat sich seither rasant weiterentwickelt. Kann sie jetzt kreativ sein? Speziell interessant ist die Fragestellung auf dem Gebiet der Musik, da Musik schon immer viel mit Mathematik zu tun hatte. Darüber hat Radio SRF im Rahmen ihrer KI-Woche eine hochaktuelle Sendung produziert.

Künstliche Intelligenz in der Diskothek von Radio SRF 2

Im Rahmen der wöchentlichen Musikdiskussion «Diskothek im Zwei» widmeten sich Redaktor Benjamin Herzog zusammen mit Musikwissenschaftler Michael Harenberg und Tonmeister Andreas Werner verschiedenen mittelalterlichen bis aktuellen Kombinationen von Algorithmen und hörbarer Musik.

Der Würfelkanon, Bach und Chopin

Der geschichtliche Rückblick bringt u.a. den «Würfelkanon» von W. A. Mozart, bei dem durch Kombinatorik immer neue Varianten möglich sind. Generative Intelligenz also, auf Basis von einfachen Kombinationsalgorithmen. 1957 liessen entusiatische Informatikfachleute einen Computer ein rudimentäres Streichquartett komponieren und aufführen. Besonders einladend für generative Intelligenz ist der Kontrapunkt des Barock, ein genaues Regelwerk für mehrstimmige Musik, das sich präzis algorithmisch formulieren lässt. Das führt dazu, dass immer wieder Musik im Stil von J. S. Bach von Computern komponiert wird. Aber ist das Bach? Die Diskothek bringt eine Invention nach Bach aus dem Jahr 1994 und lässt eine Mazurka nach Fréderic Chopin.

Genügen die einzelnen Komponenten, Phrasen und Motive, die uns die Komponisten erkennen lassen oder hat die KI jeweils wirklich kreative Werke selber komponiert? Wer ist der Komponist dieser Werke, Bach, die KI oder der Programmierer? Wie auch immer die Antwort ausfällt, interessant ist es allemal, die Werke mit einem kritischen Ohr anzuhören. Was ist es genau, was fehlt? Ist es der grosse Bogen, der fehlt? Die intelligent durchdachte Zusammenspiel der Komponenten? Der Wille, eine bestimmte Aussage zu machen? Mit anderen Worten, das Bewusstsein des menschlichen, bzw. maschinellen Komponisten?

Aktuelle Werke

Interessant und überraschend sind dann die aktuellen KI-Produktionen. Besonders aufgefallen sind mir:

  • George E Lewis: The reincarnation of blind Tom:
    Es handelt sich um ein Doppelkonzert für menschlichen Saxophonisten, KI-Klavier und Orchester, live aufgeführt in Donau-Eschingen 2024. Das Orchester spielte minutiös notierte Noten, der Saxaphonist inprovisierte völlig frei und die KI offenbar genauso frei. Sie ist generativ, aber auch analytisch, denn sie hört genau, an welcher Stelle der Komposition das Orchester sich befindet und reagiert darauf. Abgesehen von der spannenden Frage, wer nun wo jeweils kreativ ist, ist das Doppelkonzert auch ein farbiges und reiches Stück faszinierende Musik.
  • Holly Herndon: Proto. Album bei 4AD, 2019:
    Die Musikstudios der Pop- und Elektroszene sind seit vielen Jahren darauf spezialisiert, Stimmen zu verfremden. Die Sängerin Herndon hat ihre Stimme nun zu einem eigenen KI-Modell gemacht, das sie in vielen Parametern live verändern und einsetzen kann. Das Album fasziniert mit einer Vielzahl verschiedener Stimmungen und komplexer Geschichten.

Nicht nur die gespielten Musikbeispiele sind interessant. Grundsätzliche Fragen tauchen auf. Was macht die Kreativität aus? Ist es die Idee in der ursprünglichen Erfindung? Oder die Live-Performance? Oder der Interpret? Oder ist es ganz generell der Komponist und Musiker als Mensch, der in der Musik eine menschliche Erfahrung präsentiert, ganz persönlich und doch vom Zuhörer nachvollziehbar?

Imperfektion

Besonders interessant fand ich das Thema der Imperfektion. Schon KI-generierte Bilder sind auffällig makellos, gerade ihre Perfektion lässt sie beeindruckend, aber auch unmenschlich wirken. Genauso ist es mit rein KI-generierter Musik. Tonmeister Werner erkennt Ki-generierte Musik genau an dieser Perfektion, also am Fehlen von kleinen Verzögerungen, Kratzern im Klang, minimalen Intonationsfehlern usw. Moderne KI kann solche Imperfektionen zwar künstlich einbauen, doch ist das das gleiche?

Hier sehe ich den entscheidenden Unterschied: Die KI generiert zu schön, zu ‹gerade›, ein Einbau von Imperfektion erfolgt nicht natürlich, sondern wäre ein zusätzlicher Leistungsaufwand. Der Live-Musiker hingegen, auch der beste, kämpft dauernd mit der Imperfektion. Er kann die ungewollten Abweichungen nicht verhindern, so sehr er genau das auch geübt hat, doch er kann auf sie im Moment der Aufführung reagieren, indem er die kleinen Fehler im weiteren Gang der live gespielten Musik mit der Absicht des Stücks versöhnt, sie im sukzessive einbezieht und so automatisch zum Teil seines ganz persönlichen Stils macht. Seine persönliche und biologische Intelligenz, d.h. sein komplexes menschliches Gehirn und seine jahrelange Erfahrung und Übung macht das möglich. Weil wir Zuhörer auch Menschen sind, können wir sein Erleben mitempfinden, und das berührt uns.

Eine einfache KI wirkt schnell steril, auch bei Bildern. Komplexere Formen hingegen erscheinen oft ziellos, ihr perfekt gelerntes Material zufällig und ohne Plan und Absicht aneinanderreihend. Das trifft nun sicher weder auf Lewis noch Herndon zu. Bei beiden performt nicht die Maschine allein, vielmehr geht es um die Interaktion des menschlichen Musikers mit der Maschine, und umgekehrt. Die Interaktion ist das, was diese Experimente interessant macht.


Nachhören der Sendung im Internet:

https://www.srf.ch/audio/diskothek/kuenstliche-intelligenz-in-der-musik?id=dd4b2bf1-2204-3f04-b2fb-512353fbd52a#autoplay