Mein Perpetuum mobile

Die  Erfindung

Ich habe ein Perpetuum mobile erfunden. Obwohl es schon lange her ist, kann ich mich noch genau daran erinnern. Ich war ungeheuer stolz darauf und konnte nicht verstehen, warum meine Umgebung mir meine einleuchtende Idee nicht abnahm.

Aufgrund der Details kann ich die Erfindung auch zeitlich genau datieren. Ich war damals zehn Jahre alt. Und wie bei jeder anderen Erfindung war es ein Zusammentreffen von zwei Beweggründen, die mir die Erfindung ermöglichten. Der eine Grund war das Ziel (Causa finalis) und der andere die formale Möglichkeit (Causa formalis), die es ermöglichte, das Ziel zu erreichen. Der Trick bei einer Erfindung besteht darin, die beiden Gründe zusammenzubringen, obwohl sie auf den ersten Blick gar nichts miteinander zu tun haben. Das war auch bei meiner Erfindung so.

Der Rasenmäher

Das Ziel (Causa finalis) war ein Rasenmäher. Mein Vater wollte einen anschaffen und ich hörte eine Diskussion darüber. Möglicherweise ging es darum, ob es ein benzingetriebener oder ein moderner elektrischer sein sollte. Jedenfalls erkannte ich eine dritte Möglichkeit. Hier kommt nun der zweite Grund, nämlich die Causa formalis zum Zug. Ich war zu der Zeit fasziniert von Zahnrädern (Wilber-Adepten:  das muss wohl das orange Mem gewesen sein) und kannte auch die Möglichkeit von gespannten Metallfedern. Das ermöglichte mir die Verbindung von Form und Ziel.

Ich hatte bereits begeistert eine Serie von ineinander greifenden Zahnräder verschiedener Durchmesser auf ein Papier gezeichnet, welche die Kraft einer gespannten Metallfeder übertrugen. Die Erfindung bestand nun darin, dass am Ende der Kraftübertragung eine zweite Metallfeder stand, die von der ersten angespannt wurde. Diese zweite Metallfeder hatte natürlich die Möglichkeit – über eine weitere phantastische Anordnung von Zahnrädern – die erste Feder zu spannen. Somit war die erste wieder bereit, über ihre Serie von Zahnrädern die zweite zu spannen – und so fort. Ein perfektes Perpetuum mobile. Ich verstand meinen Vater nicht, der es ablehnte, auf der Basis meiner genialen Idee einen Rasenmäher zu konstruieren. der weder Strom noch Benzin braucht.

Aber ich liess mich nicht beirren. Trotz diesem Rückschlag versuchte ich meine Idee weiter zu perfektionieren. Es war mir nämlich klar, dass das Konzept noch vereinfacht werden konnte. Es waren ja gar nicht alle Zahnräder nötig. Also erstellte ich eine neue Skizze. Und dann mit noch weniger Zahnräder eine weitere.  Ich kam gut vorwärts. Schliesslich gelang es mir, das Konzept auf eine einzige Achse mit zwei Metallfedern zu reduzieren. Die erste zog die zweite auf, die zweite dann wieder die erste. Genial einfach, nicht wahr?

In diesem Moment aber geschah etwas. Ich sah die Achse mit den beiden Metallfedern vor mir und mir wurde ganz gegen meinen Willen, aber auch ganz deutlich klar, dass das nicht funktionieren konnte. Ich sah die beiden Metallfedern auf der einen gemeinsamen Achse vor meinem geistigen Auge, wie sie ihre Kräfte gegeneinander ausspielten und sich schliesslich bei einem Kräftegleichstand trafen, und dass die Anlage in diesem Moment keinen Grund mehr hätte, sich in irgend einer Richtung zu bewegen. Es war bitter, aber meine Perpetuum mobile war gestorben.

Und die Lehre daraus?

Nicht alles, was sich super anfühlt, funktioniert auch. Aber dafür hatte ich ein anschauliches Beispiel für den Energieerhaltungssatz, das ich nicht so leicht vergessen konnte. Und noch ein weiteres Prinzip steckt in der Geschichte meiner gescheiterten Erfindung, nämlich das Parsimonitätsprinzip. Vermutlich kennen Sie den Namen nicht, aber das Prinzip kennen Sie bestimmt. Es handelt sich um ein allgemeines Konstruktionsprinzip, das besagt, dass man in Konstruktionen stets das Einfache suchen soll und alles überflüssige wegstreiche. Keep it simple, mit anderen Worten. Genau das hatte ich getan, als ich die überflüssigen Zahnräder wegstrich und nur noch die eine Achse mit den Federn behielt. Dadurch war es mir möglich, die Essenz meiner Erfindung zu erkennen – und gegen meinen Willen auch ihr Scheitern.

Parsimonitätsprinzip (nach Ockham)

Das Parsimonitätsprinzip ist auch unter den Namen Ökonomieprinzip und Ockham’s Razor bekannt. Wilhelm von Ockham (1288-1347) formulierte es so: «frustra fit per plura quod fieri potest per pauciora»  (Umsonst geschieht durch Mehreres, was sich mit Wenigem tun läßt ). Er wandte diesen Satz auf Begriffe an und plädierte dafür, die Zahl der Begriffe nicht ohne Notwendigkeit zu vermehren. Dem kann ich nur zustimmen.

Mein Vater hat übrigens einen elektrischen Rasenmäher gekauft.

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