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Semantik und Linguistik

Was ist Semantik?

Eine einfache und gut verständliche Antwort ist, dass Semantik die Bedeutung von Signalen ist. Wenn wir uns mit Semantik beschäftigen, untersuchen wir also, welche Bedeutungen hinter den Signalen stecken.

Die Signale können in irgendeiner Form vorliegen, als Text, als Bild usw. Am häufigsten wird die Semantik von Wörtern gesucht. Unsere hoch entwickelte Sprache unterscheidet uns Menschen von den Affen und gibt uns die Möglichkeit, komplexe und abstrakte Denkinhalte in Wörter zu fassen. Diese Denkinhalte sind die Semantik, d.h. die Bedeutungen, die wir in Wörter fassen (codieren) und aus den Wörtern herauslesen (decodieren).

Offensichtlich besteht ein enger Zusammenhang zwischen Wörtern und ihrer Semantik, so eng, dass Semantik oft als Teil der Sprachwissenschaft angesehen wird. Ein guter Grund also, das Verhältnis der Sprachwissenschaft (Linguistik) zur Semantik zu untersuchen.

Linguistik und Semantik

Linguistik als Lehre von Sprache und Sprachen hat schon immer die Grammatiken der Sprachen untersucht. Wenn die Grammatik (Syntax) eines Satzes verstanden ist, sehen die Linguisten zwei weitere Aufgaben, nämlich als nächstes die Semantik des Satzes und als drittes seine Pragmatik zu untersuchen. Bei der „Semantik“ geht es ihnen um die Bedeutung der Wörter und Sätze, bei der „Pragmatik“ um das „Warum“ einer Aussage, also um den grösseren Zusammenhang.

Der Dreischritt der Linguisten

Es gibt somit in den Augen der Linguisten einen Dreischritt beim Verstehen von Sprache: Syntax -> Semantik -> Pragmatik. Diese drei Aufgaben werden von den Linguisten ganz unterschiedlich gewichtet: ein konventionelles Lehrbuch behandelt vorwiegend Fragen der Syntax, während Semantik und Pragmatik nur am Rand vorkommen – und stets auf der Basis der vorher durchgeführten Syntaxanalyse. Die Syntaxanalyse der Linguisten stellt somit bereits die Weichen für das, was darauf aufbaut, nämlich Semantik und Pragmatik.

Das ist für die Semantik nicht wirklich ideal. Wenn man sich näher mit Semantik befasst, wird klar, dass Grammatik und andere Eigenheiten der jeweiligen Sprachen Äusserlichkeiten darstellen, welche den Kern der Aussagen – ihre Bedeutung – zwar auf gelegentlich sehr elegante Weise umschreiben, aber eben nur umschreiben und nicht vollständig und schon gar nicht direkt repräsentieren. Eine direkte formale Darstellung des mit dem Text Gemeinten wäre aber für eine wissenschaftliche Semantik das eigentliche Ziel.

Ist das Ziel erreichbar? Wir müssen uns als erstes über das Verhältnis von Wörtern und Begriffen klar werden – Wörter und Begriffe sind nicht dasselbe! Begriffe sind die Grundelemente der Semantik und sie haben einen speziellen, aber nicht ganz einfachen Bezug zu den Wörtern der Sprache.

Wort nicht gleich Begriff

Man könnte leichtfertig annehmen, dass eine 1-zu-1-Beziehung zwischen Wörtern und Begriffen besteht, dass also hinter jedem Wort ein Begriff steht, der zusammenfasst, was die Bedeutung des Wortes ist. Doch genau dies ist falsch. Wörter und Begriffe lassen sich nicht eindeutig aufeinander abbilden. Dass das so ist, kann jeder selbst erkennen, der sich beim Lesen, Sprechen und Denken beobachtet.

Es ist offensichtlich, dass ein Wort mehrere Bedeutungen haben kann, je nachdem in welchem Zusammenhang es gesprochen wird. Ein Wort kann gelegentlich auch gar keine Bedeutung haben, z.B. wenn es ein Fachwort ist und ich das Gebiet nicht kenne. Dann kann ich das Wort zwar nachsprechen, aber es bleibt für mich bedeutungsleer. Das Wort hat für mich somit keinen Begriff. Trotzdem kann es jemand verstehen, der das Sachgebiet versteht.

Bedeutung hat viel mit dem Empfänger zu tun

Wenn wir über diesen Sachverhalt noch etwas länger nachdenken, wird uns klar, dass Fachwörter wie Zitronensäurezyklus oder II-V-I-Progression für die meisten Leute keine Bedeutung haben. Aber nicht nur Fachwörter, auch ganz normale Wörter, die wir alle kennen, haben keine sichere, eindeutige Bedeutung, sondern können je nach Zuhörer oder Kontext eine jeweils leicht unterschiedliche Vorstellung (Bedeutung) hervorrufen. Dabei handelt es sich nicht nur um abstrakte Wörter oder Wörter mit wechselnden Wertvorstellung, wie Glück, Demokratie, Wahrheit usw., auch ganz konkrete Begriffe wie Hund, Wasser, Haus werden von verschiedenen Menschen verschieden bewertet.

Bedeutungen variieren

Auch in uns selber existieren für das gleiche Wort ganz unterschiedliche Vorstellung, je nach Situation verbinden mit dem gleichen Wort wir unterschiedliche Vorstellungen.

Umgekehrt kann die gleiche Vorstellung mit ganz unterschiedlichen Wörtern belegt werden. So können das deutsche Tisch und das englische table problemlos für die gleiche Vorstellung, den gleichen Begriff verwendet werden. Ganz problemlos ist die Geschichte aber nicht: Tisch und table sind keineswegs Synonyme: Zum Beispiel meint das englische table auch Tabelle, das deutsche Tisch aber nicht. Weitere Beispiele für die Inkongruenz von Wort und Begriff kann leicht jeder selber finden.

Semantik untersucht das Spiel der Bedeutungen

Wir müssen akzeptieren, dass ein Wort und ein Begriff sich nicht so einfach auf einander abbilden lassen. Obwohl es im Einzelfall durchaus so scheinen kann, als stünde hinter jedem Wort genau ein Begriff (eine Semantik), ist dies in Wirklichkeit eine völlig unangebrachte Vorstellung. Und diese verhindert, dass das Spiel der Bedeutungen korrekt verstanden wird. Doch genau dieses Spiel der Bedeutungen ist es, das m.E. die Semantik als Wissensgebiet ausmacht.


Dies ist ein Beitrag zum Thema Semantik.


Semantik, der blinde Fleck

Wohin gehört die Semantik?

Wenn Semantik als Wissenschaftsthema eingeordnet werden soll, bieten sich z.B. folgende Fächer an:

a) Linguistik
b) Informationstheorie
c) Mathematik
d) Psychologie
e) Philosophie

Die breite Auswahl zeigt, dass eine Zuordnung nicht selbstverständlich ist. Vielleicht haben ja alle diese Fächer recht, Semantik auf ihre Weise zu behandeln. Ich plädiere aber dafür, Semantik als ein eigenes Gebiet zu betrachten, mit eigenen Problemstellung und Lösungen und insbesondere auch mit eigenen formalen Methoden. Diese bauen nicht auf linguistischen oder mathematischen Methoden auf, sondern nehmen solche gegebenenfalls für klar definierte Aufgaben zu Hilfe, so wie die Physik mathematische Methoden zu Hilfe nimmt.

Semantik als eigenes Fachgebiet

Wenn Semantik als Bedeutung von Wörtern oder Daten definiert wird, so ist klar, dass die Wörter in jedem Fachgebiet ihre eigene Bedeutung, d.h. ihre eigene Semantik haben. Diese aber ist die Semantik des Fachgebietes und nicht die Semantik als Fachgebiet selber. Semantik als Fachgebiet hat mit der Darstellung und dem Prozessieren von Bedeutungen zu tun.

Wir haben somit zwei verschiedene Ebenen:

  •  Die Bedeutungen des Gegenstände des jeweiligen Fachgebietes
  • Die Methode, mit welcher die Bedeutungen dargestellt werden (also eine Art Metaebene)

Es ist klar, dass nur letzteres das Fachgebiet der Semantik selber darstellen kann.

Der blinde Fleck

Im Auge werden die eingehenden Lichtstrahlen auf der Netzhaut abgebildet. Die über die ganze Netzhaut verstreuten Signale werden in einem eng umschriebenen Gebiet gebündelt, wo sie in den Sehnerv eintreten. An diesem Ort sehen wir nichts, da eintreffende Lichtsignale dort keine Lichtrezeptoren vorfinden, weil dieses Gebiet bereits vollständig von der Infrastruktur der Weiterleitung, dem Sehnerv,  beansprucht wird. Bemerkenswerterweise fällt uns die Blindheit an dieser Stelle nicht auf. Sobald wir nämlich einen Gegenstand ansehen wollen, der sich an dieser Stelle befindet, fokussieren wir ihn. Das bedeutet, dass wir das Auge so bewegen, dass wir den anvisierten Gegenstand nun neu an der Stelle des schärfsten Sehens haben. Der blinde Fleck fällt uns dadurch nicht mehr auf. Wir sind an dieser Stelle doppelt blind. Der blinde Fleck  ist nicht nur blind, weil wir dort nichts sehen, wir sind darüber hinaus blind bezüglich der Tatsache, dass wir dort nichts sehen.

Bei der Semantik ist es genau gleich. Sie taucht in jedem Fachgebiet auf, um die Gegenstände des Fachgebiets zu beschreiben, gehört aber selber nicht zum Fachgebiet. Sie spielt also immer eine Rolle, aber man sieht sie nicht.

Soviel zum blinden Fleck – und weshalb wir Probleme haben, Semantik als solche, d.h. als eine Methode der Beschreibung von Bedeutung zu erkennen.

Dieser Beitrag ist fortgesetzt in: Und aussen war das Wort (1)


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