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Spiele und Intelligenz (1): Jassen und Schach

Schach oder Jassen, was erfordert mehr Intelligenz?

Jassen ist ein Schweizer Kartenspiel, verwandt mit Bridge, wenn auch etwas hemdsärmliger.

Allgemein wird angenommen, dass Schach mehr Intelligenz verlangt, denn offensichtlich haben weniger intelligente Spieler beim Jassen durchaus eine Chance, beim Schach hingegen nicht. Wenn wir uns überlegen, was ein Computerprogramm können muss, um zu siegen, sieht das Bild aber schnell anders aus: Schach ist für eine Maschine eindeutig einfacher.

Das überrascht Sie vielleicht, aber es lohnt sich, die Gemeinsamkeiten der beiden Spiele, aber auch die Unterschiede genauer anzusehen – und natürlich hat beides viel mit unserem Thema Künstliche Intelligenz zu tun.

Gemeinsamkeiten

a) Klares Spielfeld

Das Schachbrett hat 64 schwarze und weisse Felder. Nur die Figuren, die sich auf diesen Feldern befinden, spielen eine Rolle. Beim Jassen könnte man den sogenannten Jassteppich als Spielfeld bezeichnen. Dieser ist das materielle Spielfeld, so wie das materielle Schachbrett das Spielfeld fürs Schach ist. Wenn wir uns für das siegreiche Spielverhalten interessieren, spielen die Farbe des Jassteppichs und die materielle Beschaffenheit des Schachbretts jedoch keine Rolle, sondern es kommt nur auf das abstrakte, d.h. das ‹informatische› Spielfeld an: Wo können sich unsere Schachfiguren und Spielkarten bewegen? Und diesbezüglich ist die Situation auch beim Jassen völlig klar. Die Karten sind zu jedem Zeitpunkt an einem klar definierten Ort, entweder bei einem bestimmten Spieler bereit zum Ausspielen, bei einem bestimmten Spieler bereits eingesteckt als seine ‹Beute› oder auf dem Jassteppich als offene und für jeden sichtbare Karte. Sowohl beim Schach wie beim Jassen können wir von einem klar definierten Spielfeld ausgehen.

b) Klare Spielregeln

Auch hier gibt es zwischen den beiden Spielen kaum einen Unterschied. Zwar variieren in der Schweiz die Jassregeln von Dorf zu Dorf und von ‹Beiz› zu ‹Beiz› und ein diesbezüglicher Dissens kann zu heftigen Diskussionen führen, doch sobald man sich auf ein Set an Regeln geeinigt hat, ist die Situation klar. Wie beim Schach ist eindeutig, was geht und was nicht, und die möglichen Aktivitäten der Spieler sind eindeutig definiert.

c) Klarer Spielverlauf (Zeitverlauf)

Auch hier unterscheiden sich die beiden Spiele nicht. Zu jedem Zeitpunkt gibt es genau einen Akteur, der handeln darf und seine Handlungsmöglichkeiten sind klar definiert.

d) Klares Spielziel

Beim Schach geht es darum, den gegnerischen König matt zu setzen, ein ganz eindeutiges, klar definiertes Ziel. Beim Jassen entscheidet die Punkte- oder Stichzahl, je nach Variante. Jedes Spiel hat ein klar definiertes Ende. Beim Jassen wird nach neun Stichen gezählt, beim Schach verhindern Remis- und Patt-Regeln, dass ein Spiel nicht beendet werden kann. Es gibt immer einen klaren Sieger und klare Verlierer, notfalls ein definitives Unentschieden.

Unterschiede

e) Eindeutige Ausgangssituation?

Beim Schach ist die Ausgangslage bei jedem Spiel identisch, alle Figuren haben ihren angestammten Platz. Beim Jassen hingegen wird vor jedem Spiel gemischt. Während wir beim Schach somit immer die gleiche Ausgangslage vorfinden, müssen wir uns beim Jassen auf eine immer neue einstellen. Der Zufall spielt somit beim Jassen eine wichtige Rolle, beim Schach ist er hingegen  ganz bewusst ausgeschlossen. Das hat natürlich Konsequenzen. Weil ich beim Jassen mit dem Zufall rechnen muss, kann ich nicht wie beim Schach mit Gewissheiten, sondern muss mit Wahrscheinlichkeiten rechnen.

f) Verdeckte Informationen?

Das Nichtwissen bleibt nun für die Jasser während des ganzen Spiels eine Herausforderung. Während beim Schach zu jedem Zeitpunkt und für jeden Spieler alles offen auf dem Brett erkennbar ist, lebt das Jassen geradezu davon, dass der beteiligte Spieler NICHT weiss, wo sich die Karten befinden. Er muss also raten – d.h. mit Wahrscheinlichkeiten rechnen – und ein bestimmtes Risiko eingehen. Beim Schach gibt es kein Raten, die Situation ist immer klar, offen und evident. Selbstverständlich ist dadurch die Situation beim Schach wesentlich einfacher zu beschreiben, beim Jassen hingegen erschwert das Nicht-Wissen die Beschreibung der Situation.

g) Wahrscheinlichkeiten und Emotionen (Psychologie)

Wenn ich nicht alles weiss, muss ich mit Wahrscheinlichkeiten rechnen. Die Beobachtung zeigt, dass wir Menschen darin durchs Band sehr schlecht sind. Wir lassen uns dabei von Emotionen sehr viel stärker lenken, als wir uns das eingestehen möchten. Ängste und Hoffnungen bestimmen unsere Vorstellungen, und wir schätzen Wahrscheinlichkeiten oft grob falsch ein. Ein KI-Programm hat hier natürlich Vorteile, da Emotionen keine Rolle spielen und die Wahrscheinlichkeiten auch kalkulatorisch viel besser verarbeitet werden können. Doch die Maschine will ja einen Gegner besiegen und muss deshalb seine Reaktionen korrekt einschätzen. Das KI-Programm tut deshalb gut daran, den fehlerhaften Umgang des Gegenübers mit Wahrscheinlichkeiten in seine Überlegungen mit einzubeziehen, was algorithmisch aber nicht sehr einfach ist. Wie erkennt es den Optimisten? Der menschliche Spieler versucht den Gegner zu lesen und ihn gleichzeitig über die eigenen Emotionen zu täuschen. Das gehört zum Spiel. Es nützt dem Programm nichts, wenn es emotionslos rechnet, die Emotionen des Gegenübers aber nicht erkennen und bewerten kann.

h) Kommunikation 

Schach wird von einem Spieler gegen einen anderen gespielt. Gejasst wird meist zu viert, zwei Spieler gegen zwei andere. Dieser Aspekt, dass nämlich zwei Individuen ihre Aktionen miteinander abstimmen müssen, macht das Spiel interessant, und es wäre für ein Jass-Programm fatal, wenn es diesen Aspekt vernachlässigen würde. Wie sollen wir das nun programmieren? Beachten müssen wir dabei natürlich auch den Punkt f) oben, nämlich die Tatsache, dass ich die Karten meines Partners nicht sehen kann, ich kenne weder die Karten meiner Gegner, noch diejenigen meines Partners. Mein Partner und ich sind selbstverständlich daran interessiert, unser Spiel zu koordinieren, und dazu gehört, dass wir einander unsere Möglichkeiten (verdeckte Karten) und unsere Strategien (Absichten zum Spielverlauf) mitteilen. Wenn ich zum Beispiel ein Herz-As habe, möchte ich, dass mein Partner Herz spielt, sodass ich den Stich machen kann. Das darf ich ihm aber nicht offen sagen. Für routinierte Jasser ist das jedoch kein Problem. Erstens ergibt sich aus dem Spielverlauf oft, wer das Herz-As verdeckt in seinen Karten hat. Natürlich ist es nicht einfach, das herauszufinden, da dafür sowohl die gespielten Karten als auch mögliche Taktiken und Strategien in die Kalkulation einbezogen werden müssen. Die Zahl der Möglichkeiten, die Kalkulation der Wahrscheinlichkeiten und die Psychologie der Player kommen alle hier ins Spiel, was zu einer sehr spannenden Gemengelage führen kann – die ja letztlich auch den Reiz des Spiels ausmacht. Beim Schach hingegen, mit seiner stets sehr expliziten Situation, sind die Verhältnisse diesbezüglich sehr viel einfacher.

Doch es kommt noch dicker:

i) Der legale Graubereich

Kann ich mit meinem Partner wirklich nicht über unsere Karten und unsere Strategie kommunizieren? Offiziell ist das natürlich verboten – aber lässt sich das Verbot in der Praxis wirklich durchsetzen?

Natürlich nicht. Während beim Schach praktisch nur die expliziten Spielzüge eine Rolle spielen, gibt es beim Jassen viele zusätzliche Informationen, die ein geübter Spieler lesen können muss. Wie lächle ich, wenn ich eine Karte spiele? Wenn ich das Herz-As habe, das den nächsten Stich machen kann, möchte ich natürlich, dass mein Partner mir hilft und Herz ausspielt. Eine Möglichkeit das zu erreichen, wenn der Partner am Stich ist, ist es, eine wertlose Herzkarte zu spielen und sie dabei ganz deutlich und kräftig auf den Tisch zu hauen. Ein geübter Jasspartner wird das problemlos als Zeichen verstehen, als nächstes Herz und nicht etwa Karo auszuspielen, damit ich in der Folge mit meinem As den Stich machen kann. Niemand wird mir dieses Auf-den-Tisch-Hauen – solange es genügend diskret ist – wirklich verbieten können. Wirklich eingespielte Jassfreunde kennen neben den völlig legalen Zeichen, die sie automatisch durch die Wahl ihrer gespielten Karten abgeben, auch einige Zeichen aus dem Graubereich, mit denen sie ihr Spiel koordinieren.

Diese Zeichen sind Informationen, die eine ambitionierte KI erkennen und verarbeiten können muss. Die Menge der Information, die sie dabei verarbeiten muss, ist nicht nur viel grösser als die Informationsmenge beim Schach, sie ist auch keinesfalls limitiert. Meine KI spielt ja gegen zwei menschliche Gegner und auch diese kommunizieren. Ihre Kommunikation sollte die KI erkennen, um nicht hoffnungslos über den Tisch gezogen zu werden. Die von den Gegnern vereinbarten Zeichen können natürlich variieren und beliebig raffiniert sein. Wie findet meine KI heraus, wie sich die beiden vorgängig abgesprochen haben?

Fazit

Jassen ist schwieriger zu programmieren als Schach

Wenn wir ein Programm für das Jassen entwickeln wollen, müssen wir die Aspekte e) bis i) berücksichtigen, beim Schach hingegen spielen sie kaum eine Rolle. Algorithmisch gesehen stellen die Aspekte e) bis i) jedoch wegen ihrer Unwägbarkeiten eine schwierige Herausforderung dar.

Schach ist im Vergleich zum Jassen für den Computer wesentlich einfacher, da:

– immer gleiche Ausgangssituation
– keine verdeckte Information
– kein Einbezug von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen
– geringe Rolle der menschlichen Emotionen
– kein legaler Graubereich, da kein Informationsaustausch zwischen zwei Partnern möglich ist

Schach ist deshalb für ein KI-Programm das einfachere Spiel. Es ist komplett definiert, d.h. die Informationsmenge, die im Spiel ist, ist sehr klein, klar offengelegt und klar begrenzt. Beim Jassen ist all das nicht der Fall.


Dies ist ein Beitrag zum Thema künstliche Intelligenz. Im zweiten Teil zum Thema Spiele und Intelligenz werde ich auf Go und Deep Learning eingehen.