Die 21. Reise und die künstliche Intelligenz

Littering im Weltraum ist nicht erst seit Elon Musks Starlink-Programm ein Thema und aktuell werden verschiedene Methoden zur Reinigung des zunehmend vermüllten Weltraums rund um unserer Erde diskutiert. Die Aufgabe ist nicht einfach, weil – aufgrund des zweiten Hauptsatzes, nämlich der unausweichlichen Entropiezunahme – jede Vermüllung die Tendenz hat, exponentiell zuzunehmen. Wenn eines der Tausenden von Schrottteilen im Weltraum von einem anderen Schrottteil getroffen wird, entstehen aus dem einen getroffenen Stück viele neue, mit irrer Geschwindigkeit herumfliegende Teile. Das Weltraumvermüllung ist also ein Selbstläufer mit zunehmend exponentieller Tendenz.

Aber kennen wir dieses Problem nicht schon lange? In den 60-er Jahren hatte der polnische Schriftsteller Stanislaw Lem bereits darüber geschrieben. Ich holte deshalb seine Zusammenstellung der Reisen des Kosmonauten Ijon Tichys hervor. In der 21. seiner Reisen trifft dieser auf einen vermüllten Planeten. Tichy, der weitgereiste Kosmonaut, schreibt:

«Jede Zivilisation, die in der technischen Phase steckt, beginnt allmählich in den Abfällen zu versinken, die ihr gewaltige Sorgen bereiten.»

Des weiteren beschreibt Tichy, wie deshalb die Abfälle in den Weltraum rund um den Planeten entsorgt werden, dort aber neue Probleme bereiten, was Folgen hat, die auch Kosmonaut Tichy zu spüren bekommt.

Doch die 21. Reise hat es aus noch ganz anderen Gründen in sich. Das Hauptthema dieser Reise ist – wie bei vielen Geschichten von Stanislaw Lem – die künstliche Intelligenz.

Tichy trifft auf dem jetzt gereinigten Planeten nicht nur auf eine weitere unliebsame Folge des zweiten Hauptsatzes (nämlich eine entartete Biogenetik), sondern auch auf einen Mönchsorden, der aus Robotern besteht. Diese Robotor diskutieren mit Tichy über die Bedingungen und Folgen ihrer künstlichen Intelligenz. So sagt z.B. der Roboterprior über die Beweiskraft von Algorithmen:

«Die Logik ist ein Werkzeug» erwiderte der Prior, «und aus einem Werkzeug resultiert nichts. Es muss einen Schaft und eine lenkende Hand haben.» (S. 272, Lem)

Ich selber bewegte mich – ohne dass mir der Zusammenhang und die mögliche Beeinflussung meiner Gedanken durch Stanislaw Lem bewusst war – ganz auf den Spuren von Lems Roboter-Priors und schrieb:

«Eine Instanz (Intelligenz) […]  muss zwecks Beurteilung der Daten den Bezug zwischen den Daten und dem Beurteilungsziel herstellen. Diese Aufgabe ist immer an eine Instanz mit einer bestimmten Absicht gebunden.» (Straub 2021, S. 64-65)

Lem hat bereits vor 50 Jahren  formuliert, was meines Erachtens den prinzipiellen Unterschied zwischen einer Werkzeug-Intelligenz und einer belebten (d.h. biologischen) Intelligenz ausmacht – nämlich die Absicht, welche die Logik lenkt. Bei der Maschine fehlt sie, bzw. wird sie von aussen (von wem?) eingebeben. Die menschliche Intelligenz hingegen kann – wenn wir keine Roboter sein wollen – ihre Ziele selber bestimmen. Sie besteht in den Worten von Lems Prior nicht nur aus der Logik, welche von der lenkenden Hand geführt wird, sondern beinhaltet die lenkende Hand mit.

Als Konsequenz dieser Überlegung folgt für mich bezüglich KI:

Wenn wir uns der technischen Möglichkeiten der KI bedienen (und weshalb sollten wir nicht?), dann sollten wir immer auch berücksichtigen, nach welchem Ziel unsere Algorithmen ausgerichtet sind.

Literatur

  • Lem, S. (1971) Sterntagebücher, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1978.
  • Straub, HR. (2021) Wie die künstliche Intelligenz zur Intelligenz kommt, St. Gallen, ZIM-Verlag.
  • Nowotny, H. (2021) In AI we Trust, Power, Illusion and Control of Predictive Algorithms, Cambridge/Medford, Polity Press.

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