Resonante Tonleitern

Resonanzen spielen bei unseren Tonleitern eine entscheidende Rolle. Die Bedingungen für die Resonanzentstehung zwischen zwei Tönen sind in der Physik gut bekannt und zeigen einfache mathematische Verhältnisse. Die Frequenzen der beiden Töne stehen nämlich, wenn sich Resonanz entwickelt, in einem Verhältnis, das als Bruch zwischen zwei ganzen Zahlen gesehen werden kann. Das besondere dabei ist, dass die Resonanz umso stärker ist, je kleiner die beiden Zahlen sind, ideal sind 1, 2, 3, 4 und 5.

So entsteht eine Resonanz am leichtesten beim gleichen Ton (1/1), bei der Oktave (2/1), der Quint (3/2) und der Quart (4/3). Auch die grosse (5/4) und die kleine Terz (6/5) zeigen Brüche mit ausgesprochen kleinen Zählern und Nennern. Insgesamt erfüllen total 10 Töne die mathematisch formulierbaren Bedingungen für starke Resonanzen.

Kann man nun aus diesen zehn am stärksten resonanten Tönen – oder einer Auswahl aus ihnen – sinnvolle Tonleitern aufbauen? Und kommen solche Tonleitern in der Natur auch vor – d.h. werden sie in den menschlichen Kulturen auch verwendet?

Hier wird es nun interessant, denn die beiden Tonleitern, welche aus mathematischen Gründen die stärksten Resonanzen zwischen ihren einzelnen Tönen aufweisen, sind verblüffenderweise genau die, welche in allen Kulturkreisen vorkommen. Es handelt sich um die Dur- und die Moll-Pentatonik. Diese beiden Pentatoniken verwenden von den erwähnten zehn resonantesten Tonleitertönen genau diejenigen fünf, welche auch unter sich ausschliesslich starke Resonanzen aufweisen. Diese beiden Pentatoniken klingen deshalb nie «falsch», d.h. alle ihre Töne passen immer reibungslos, eben resonant zusammen.

Bei Tonleitern mit sieben Tönen (=Heptatoniken) ist es unsere bekannte Dur-Tonleiter (=ionisch), welche die stärkste Resonanz aller Tonleitertöne mit dem Grundton aufweist. Die Dur-Heptatonik ergänzt die eng mit ihr verwandte Dur-Pentatonik um zwei neue Töne, nämlich um die Quart und die grosse Sept. Diese beiden zusätzlichen Töne sind ebenfalls bereits im Set der 10 resonanten Tonleitertöne enthalten. Sie bringen für die Dur-Heptatonik im Vergleich zur reibungslosen Dur-Pentatonik mehrere Vorteile: Die beiden zusätzlichen Töne erlauben es insbesondere, durch ein flexibles Einstellen der Resonanzen Spannung und Entspannung erlebbar zu machen. Dies ist bei der Dur-Pentatonik schlechter möglich, weil bei ihr nur resonante, d.h. spannungslose Töne vorkommen.

Die Dur-Heptatonik erweitert die Dur-Pentatonik noch in anderer Hinsicht: Sie bietet neu die Möglichkeit, den hochresonanten und dadurch sehr wohlklingenden Dur-Dreiklang (Grundton – grosse Terz – Quint), der sich in der Pentatonik bereits auf dem Grundton aufbauen lässt, noch auf zwei weiteren Tönen aufzubauen, nämlich auf der Quinte (Dominante) und auf der Quarte (Subdominante). Zwischen den drei Akkorden, die jeweils in sich ruhend sind, kann nun hin und her gewechselt werden. Mit den zwei zusätzlichen Tönen können deshalb weit interessantere Harmoniefolgen entstehen als mit den einfachen Standard-Pentatoniken.

Eine Übersicht über die weiteren Beiträge zur Drei-Welten-Theorie, den Tonleitern und Resonanzen finden sie hier.

2 thoughts on “Resonante Tonleitern”

  1. Hansruedi, wie du schilderst zeigen die Töne unserer Tonleitern ganz einfache mathematische Zusammenhänge.Sehr ähnliche oder eigentlich gleiche Verhältnisse finden sich auch bei Polyrhythmen. Sehr schön zeigt das Adam Neely auf YouTube:
    https://youtu.be/JiNKlhspdKg

    Frequenzen und deren Beziehungen zu Klang,Licht und Rhythmus werden ausdrücklich dargestellt.

    1. Vielen Dank, Heinz, für diesen Link!
      Adam Neely erklärt nicht nur zutreffend ganz spannende Dinge, sondern erklärt sie auch sehr anschaulich und witzig.
      Insbesondere seine Demonstration der Parallele zwischen Akkorden und Polyrhythmen (ab Minute 23:37) ist sehr eindrücklich. Die Parallele von Musik und Farbe sehe ich allerdings eher kritisch – gerade die Drei-Welten-Theorie kann uns die Fallen aufzeigen, in die uns individuelle Synästhesien locken.
      Dies tut aber seiner These keinen Abbruch, dass Akkorde in Wirklichkeit das gleiche sind wie Polyrhythmen, einfach ein bisschen schneller (=Part 2 – 5, ab Minute 7:23). Eine faszinierende Darstellung eines fundamentalen, aber nicht weit herum bekannten Facts, die ich allen empfehle, die sich für Rhythmen und Harmonien interessieren!

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