Weshalb Resonanz auch bei Unschärfe funktioniert

Wann entsteht Resonanz?

Resonanz zwischen zwei physikalischen Medien hängt vom Frequenzverhältnis ihrer Eigenschwingungen ab. Wenn die beiden Frequenzen einen einfachen Bruch bilden, z.B. 2/1 oder 3/2, kann Resonanz entstehen. In einem früheren Beitrag  habe ich dargestellt, wie die zehn einfachste Frequenzverhältnisse mathematisch zwingend genau zu den zehn Tönen führen, die in unseren Tonleitern vorkommen, seien es Dur, die verschiedene Molltonleitern, Kirchentonarten, Durpentatonik, Mollpentatonik, Bluestonleiter etc..

Reine und temperierte Stimmung

Funktioniert die Resonanz aber auch in der gleichstufig temperierten Stimmung? Im Beitrag zur gleichstufigen Stimmung haben wir gesehen, wie sich die beiden Stimmungen unterscheiden. Abb. 1 zeigt die die reine Stimmung in blau – d.h. die zehn resonantesten Intervalle, plus die beiden Füller Cis und Fis – und darunter die zwölf Intervalle der gleichstufig temperierten Stimmung in rot.

Abb 1: reine (blau) und gleichmässig temperierte Stimmung (rot), bei Grundton C (logarithmischer Darstellung)

Offensichtlich weichen die Frequenzverhältnisse der temperierten Stimmung von derjenigen der reinen Stimmung ab und entsprechen somit nicht mehr den einfachen Frequenzverhältnissen, welche ursprünglich zu unseren reinen Tonleitern geführt haben. Trotzdem funktioniert die unreine Stimmung und wir hören und unterscheiden kleine und grosse Terzen, Quinten und Sexten, obwohl sie gar nicht mehr rein sind. Sind die temperierten, also unreinen Intervalle dabei weiterhin resonant?

Die Antwort ist ein eindeutiges Ja.

Weshalb die unreine Stimmung trotzdem resonant ist

Abb 2. zeigt die Resonanz, abhängig, von der Frequenzrelation und der Dämpfung. Je grösser die Dämpfung ist, umso kleiner ist die Resonanz, ganz unabhängig von den Frequenzverhältnissen.

Interessant aber ist, wie die Frequenzverhältnisse – in Abb. 2 auf der Horizontalen von 0.0 bis 3.0 eingezeichnet – auf die Resonanzentstehung wirken. Am stärksten ist die Resonanz bei 1.0, also dann, wenn die beiden Medien, das anregende und das angeregte, die identische Frequenz haben. Doch auch wenn das Frequenzverhältnis nicht genau 1 ist, entsteht Resonanz. Dies ist der Grund, weshalb wir auch die temperierte Stimmung als resonant erleben.

Abb. 2: Resonanz in Abhängigkeit von der Präzision der Frequenzverhältnisse [Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Resonanz (1.8.2021)] Graphikautor:  https://commons.wikimedia.org/wiki/User:Geek3]

Die temperierte Stimmung mit ihren nicht ganz genauen Brüchen führt, wie in Abb. 2 ersichtlich ist, trotzdem zu Resonanzen zwischen den Intervallen, wenn auch zu etwas schwächeren. Weil wir praktisch nur Musik hören, die auf der temperierten Stimmung basiert, haben wir uns zudem daran gewöhnt. Reine Stimmung kann nur von Stimmen und Instrumenten erklingen, welche die Tonhöhen beliebig ändern können. Auf Tasteninstrumenten geht das nicht. Reine Streicherensembles oder unbegleitete Sänger aber können rein musizieren, und gute Ensembles tun das auch.

Zusätzliche Effekte der temperierten Stimmung

Der Hauptnutzen der Temperierung liegt in einer gewaltigen Erweiterung der kompositorischen Möglichkeiten.

Es gibt aber weitere zusätzliche Effekte: Die leichte «Verstimmung» der Intervalle führt zu Interferenzen (Schwebungen). Die Resonanz kann dabei ab- und anschwellen. Die Reibung von zwei unreinen gestimmten Töne kann einen dritten entstehen lassen, der sich den beiden anderen überlagert. Solche Effekte können auch bewusst bei der reinen Stimmung gesucht werden, indem der Sänger oder Instrumentalist die Tonhöhe leicht verschiebt und damit einen bewussten musikalischen Effekt erreicht, mit dem er spielen kann.

Auf diese Effekte möchte ich aber nicht weiter eingehen. Auch nicht auf die sehr interessanten Effekte, welche Klavierstimmer beachten müssen, wie z.B. das sogenannte Strecken über den GesamttonverlaufDas Stimmen z.B. eines Klaviers ist muss nämlich mehrere Ziele gleichzeitig beachten. Auch dabei wirken die die drei Welten gleichzeitig: Die Mathematik der reinen Zahlen, die Physik der realen Klaviersaiten und unser subjektiver Eindruck.

Aus zwei Gründen führe ich diese Überlegungen hier aber nicht weiter. Erstens sind die genannten akustischen Phänomene sehr gut beschreiben und zweitens von Fachleuten, die sich darauf spezialisiert haben und wesentlich mehr darüber wissen als ein Informatiker und Amateurmusiker wie ich. Für mich ist die gleichstufige Temperierung einfach eine geniale und praktische Erfindung, die ich sehr gerne akzeptiere, weil sie die harmonischen Möglichkeiten der Musik deutlich erweitert.

Ich setze deshalb diese Serie mit den Erweiterungen der kompositorischen Möglichkeiten fort, die sich durch die gleichstufige Temperierung ergeben


Die ist ein Beitrag zur Entstehung der Tonleitern.


 


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