Archiv der Kategorie: Drei-Welten-Theorie

Die Oktave

Eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit

Alle Tonleitern, die ich kenne, bewegen sich im Bereich einer Oktave. Auch Tonleitern, die für uns Europäer ungewöhnlich klingen, arabische, indische, japanische und afrikanische bewegen sich innerhalb genau einer Oktave, d.h. ihr tiefster und ihr höchster Ton haben den Abstand von genau einer Oktave, was für eine Tonart das auch ist.

Ich finde das äusserst bemerkenswert. Das ist so, als ob alle Sprachen der Welt, die ja sehr unterschiedliche Wörter haben, für einen bestimmten Begriff das gleiche Wort verwenden würden, und zwar schon immer und ganz unabhängig voneinander. Woher kommt das?

Die Drei-Welten-Theorie kann nun diese ungewöhnliche Gemeinsamkeit der Tonarten aller menschlichen Kulturen plausibel erklären.

Die Oktave platonisch

Wenn Sie eine Saite auf einer Geige zupfen, erhalten Sie einen Ton. Wenn Sie nun den Finger genau in der Mitte der Saite auf das Griffbrett drücken und dann zupfen, erklingt die Saite eine Oktave höher. Das gleiche gilt für Pfeifen. Eine Pfeife, die halb so lang ist wie eine andere, klingt eine Oktave höher. Offensichtlich liegt der Oktave ein Verhältnis 1:2 zugrunde. Das ist die platonische, d.h. mathematische Seite der Oktave. Einfache mathematischen Verhältnisse (= Brüche) spielen auch bei anderen Intervallen eine Rolle, worauf wir noch kommen werden.

Diese mathematischen Verhältnisse der Verhältnisse zwischen den Tönen – das heisst der Intervalle – sind schon lange bekannt und wurden vom Griechen Pythagoras gelehrt, der vor Sokrates und Platon eine einflussreiche Schule in Süditalien begründete.

Abb. 1: Eine schwingende Saite. Oben ist die Saite links und rechts (0 und 1) befestigt, kann dort also nicht schwingen. Je weiter weg von der Befestigung, umso stärker schwingt sie aus, am meisten in der Mitte. Unten ist in der Mitte ein Finger auf die Seite gedrückt, und sie schwingt nun in der halben Länge und eine Oktave höher. (Mit diesen Beschreibungen sind wir aber von der platonischen bereits in die physikalischen Welt eingetreten).

Das einfaches Zahlenverhältnis erklärt die Einzigartigkeit des gemeinsamen Merkmals Oktave über alle menschlichen Kulturen noch nicht. Weshalb spielt das Zahlenverhältnis für die Tonleitern überhaupt eine Rolle?

Zur Erklärung müssen wir die beiden anderen Welten ansehen, nämlich die physikalische, in der Töne erklingen, und die mentale, in der wir sie wahrnehmen.

Die Oktave physikalisch

Töne

Töne sind materielle Schwingungen in einem Trägermedium, z.B. Luft. Ein Ton enthält ist in der Regel eine Überlagerung von mehreren Schwingungen (Grundton plus Obertöne). An dieser Stelle schauen wir aber nur die Grundschwingung an, die die erkennbare Tonhöhe bestimmt.

Diese Grundschwingung ist eine Sinuskurve und die Tonhöhe wird als Frequenz angegeben, z.B. 440 Hz. Diese Frequenz bedeutet, dass die Sinuskurve 440 mal pro Sekunde hin und her schwingt. Das gleiche tut auch die Saite.

Die Saite schwingt an Ort, man spricht von einer stehenden Welle (siehe Abb. 1 oben). Die Schwingung in der Luft hingegen bewegt sich vom Ort fort (Wanderwelle). Durch ihre stationären Schwingung kann die Saite die Luft bewegen und führt so zu einer Schwingung in der Luft, einer Schallwelle. Dabei überträgt die Saite die Eigenschaften ihrer Schwingung, insbesondere deren Frequenz, auf die Schallwelle.

Die Wellenlänge in einer Wanderwelle, also einer Schallwelle, aber auch z.B. einer Welle auf der Wasseroberfläche ist der Abstand der Wellenbäuche (oder Wellenkämme)  voneinander. Bei einer stehenden Welle, also der Saite in Abb. 1 ist die Wellenlänge gleich der (doppelten) Länge der schwingenden Saite.

Wenn nun die Geschwindigkeit der Wanderwelle konstant ist, dann müssen mehr Wellenbäuche hintereinander kommen, je kürzer die Abstände zwischen ihnen sind. Die Abstände zwischen den Wellenkämmen entsprechen der Wellenlänge, die Zahl der Kämme pro Zeit der Frequenz der Welle. Je mehr Kämme an einem Ort durchlaufen, umso kleiner sind ihre Abstände.

Zwischen der Wellenlänge und ihrer Frequenz besteht somit ein umgekehrt proportionales Verhältnis, d.h. je kürzer die Wellenlänge umso höher muss die Frequenz sein. Deshalb schwingt die halb so lange Saite doppelt so schnell. Das ist der physikalische Ursprung der Oktave.

Tonentstehung

Wie kommt nun die Schwingung in die Saite? Dies rührt daher, dass eine gespannte Saite eine Tendenz zu einer Eigenschwingung hat, Die Spannung der Saite führt dazu, dass ein Anstoss, z.B. ein Zupfen der Saite, in ihr eine Bewegung auslöst, die an den beiden Enden der Saite nicht aufhört, sondern wieder zurück gestossen wird. Auf diese Weise bildet sich die stehende Welle aus. Die Wellenlänge, also der Abstand der Wellenbäuche, wird dabei von der Länge der Saite bestimmt. Der Grund dafür ist, dass an den beiden Enden der Saite keine Bewegung mehr möglich ist, da sie ja dort fest fixiert ist. Ausschwingen kann die Welle nur dazuwischen. Die Wellenlänge muss also genau in die Länge der Saite passen.

Die Oktave mental

Das Innenohr

Wir nehmen Töne mit unseren beiden Innenohren wahr. Diese sind äusserst raffiniert gebaute Organe mit einer schneckenförmigen Struktur, weshalb man auch von der Hörschnecke spricht. Die Schallwelle durchwandert von aussen her die flüssigkeitsgefüllte Hörschnecke und erzeugt durch Resonanz eine Schwingung der sogenannten Basilarmembran, welche  die gesamte Schnecke durchzieht. Entlang der Basilarmembran nehmen sogenannte Haarzellen die Schwingungen der Basilarmembran auf und leiten sie als elektrische Signale nach innen ins Hirn. Durch den komplexen und raffinierten Bau der Schnecke, der hier nur kursorisch beschrieben ist, können die akustischen Signale analytisch zerlegt werden, sodass je nach Frequenz unterschiedliche Haarzellen angeregt werden, je höher die Frequenz umso näher am Eingang der Schnecke, je tiefer umso mehr im Innern.

Die Tonwahrnehmung mental

Bis hier hat die Beschreibung der Tonwahrnehmung über das Innenohr noch nichts mit der mentalen Welt zu tun, es handelt sich nur um die anatomischen Voraussetzungen, d.h. den physikalischen Apparat, der die physikalischen Signale (die Schallwellen) gezielt für die eigentliche Wahrnehmung vorbereitet. Diese findet im Gehirn statt und ist ein subjektiver Vorgang.

Subjektive Vorgänge zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht von aussen nachvollzogen werden können. Wie Sie etwas hören und empfinden, weiss ich nicht, das ist ganz Ihre Welt. Allerdings haben wir als Menschen so viele Gemeinsamkeiten, dass ich in davon ausgehen kann, dass Sie vieles ganz ähnlich erleben wie ich. Wir haben die gleiche Anatomie und die gleichen Lebensbedingungen. Weshalb empfinden viele Menschen die gleiche Musik als schön? Wenn wir von der gleichen Musik gerührt werden, sie gleich wie andere als fröhlich, traurig, tröstend, mitreissend usw. empfinden, zeigt das, dass unsere mentalen Welten trotz ihrer Subjektivität stark verbunden sind.

Dabei spielen kulturelle Aspekte – also gelernte Gewohnheiten – eine ganz wichtige Rolle. Auch die Kultur gehört letztlich in die mentale Welt, sie ist der Geist, d.h. die Subjektivität, die wir teilen. Diese Subjektivität, die individuelle wie die kollektive, fusst aber auch auf den physikalischen Voraussetzungen.

Somit sind wir wieder bei unserem Thema: Weshalb haben alle Kulturen der Menschen die Oktave in ihren sonst so verschiedenen Tonleitern?

Der Grund ist physikalisch erklärbar und liegt in der Resonanz.

Die Resonanz

Resonanz ist eine Voraussetzung, dass die Töne im Innenohr überhaupt ankommen. Denn die Basilarmembran im Innenohr übernimmt die Schwingungen der Schallwellen auf eine ganz bestimmte Weise. Nicht alle Frequenzen finden auf der Basilarmembran die gleiche Resonanz. Das Innenohr ist so gebaut, dass die Basilarmembran am Eingang mit hohen Frequenzen in Resonanz gerät und in der Tiefe mit tiefen. So analysiert das Ohr die verschiedenen Tonhöhen. Aber die Resonanz ist noch für viel mehr verantwortlich, u.a. auch dafür, dass in den tausenden unterschiedlichen Tonleitern die Oktave immer vorkommt. Dieser auffällige Beobachtung werden wir im Fortsetzungsbeitag verfolgen.


Dies ist ein Beitrag zur Entstehung der Tonleitern


 

Tonleitern in der 3-Welten-Theorie

Tonleitern sind Muster

Wenn Sie eine Melodie hören, steht dahinter eine Tonleiter, d.h. ein Angebot von wenigen, ganz bestimmten Tönen, die überhaupt in der Melodie vorkommen können. Diese Töne in einer linearen Folge bilden die Leiter. Die meisten Melodien, die in unserem Kulturkreis zu hören sind, lassen sich auf eine einzige Tonleiter, die ionische oder Dur-Tonleiter zurückführen, die sieben Töne in ganz bestimmten Abständen aufweist.

Tausende von Tonleitern

Es gibt aber Tausende von unterschiedlichen Tonleitern. Vermutlich kennen Sie neben Dur auch Moll und haben vielleicht etwas von der Pentatonik gehört, von Ganztonleitern, von Phrygisch und Lydisch, von indischen Ragas, japanischen und afrikanischen Tonleitern. Alle diese Tonleitern sind verschieden.

Trotzdem haben sie, wie wir sehen werden, einige verblüffende Gemeinsamkeiten. Warum sollten die Menschen überall auf der Welt in allen Kulturen und bei allen Unterschieden sich freiwillig, ausnahmslos und strikt an diese Gemeinsamkeiten halten? Die Gründe dafür lassen sich gut erklären, wenn man nicht nur eine Welt anschaut, sondern das Zusammenspiel aller drei Welten.


In welcher der drei Welten existiert die Tonleitern?

Tonleitern sind Teil unserer Realität, wie immer wir Realität definieren. Es sei denn, wir definieren die Realität als das, was wir Materie nennen. Dann sind die Tonleitern nicht Teil der Materie. Sie prägen sich zwar in der physikalischen Welt aus, z.B. wenn ein Mensch sie singt oder spielt, aber sie haben eine Identität, die unabhängig von der jeweiligen Ausführung ist. Die Tonleiter ist also in diesem Sinn nichtlokal, wie es typischerweise Entitäten in der platonischen Welt sind. Zwischen der Tonleiter und ihrer Ausführung besteht dann das Verhältnis von einem abstrakten, d.h. platonischen Muster zu seiner materiellen Instanz. Es handelt sich immer dabei um ein 1/n – Verhältnis, denn das Muster ist einmalig, doch daraus können beliebig viele Instanzen gewonnen werden.

Als Muster gehört die Tonleiter in die platonische Welt, auch wenn sie sich in die materielle Welt hinein ausprägt. Gerade die Mathematik hat viel mit der Form der Tonleitern zu tun, was leicht zu zeigen ist, doch andererseits müssen Sie gar nichts von dieser Mathematik wissen, um Tonleitern korrekt zu erkennen und oder zu singen. Ihre mentale Welt, in der Sie die Tonleiter erleben, braucht keine Zahlen und Formeln.

Eine Tonleiter existiert somit in allen drei Welten:

Platonische Welt: Hier existiert die Tonleiter als eine Entität, d.h. als eine Einheit und Ganzheit. Hier existiert jede Tonleiter nur einmal.

Physikalische Welt: Hier existiert die Tonleiter als eine beliebige Zahl von Vorkommnissen – wann immer Melodien auf ihrer Basis ertönen.

Mentale Welt: Hier, nämlich in Ihrem Kopf, erkennen Sie die Melodien und Tonleitern.

Selbstverständlich ist jede Welt ganz auf ihre eigene Weise organisiert. Wie spielen nun die drei Welten zusammen? Wir schauen das am Beispiel der Oktave an.


Dies ist ein Beitrag zur Drei-Welten-Theorie.

 

Die physikalische Welt

Die Welt der Naturwissenschaften

Die physikalische Welt ist das, was die Naturwissenschaften untersuchen, allen voran die Physik. Die Erfolge des naturwissenschaftlichen Programms sind offensichtlich, sowohl bezüglich der Einblicke in das Funktionieren der Welt, also der Theorie, wie auch bezüglich der dadurch ermöglichten Techniken, also der Praxis. Die Naturwissenschaften haben unsere Welt seit Galileo Galilei fundamental verändert.

Objektivität

Der Erfolg wurde dadurch möglich, dass sich die Denker und Forscher in Europa seit der Renaissance nicht mehr auf das beriefen, was von altersher überliefert war, sondern vorurteilsfrei selber forschten und suchten. Während die Mönche in den Klöstern alte Schriften interpretieren und kompilierten (Scholastik), wagten die freien Geister das zu glauben, was sie in der Natur selber sehen konnten – auch wenn es im Widerspruch zu klösterlichen Autoritäten war.

Mit dem Wegfall der alten Autoritäten brauchte es aber eine neue Richtschnur, damit nicht jeder irgendetwas behaupten konnte. Die These eines Forscher sollte unabhängig überprüfbar sein, und nur das sollte fortan als wahr und zutreffend gelten, was von allen zweifelsfrei beobachtbar ist. Das Ideal der Objektivität war geboren.

Messbarkeit

Aber nicht nur objektiv, d.h. von jedermann überprüfbar, sondern auch ganz genau sollte die Welt beschrieben werden können. Das hat zwei Vorteile: a) Eine These ist umso glaubhafter, je präziser ihre Voraussagen sind. Je genauer gemessen werden kann, umso aussagekräftiger werden die Beobachtungen. b) Neben präziseren Erkenntnissen erlauben die genauen Messungen auch den Bau von immer präziseren Apparaten.

Die Welt von aussen

Die Naturwissenschaften konzentrierten sich somit darauf, was von aussen gesehen und gemessen werden kann. Das ist das, was Penrose als die physikalische Welt bezeichnet. Nicht meine Innensicht, meine Empfindung oder mein Glaube ist gefragt, sondern das, was sich zweifelsfrei von aussen beobachten und messen lässt. Das ist die physikalische Welt.

Die physikalische Welt im Zusammenspiel

Man könnte nun die physikalische Welt als die einzig wahre Wirklichkeit ansehen, doch wird unser Weltbild plastischer, wenn wir die beiden anderen Welten hinzunehmen. Wie spielen die drei Welten zusammen? – Es gibt Brücken von einer zur anderen, es gibt Übergänge, und es gibt Wirkungen von einer Welt in die anderen. Wie das funktioniert, lässt sich am Beispiel der Musik ausführen, die an allen drei Welten teilhat.


Dies ist ein Beitrag zur Drei-Welten-Theorie.

Die platonische Welt

Warum ‹platonisch›?

Penrose bezeichnet eine der drei Welten in der Drei-Welten-Theorie als platonisch. Weshalb?

Platon

Der reiche Athener Bürger Platon war ein Anhänger des Philosophen Sokrates. Er hat im 4. Jahrhundert vor Christus eine Philosophenschule gegründet, die für die europäische Philosophie grundlegend war und die philosophische Diskussion bis in unsere Zeit entscheidend prägte. Wenn also Roger Penrose eine der drei Welten ‹platonisch› nennt, bezieht er sich auf Platon und im Speziellen auf eine bestimmte Frage und den Diskurs darüber, der bis heute ausstrahlt. Die Frage lautet: Sind Ideen real?

Platons Ideenrealismus

Oft wurde von den nachfolgenden Philosophen das Thema als ein Konflikt zwischen Platon und seinem Schüler Aristoteles dargestellt. Platon wird die Haltung zugeschrieben, dass die Ideen nicht nur real seien, sondern sogar die eigentliche Realität, und das, was wir als Realität bezeichnen, nur ein Abklatsch der Ideen. Penrose bezeichnet nun die abstrakte Welt der Mathematik als ‹platonische› und nimmt damit Bezug auf den Gedanken Platons, dass nämlich den abstrakten Ideen ein Realitätswert zukommt.

Die Ideenwelt als eine der drei Welten

Die platonische Realität der Ideen wurde natürlich auch bestritten und Europas Philosophiegeschichte ist voll von Pros und Contras dazu, die unter den Stichworten Realismus, Nominalismus und Universalienstreit den Diskurs der Philosophen über viele Jahrhunderte geprägt haben und im Hintergrund auch heute noch wirksam sind. Die Theorie von Penrose ordnet nun wie Platon der abstrakten platonischen Welt eine Realität zu, aber nicht die der einzigen Realität, wie das ein kompromissloser platonischer Realismus tun würde, sondern als eine der drei Realwelten, die miteinander im Austausch stehen. Es geht also bei der Drei-Welten-Theorie nicht darum, welche Welt die reale oder wahre sei – wie etwa im Universalienstreit –, sondern darum, wie der Austausch zwischen ihnen stattfindet.

Doch zurück zur platonischen Welt. Was zeichnet sie gegenüber den anderen beiden aus?

Charakteristika der platonischen Welt

Nicht-Lokalität

Wo ist die Zahl ‹3›? Können Sie irgendwo in Ihrer Umgebung darauf zeigen?

Sie können natürlich auf drei Äpfel zeigen, auf drei Bleistiftstriche oder auf drei Kaffeetassen, aber das ist nicht die Zahl Drei, sondern das sind Äpfel, Bleistiftstriche und Kaffeetassen. Die Zahl Drei bleibt abstrakt. Niemand kann darauf zeigen.

Selbstverständlich können Sie auch das Wort ‹drei› oder auf die ‹3› in diesem Text zeigen, aber das sind nur die Symbole für die Zahl und nicht die Zahl selber. Die Zahl selber bleibt abstrakt; sie existiert gleichzeitig überall und nirgendwo.

Symbole stehen immer an einem bestimmten Ort, sie sind also lokalisiert. Die Zahl selber aber ist nicht-lokal, d.h. es gibt keinen Ort im Universum, an dem sich die Zahl befindet, sie befindet sich vielmehr überall. Es gibt sie auf der Erde, dem Mond und ebenso auf der Andromeda. Diese Nicht-Lokalität ist eine ganz elementare Eigenschaft der Objekte der platonischen Welt, und sie zeichnet sie insbesondere gegenüber den Objekten der physikalischen Welt aus, in der die Objekte örtlich definiert, d.h. lokalisiert sind.

Zeitlosigkeit

Mit der Zeit verhält es sich analog zum Ort:

1 plus 2 sind 3 – das ist wahr, und zwar gestern, heute, morgen und in alle Ewigkeit. Man kann die platonische Welt in diesem Sinn als einen Ort der ewigen Wahrheiten bezeichnen, ganz im Gegensatz zur physikalischen Welt, die dem steten Wandel unterworfen ist. Wenn es heute regnet, kann morgen die Sonne scheinen, 1 plus 2 hingegen ergibt an allen Tagen drei. Diese Zeitlosigkeit gilt für alle mathematische Aussagen, aber auch für ihre Objekte, wieder im Gegensatz zu den Objekten der physikalischen Welt: die Zahl 3 ist zeitlos, 3 Äpfel hingegen sind es nicht.


Dies ist ein Beitrag zur 3-Welten-Theorie.

Die Drei-Welten-Theorie (Roger Penrose)

Die drei Welten

Es gibt praktische Fragen, die mit unseren konkreten Leben zu tun haben, und theoretische Fragen, die damit scheinbar nichts zu tun haben. Es gibt aber auch theoretische Überlegungen, die durchaus mit unserem praktischen Alltag zu tun haben. Eine davon ist die Drei-Welten-Theorie, die sich damit beschäftigt, in welchen Welten wir konkret leben.

Auf welchem Grund steht unsere ganz alltägliche Existenz? Die Drei-Welten-Theorie weist darauf hin, dass wir uns gleichzeitig in drei grundverschiedenen Welten bewegen. Praktisch stellt das für uns kein Problem dar, theoretisch hingegen stellt sich die Frage, wie drei so verschiedene Welten sich denn in der Realität überhaupt begegnen können.

Bei Roger Penrose heissen die drei Welten:
A) Platonic World
B) Physical World
C) Mental World

Hier ist die originale Darstellung von Roger Penrose:

Platonic World: Die Welt der Ideen. Mathematik z.B. befindet sich gänzlich in der platonischen Welt.

Physical World: Die reale, physische Welt mit Dingen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt an einen bestimmten Ort sind.

Mental World: Meine subjektiven Wahrnehmungen, die mich die anderen Welten erst erkennen lassen. Aber auch meine Gedanken und Vorstellungen, so wie ich sie erlebe.

Das Kreisverhältnis zwischen den drei Welten

Die Pfeile zwischen den Kugeln deuten das Kreisverhältnis an, das diese Welten nach Penrose miteinander eingehen:

Platonic → Physical: Hinter der Physik steckt Mathematik. Physik ist ohne höhere Mathematik undenkbar. Offensichtlich hält sich die physikalische Welt sehr genau an mathematische Gesetze. Wird die Realwelt also von der Mathematik bestimmt?

Physical → Mental: Mein Hirn ist ein Gegenstand der physikalischen Welt. Nach gängiger Vorstellung bestimmen die Neuronen des Hirngewebes mit ihren elektrischen Schaltungen meine Hirnleistungen.

Mental → Platonic: Grosse Denker sind in der Lage, in Gedanken (Mental World) die Gesetze der Mathematik zu formulieren, sie ‹entstehen› in ihrem Kopf.

Das ist also der Kreisprozess:
Die platonische Welt (Mathematik) bestimmt die physikalische. Diese ist die Basis für das menschliche Denken. Im menschliche Denken wiederum haben Mathematik (und andere Ideen) ihren Platz. Die mathematischen Gesetze … hier schliesst sich der Kreis.

Mächtigkeiten der drei Welten

Interessant sind auch die sich öffnenden Trichter in Penrose’s Skizze, die zusammen mit den Pfeilen von einer Welt zur nächsten weisen. Penrose deutet damit an, dass die im Kreisprozess folgende Welt nur einen Teil der Welt benötigt, aus der sie während des Generierungsprozesses entsteht.

Platonic → Physical: Nur ein kleiner Teil der mathematischen Erkenntnisse kann in der Physik verwendet werden. So gesehen brauchen (sind?) die physikalischen Gesetze nur einen Ausschnitt aus der Mathematik.

Physical → Mental: Mein Hirn ist ein sehr kleiner Teil der physikalischen Welt.

Mental → Platonic: Mein Hirn beschäftigt sich mit vielem; Mathematik und abstrakte Ideen sind nur ein Teil davon.

Die Platonische Welt ist dann wieder Ursprung für die physische Welt. Die Grössenverhältnisse scheinen dabei aber nicht richtig aufzugehen. Das gleicht der berühmten ewigen Treppe:

Die ewige Treppe

Nebenbemerkung:
Die ewige Treppe wurde  von Roger Penrose’s Vater, Lionel Penrose enteckt und wird auch Penrose-Treppe genannt  – bzw. Escher-Penrose-Treppe nach dem holländischen Grafiker, der u.a. Douglas Hofstadter zu seinem Buch ‹Gödel, Escher, Bach› inspiriert hat. Die Endlosigkeit, mit der die Treppe steigt, ist grafisch scheinbar mühelos darstellbar, logisch jedoch höchst verzwickt (selbstreferenzielles Tabu).

Für Penrose liegt ein Geheimnis in den drei Welten. Er schreibt:

«Zweifellos gibt es in Wirklichkeit nicht drei Welten, sondern nur eine, und das wahre Wesen dieser Welt können wir gegenwärtig nicht einmal erahnen.»

Es geht also um drei Welten in einer – und somit um ihre Unterschiede und die Art ihrer Verschränkung.

Keine abstrakte Theorie

Die drei Welten sind keine abstrakte Theorie, sondern lassen sich in unserer eigenen privaten Erlebniswelt erkennen. Sie spielen z.B. in der Musik eine wichtige Rolle. Am Beispiel der Musik kann man auch erkennen, wie die drei Welten zusammenwirken. Mehr dazu später auf dieser Website (siehe Übersichtseite zur Drei-Welten-Theorie).

Nachtrag im Oktober 2020:

Ich habe diesen Beitrag einen Monat vor der Bekanntgabe, dass Sir Roger Penrose den Nobelpreis bekommt, geschrieben. Ich freue mich sehr, dass dieser geniale Wissenschaftler den Preis bekommt.


Dies ist der Startbeitrag zum Thema Musikalische Tonleitern und Drei-Welten-Theorie.