Begriffserklärungen zur Sinusschwingung

Für unsere Resonanzüberlegungen spielen Sinusschwingungen eine entscheidende Rolle. Ich möchte auf dieser Seite die Begriffe, die ich dabei verwende, erklären.

Schwingung

Eine Schwingung ist eine Bewegung in der Zeit, die um eine Nulllinie herum pendelt.

Die Schwingung kann verschiedene Formen haben. Für unsere Resonanzüberlegungen gehen wir von reinen Sinusschwingungen aus, eine solche Schwingung zeigt die Abbildung.

Amplitude

Die Amplitude ist die Abweichung der Schwingung von der Nulllinie. Für unsere Überlegungen spielt sie primär keine Rolle.

Periode

Eine Periode dauert so lange, bis die Schwingung wieder am gleichen Ort ist und sich daraufhin genau gleich wiederholt. Je nach Form der Schwingung erfolgen pro Periode zwei oder mehr Nullliniendurchgänge, bei der Sinusschwingung sind es zwei in jeweils gegensätzlicher Richtung.

Wellenlänge

Die Wellenlänge ist die Länge einer Periode.

Frequenz

Die Frequenz bezeichnet die Anzahl der Perioden pro Zeiteinheit. Sie ist für unsere Resonanzüberlegungen die entscheidende Grösse, denn während Amplituden und Wellenlängen je nach Trägermedium der Welle wechseln, bleibt die Frequenz bei einer Schwingungsübertragung von einem Medium zum anderen erhalten.

«Bauch»

Pro Periode hat die Sinusschwingung einen Bauch in die positive und einen in die negative Richtung. Wenn wir die Bäuche pro Zeiteinheit zählen, messen wir damit die Frequenz. Das „Bauchzählen“ misst also die Frequenz. Der saloppe Ausdruck hat den Vorteil der Anschaulichkeit. Gleichzeitig betont der Ausdruck «Bauch» die Unteilbarkeit (mathematisch: ganze Zahlen!), während die Frequenz mit beliebigen reellen Zahlen angegeben werden kann.
Für die Resonanzverhältnisse werden immer ganze Zahlen, also die Zahl der vollendeten Bäuche, verglichen. Ob man nur die positiven oder sowohl positive wie negative Bäuche zählt, ist irrelevant, da beim Frequenzvergleich in beiden Fällen durch Kürzen die jeweils gleichen Quotienten (Brüche) entstehen.

Eigenfrequenz

Gewisse physikalische Medien (Saiten, Luftsäulen in Pfeifen, etc) haben die Eigenheit, in einer ganz bestimmten Frequenz zu schwingen, in ihrer Eigenfrequenz.

Grundton und Obertöne

Neben der Eigenfrequenz als Grundfrequenz (Grundton) kann das Medium auch mit einem ganzzahligen Vielfachen dieser Grundfrequenz schwingen. Ganzzahlig meint hier: Es kommt auf die Zahl der ganzen Perioden (Bäuche) an.

Wie Tonleitern entstehen

Die Drei-Welten-Theorie nach Sir Roger Penrose verbindet die ideale (mathematische) mit der physikalischen (materiellen) und der mentalen (subjektiven) Welt. Jede der drei Welten ist sehr verschieden von den anderen, doch wir leben gleichzeitig in allen dreien, die drei Welten bilden eine einzige, nämlich unsere Realität.

Um das Zusammenspielen der drei Welten verständlich zu machen, schaue ich mir im Moment das Entstehen der Tonleitern an. Es gibt bekanntlich Tausende davon und offensichtlich spielt die Mathematik bei den Tonleitern eine Rolle, aber auch die physikalischen Verhältnisse und die Eigenheiten unserer subjektiven Wahrnehmung tragen das Ihrige bei. Tonleitern eignen sich deshalb gut zur Erklärung des Zusammenwirkens der drei Welten.

Weshalb spielt zum Beispiel die Oktave in allen Musikkulturen der Welt die gleiche Rolle? Alle enthalten nicht nur die Oktave als Tonleiterton, sondern die Oktave ist auch immer der Schlusspunkt der Tonleiter, d.h. die Tonleitern bewegen sich immer innerhalb von genau einer Oktave. Weshalb?

Und wie entstehen die anderen Töne? Was sind die mathematischen, physikalischen und subjektiven Umstände, die zu den verschiedenen Tonleitertönen führen? Als zweit häufigster Tonleiterton stellt sich die Quinte heraus. Die mathematischen, physikalischen und mentalen Verhältnisse, die zur Quinte führen, beschreibe ich hier.


Eine Übersicht über alle bereits publizierten Beiträge zur Drei-Welten-Theorie finden Sie auf der Drei-Welten-Übersichtsseite.

Das «Herunterbrechen» der Quinte

Die Quinte

Schauen wir als erstes die Quinte an. Sie kommt in praktisch allen Tonleitern der menschlichen Kulturen vor. Tonleitern ohne diese reine Quinte existieren, doch diese Tonleitern erscheinen mir einerseits künstlich und bewusst konstruierte wie die Ganztonleiter zu sein, oder dann eher ungebräuchliche, wie das Lokrische. Die Bluestonleiter, die mit dem «Blueston», d.h. der «Flat Five», einen Ton knapp neben der Quinte benützt, kennt neben dieser verminderten Quinte (=Flat Five) auch die ganz normale Quinte. Die Quinte ist sicher nach der Oktave das Intervall, das am häufigsten in all den Tausenden von Tonleitern auf dieser Erde vorkommt.

Quinte und Duodezime

Kann diese normale Quinte wie die Oktave durch Resonanz entstehen? Sie ist zwar kein direkter Oberton, doch sie kann trotzdem über die Obertöne erreicht werden. Ich zeige hier gleich wie das funktioniert, nämlich über einen kurzen Umweg über die Duodezime, den dritten Oberton.

Zur Veranschaulichung zeige ich hier nochmals die Abbildung mit den schwingenden Obertönen:

Abb. 1: eine schwingende Saite mit Grundton und den ersten vier Obertönen

In Abb. 1 habe ich den dritten Oberton sogar schon als Quinte bezeichnet, eigentlich falsch, denn es ist in Wirklichkeit eine Duodezime. Trotzdem erscheint uns dieser Ton beim Hören sofort als eine Quinte. In Abb. 2 sehen Sie ein Beispiel für Quinten und Duodezimen auf dem Klavier:

Abb 2: Oktave und Duodezime auf dem Klavier

In unserem Beispiel ist der Grundton ein (grosses) C. Der erste Oberton, die Oktave, ist ein (kleines) c und der zweite Oberton, die Duodezime ein (kleines) g. Bekanntlich sind Intervalle immer relativ. Dieses kleine g ist nun bezogen auf den Grundton C zwar eine Duodezime, aber bezogen auf den ersten Oberton, nämlich auf das kleine c, ist das g eine Quinte.

Die Frequenz der Quinte

Wie steht es nun um dieses Intervall c-g frequenzmässig? Vergleichen wir dazu Abbildung 1 und 2: Der Ton 3 von Abb. 1 (g) ist das 3-fache der Grundschwingung (C) und der Ton 2 (c) das 2-fache. Somit schwingt Ton 3 (g) bezogen auf Ton 2 (c) 3/2 mal so schnell. Wenn wir also nicht das grosse, sondern das (kleine) c als Grundton nehmen, dann ist das (kleine) g die Quinte. Und in der Quinte schwingt der obere Ton (das g) 3/2 mal so schnell wie der untere Ton (das c). Das gilt ganz allgemein: Ein Ton der 3/2 mal so schnell schwingt wie ein anderer, klingt für uns eine Quinte höher.

Die drei Welten in der Quinte

Der Bruch 3/2 ist die mathematische Seite der Quinte. Wir haben sie über die Physik der Saitenschwingungen hergeleitet. Gleichzeitig haben wir die bereits erwähnten Bedingungen (Constraints) aus der mentalen Welt eingehalten: Die Quinte – wenn sie ein Tonleiterton sein soll – darf nämlich nicht zu weit weg vom Grundton sein. Das gilt für jeden Tonleiterton, er muss sich innerhalb einer Oktave bewegen. Mathematisch bedeutet das, dass das Verhältnis seiner Frequenz zur Frequenz des Grundtons zwischen 1 (=Grundton) und 2 (=Oktave) liegen muss. Die Quinte erfüllt das mit dem Frequenzverhältnis 3/2 = 1.5. Bei der Duodezime ist das Frequenzverhältnis 3, also grösser als 2 und somit ist die Duodezime kein Tonleiterton. Wir empfinden sie als Quinte, einfach eine Oktave höher, aber wie erwähnt, in der mentalen Welt empfinden wir die Oktave als den «gleichen» Ton.

Das Resonanzexperiment zur Quinte

Für den Bezug von Grundton, Quinte und Duodezime schlage ich Ihnen ein weiteres Resonanzexperiment auf dem Klavier vor:

Abb 3: Resonanzexperiment für die Quinte. Im Vergleich zu Abb. 2 ist nun die Quinte – das grosse G – und nicht das kleine g die Taste, auf der wir die Resonanz untersuchen.

Als erstes testen wir erneut die Duodezime und drücken wie beim Oktavexperiment mit der rechten Hand die Taste der Duodezime (das kleine g). Dabei soll die Saite nicht klingen, aber die Taste heruntergedrückt bleiben. Mit der linken Hand schlagen wir kurz und kräftig auf das C, also den Grundton. Wie beim Oktavexperiment sollte nun die heruntergedrückte Saite (g) klingen, obwohl sie nicht angeschlagen wurde. Es handelt sich um eine reine Resonanz, die Saite klingt, weil sie durch Schallwellen angeregt worden ist. Das funktioniert, weil das kleine g ein Oberton des grossen C ist.

Was aber ist mit dem grossen G, also der Quinte? Halten Sie zum Test das grosse G lautlos heruntergedrückt  und schlagen dabei kräftig den Grundton an, also das grosse C. Sie hören nun einen hohen Ton. Wenn Sie genau hinhören, werden Sie feststellen, dass es sich nicht um die Quinte, also das grosse G handelt, sondern um die Duodezime, nämlich das kleine g. Wie kommt das, das dieser Ton erklingt, wo Sie doch die Taste des kleinen g’s gar nicht heruntergedrückt halten?

Effektiv erklingt das kleine g auf der Saite des grossen G’s! Das heisst die Saite schwingt nicht in ihrer Grundschwingung, sondern in ihrer ersten Oberschwingung, der Oktave. Das geht gut, denn die Saite kann mit zwei Bäuchen fast so gut schwingen wie mit einem. Es handelt sich um einen sogenannten Flageolett-Ton.

Mit anderen Worten: Sie haben auf der Saite G eine Oberschwingung angeregt, deren Frequenz doppelt so schnell wie die Grundfrequenz der Saite ist. Woher aber wurde die Frequenz angeregt? – Es ist die gross C Saite, welche den Oberton initiiert hat. Auch bei der Schwingung dieser C-Saite ist ja das kleine g als Oberschwingung  enthalten, nämlich als 2 Oberton. Dieser 2. Oberton regt nun die (gross) G Saite zur Resonanz an, aber nicht in ihrer Grundschwingung, sondern in ihrem ersten Oberton, dem kleinen g. Denn nur dieses ist als Oberschwingung auf der (gross) G Saite anregbar. Diesen Ton (g) hören Sie auf der (G)-Saite, solange Sie die G-Taste gedrückt halten.

Tabelle 1: Die Resonanz in der Quinte

Die Resonanz erfolgt bei der Quinte somit über den Umweg der Obertöne.  Keine Saite ist in ihrer Grundschwingung beteiligt, sondern beide Saiten nur über ihre Oberschwingungen. Dass das funktioniert, haben Sie mit dem Quintenexperiment gezeigt.

Die Quinte, ein einfacher Bruch

In Tabelle 1 wird die Quinte als Bruch dargestellt: 3/2.

Wie wir gesehen haben, müssen alle Tonleitertöne im Bereich einer Oktave sein, das heisst ihre Frequenz muss zwischen dem Einfachen und dem Doppelten der Frequenz des Grundtons sein. Das haben wir mit dem Frequenzverhältnis 3/2 = 1.5 erreicht. Wir haben damit den ersten Ton innerhalb des Oktavbereichs  gefunden, der ein sehr einfaches Intervallverhältnis zum Grundton hat. Während die Oktave doppelt so schnell schwingt wie der Grundton, schwingt die Quinte 3/2 mal so schnell.

Die Obertöne kommen mit Ausnahme der Oktave für die Tonleitern nicht infrage. Sie können spielen aber trotzdem als Überträger der Resonanz eine Rolle. Wir haben die Quinte erhalten, indem wir die Duodezime (2. Oberton) einfach um eine Oktave herunter gebrochen haben. Dieses Herunterbrechen um eine Oktave zeigt sich als die 2 im Nenner. Die 3 im Zähler ist das «Erbe» des zweiten Obertons, der Duodezime, die dreimal so schnell schwingt wie der Grundton..

Ausblick

Mit dem Bruch 3/2, der die Quinte definiert, haben wir ein auffällig einfaches Zahlenverhältnis erhalten. Das ist kein Zufall. Wir werden sehen, wie diese einfachen Zahlenverhältnisse (ideale Welt) auch für die anderen Tonleitertöne eine Rolle spielen. Gleichzeitig werden wir sehen, dass das Kochbuch für diese Töne zuerst sehr mathematisch erscheint, dann aber durch die Constraints der physikalischen und mentalen Welt zunehmend gebrochen wird und schliesslich zu der scheinbar unendlichen Vielfalt an unterschiedlichen Tonleitern führt.

Schon die Tatsache, dass wir nicht mehr einfache ganzzahlige Verhältnisse wie bei den Obertönen für die Tonleitern verwenden können, sondern dass jetzt Brüche (mit ganzen Zahlen) verwendet werden, ist dem Constraint der Oktavbeschränkung geschuldet, die ein Constraint der physikalisch/mentalen Welt ist. Wir werden weitere Constraints finden – aber auch sehen und hören, wie die drei Welten immer wieder ganz nah zusammen kommen, fast so nah wie bei der Oktave.


Die Quinte ist nicht der einzige Bruch unter unseren Tonleiterintervallen. Ganzzahlige Brüche definieren die wichtigsten Tonintervalle. Mit einer einfachen Konstruktionsregel finden wir sie. Auf einem Fortsetzungbeitrag erkläre ich das Prinzip, das auf bemerkenswerte Weise Mathematik, Physik und menschliches Empfinden zusammenbringt.


Dies ist ein Beitrag zur Entstehung der Tonleitern


 

Die Obertonreihe ist keine Tonleiter

Die Reihe der Obertöne

Die Oktave ist bekanntlich der erste Oberton. Das physikalische Phänomen der Resonanz hat uns geholfen, die Rolle der Obertöne zu verstehen: In der physikalischen Welt können schwingende Medien wie eine Saite oder ein Rohr mit ihrer Grundfrequenz, aber zusätzlich auch mit einem ganzzahligen Vielfachen dieser Frequenz schwingen. Dabei entsteht die Oktave durch das erste ganzzahlige Vielfache – nämlich die Verdoppelung – der Grundfrequenz.

Es wäre nun naheliegend, die weiteren Obertöne, ebenfalls ganzzahlige Vervielfachungen der Grundfrequenz, hinzuzunehmen, und so die Töne der Tonleitern zu erklären.

 

Abb. 1: Grundton und erste vier Oberschwingungen

Abb. 1 zeigt, wie eine Saite schwingt und wie sich Oktave und weitere Obertöne dazu gesellen. Während der Grundton mit genau einem «Bauch» schwingt, schwingen die Obertöne mit zwei, drei, vier Bäuchen usf. Das führt, wenn man vom Grundton C ausgeht zu folgender Reihe von Obertönen:

Abb. 2: Obertonreihe, ausgehend vom Grundton C (Ton 1) bis zum c»› (Ton 16)

Die Tonleiter spielt in einem abgeschlossenen Frequenzbereich.

Resonanz erklärt die Obertonreihe, inklusive der Oktave. Wie aber kommt eine Tonleiter zustande, die ja den engen Bereich zwischen dem Grundton und dem ersten Oberton, nämlich der Oktave füllen soll? Wie im Vorbeitrag erwähnt, unterliegen die Tonleitertöne nämlich dieser Einschränkung, sie müssen alle im Bereich einer Oktave liegen. Die Obertonreihe führt aber weit über eine Oktave hinaus.

Zudem zeigt Abb. 2, dass auch die Abstände der Obertöne sehr unterschiedlich sind. Während sie zu Beginn sehr weit auseinander liegen, näheren sie sich im Verlauf immer enger einander an. Dies wäre für eine real zu verwendende Tonleiter sehr unpraktisch.

Wir sehen allerdings, dass die Obertöne ab Ton 4 und noch mehr zwischen Ton 8 und Ton 16 so etwas wie eine Art Dur-Tonleiter bilden: c, d, e, (f), g (a), (h), h, c. Nicht ganz, aber fast unsere Dur-Tonleiter. Die Töne in Klammern (11,13,14) liegen etwas daneben.

Die natürliche «Tonleiter» des Alphorns

In der Tat entspricht die Tonleiter zwischen Ton 8 und Ton 16 der natürlichen Tonleiter eines Alphorns – allerdings mitsamt den «schrägen» Tönen 11,13 und 14 und ohne die eigentlich wichtige Quart, nämlich dem f. Trotzdem ist die Naturtonreihe auf dem Alphorn – aber auch nur zwischen Ton 8 und Ton 16 – fast so etwas wie eine natürliche Tonleiter, indem sie eine vernünftige Anzahl Töne in den Bereich einer Oktave packt, und das erst noch resonanzbasiert.

Doch die auf dem Alphorn spielbare Obertonreihe ist trotzdem keine wirkliche Tonleiter. Man kann damit nämlich die Tonleiter nur zwischen Ton 8 und Ton 16 spielen, darunter fehlen die meisten Tonleitertöne und darüber finden sich verwirrend viele weitere Töne, und zwar immer dichter gelegen. Das entspricht nicht einer Tonleiter, die sich Oktave für Oktave wiederholt. Zudem ist das Instrument etwas unpraktisch. Um Töne in normaler Tonhöhe zu spielen, muss das Horn gezwungenermassen sehr lang sein. Bei Geige oder einer Flöte ist das anders, nämlich wesentlich praktischer. Mit diesen kleineren Instrumenten erreichen wir die Tonleitertöne allerdings nicht als Obertöne (das wären Flageolett-Töne bei der Geige oder reine Überblasungen wie beim Alphorn bei der Flöte), sondern durch bewusste mechanische Manipulation der physikalischen Schwingungsträgers, nämlich der Saiten der Geige und der Luftsäule in der Flöte.

Spielen nun die Obertöne und die Resonanzen bei den Tonleitern trotzdem eine Rolle? – Aber ja! Lesen Sie dazu den Folgebeitrag, der erklärt, wie die Quinte in die Tonleiter kommt, obwohl sie gar kein Oberton ist.


Dies ist ein Beitrag zur Entstehung der Tonleitern


 

Reale Constraints für Tonleitern

Dies ist ein Beitrag zur Entstehung der Tonleitern und setzt den Beitrag zur Wahrnehmung der Oktave fort.

Funktioniert das Zusammentreffen der drei Welten nur für die Oktave?

Die Oktave zeigt, wie mit der mathematisch organisierten Obertonreihe die Mathematik, also die ideale (Penrose: platonische) Welt in die physikalische Welt eintritt und wie dieses Zusammentreffen von Mathematik (ganze Zahlen) und Physik (schwingende Materie) ein ganz spezielles Phänomen ermöglicht, nämlich die Resonanz. Die Resonanz wiederum nehmen wir Menschen subjektiv (Penrose: mentale Welt) als etwas ganz besonderes wahr. Zwei Töne im Abstand von einer Oktave erkennen wir subjektiv als gleiche Töne. Jedem von uns erscheint – unabhängig von der kulturellen Prägung – ein Ton mit der doppelten Frequenz als der «gleiche» Ton (Happy-Birthday-Experiment).

Wenn das Frequenzverhältnis (Mathematik) nur ein bisschen abweicht, verschwindet die Resonanz (Physik) und die Töne erscheinen uns (mental) als verschieden, ihr gemeinsames Erklingen als ein Missklang.

Bei der Oktave als erstem Oberton verbinden sich also die drei Welten. Können wir die auf die Oktave folgenden weiteren Obertöne ebenfalls für unsere Tonleiter verwenden? Die Antwort auf diese Frage ist kein einfaches Ja, denn die mathematische Reihe der ganzen Zahlen muss sich in die Sachzwänge der physikalischen und der mentalen Welt einfügen.

Was sind das für Zwänge? Und ist die Obertonreihe überhaupt eine Tonleiter, die in der Praxis Sinn macht?

Sachzwänge (Constraints) in der physikalisch / mentalen Welt
Töne dienen der Kommunikation und Säugetiere und Menschen kommunizieren akustisch. Sie sind fähig, Laute zu produzieren und sie zu hören. Diese physikalisch/mentale Gegebenheiten der Kommunikation müssen wir berücksichtigen, wenn wir uns überlegen, wie die Tonleitern entstanden sind.

Wir können nämlich mit unserer Stimme nicht Tonhöhen beliebiger Frequenz produzieren. Und wenn zwei Töne von ihrer Frequenz sehr weit auseinander sind, können wir schlecht ihren gegenseitigen Abstand messen (mentale, subjektive Welt). Deshalb dürfen die Töne einer Tonleiter nicht zu weit voneinander entfernt sein. Dies ist der erste Sachzwang der physikalischen und mentalen Welt bei der Bildung von Tonleitern.

Diese physikalisch/mentale Einschränkung kann noch weiter begründet und präzisiert werden: Weil wir einen zweiten Ton eine Oktave höher als den «gleichen» Ton wahrnehmen (Happy-Birthday-Experiment), darf eine Tonleiter den Bereich einer Oktave nicht überschreiten. Es gäbe sonst eine Überschneidung der Tonleiter mit sich selber, weil Töne ausserhalb der Oktave innerhalb der Oktave sofort einen «gleichen» Ton finden.  Aus diesem Grund ist eine Tonleiter immer auf den Bereich einer Oktave beschränkt, genau so wie wir es in allen Musikkulturen auch feststellen können.

Die Töne dürfen andererseits auch nicht zu nah beisammen sein, denn dann können wir sie nicht mehr unterscheiden. Die Tonleitertöne dürfen aus diesem Grund nicht beliebig viele Töne haben – auch wenn dies mathematisch durchaus denkbar wäre. Doch nicht alles, was mathematisch möglich ist, macht in der Realität Sinn.

Die Folgen aus diesen Bedingungen für Tonleitern lassen sich in zwei Punkten zusammenfassen:

  1. Die Töne der Leiter dürfen sich nur im Raum einer Oktave bewegen.
  2. Es dürfen nicht zu viele Töne in der Tonleiter vorkommen.

Dies ist das physikalisch/mentale Constraint für Tonleitern.


Wie können nun unter diesen Constraints überzeugende Tonleitern entstehen? Können das weiterhin solche sein, die einfache mathematische Verhältnisse aufweisen?  → siehe Folgebeitrag.


Dies ist ein Beitrag zur  Entstehung der Tonleitern


 

Die Wahrnehmung der Oktave mental

Dies ist ein Beitrag zur Entstehung der Tonleitern und setzt den Beitrag zur Resonanz der Oktave fort.


Die subjektive Seite

Die mathematische oder nach Penrose platonische Welt mit ihren einfachen Zahlenverhältnissen und die physikalische Welt mit ihren Resonanzphänomenen bringt uns die Oktave näher, erklärt aber noch nicht, weshalb dieses Intervall in allen Kulturen die Basis von allen Tonleitern ist. Dazu müssen wir auch die mentale Welt betrachten, das heisst die Welt unserer subjektiven Wahrnehmung.

Diese ist zwar allen zugänglich, doch es bleibt ihre eigene und subjektive Wahrnehmung. Ich kann nicht in Ihren Kopf sehen. Zwar können bildgebende Verfahren (MRI, PET) objektiv feststellen, welche Hirnareale wann aktiv sind, doch was auf diese Weise wahrnehmbar wird, ist der Blutfluss an einer bestimmten Stelle und nicht der Gedanke, wie Sie ihn erleben.

Happy Birthday

Die mentale Welt ist Ihre höchst persönliche Welt, doch für das Primat der Oktave trägt sie einiges bei. Wieder schlage ich ein kleines Experiment vor, zwar kein objektives wie im Vorbeitrag, doch ein durchaus nachvollziehbares. Der Vorteil ist: Mit grosser Wahrscheinlichkeit haben Sie es bereits schon mehrmals durchgeführt.

Es kann auch das Weihnachtslied im Familienkreis sein. Mehrere Menschen singen zusammen und wenn wir Glück haben, singen wir einstimmig. Das ist jedenfalls meistens unsere Absicht. Es funktioniert besser, wenn alle Sänger etwa die gleiche Stimmlage haben. Was aber, wenn Frauen und Männer und Kinder zusammen singen? Auch dann erkennen wir, wenn alle einstimmig zusammen sind. Wir singen zwar nicht die gleichen Frequenzen, sondern Frequenzen mit einer Oktave Abstand, merken das aber praktisch nicht. Der Abstand von einer Oktave klingt für uns als der gleiche Ton. Wenn ich als Bass neben dem Alt die tiefere Oktave nicht treffe, singe ich falsch, wenn ich sie treffe, singe ich richtig. Das ist die subjektive Wirkung der Oktave: Es ist der gleiche Ton.

Die Resonanz in der physikalischen Welt erleichtert dieses subjektive Zusammenfallen der Töne im Oktavabstand, und vermutlich unterstützen uns die Resonanzverhältnisse auf der Basilarmembran des Innenohrs darin, die beiden Frequenzen auch subjektiv in unserer mentalen Welt zusammenzubringen.

Erster und zweiter Oberton

Die Oktave als erster mathematisch-physikalisch möglicher Oberton unterscheidet sich in dieser Beziehung vom zweiten Oberton, der in der Tonleiter auf eine Quint fällt. Zur Verdeutlichung des mathematischen Bezugs zeige ich nochmals die Schwingungsverhältnisse von Grundton und den ersten Obertönen:

Abb. 1: Oktave und Quinte als Obertöne

Weshalb ist nun die Oktave das Merkmal der Einstimmigkeit und nicht die Quinte, obwohl beide mathematisch und physikalisch die engste Beziehung zum Grundton haben? Die Quinte ist zwar mathematisch gesehen etwas weiter weg vom Grundton als die Oktave, aber die Doppeloktave ist es noch weiter und trotzdem empfinden wir die Doppeloktave genau wie die Oktave mental als den «gleichen» Ton wie den Grundton.

In der mentalen Welt, also in unserem Erleben, unterscheiden sich Oktave und Quinte deutlich. In dieser Welt sind die Oktave (und alle Mehrfach-Oktaven) der «gleiche» Ton – die Quinte aber ist ein anderer Ton. Das ist überall auf der Welt so, in allen Kulturen. Weil ein Ton eine Oktave höher als der gleiche Ton empfunden wird, wiederholen sich die Tonleitern eine Oktave höher, und nicht etwa eine Quinte.

Ein Experiment zur Unterscheidung von Oktave und Quinte in der mentalen Welt

Das oben beschriebene Happy-Birthday Experiment kann erweitert werden und so auch den Unterschied zwischen Quinte und Oktave und die besondere Rolle der Oktave zeigen. Sänger können z.B. versuchen, bei der nächsten Geburtstags-Party den Song nicht eine Oktave tiefer (oder höher) zu singen, sondern eine Quinte. Das dürfte ziemlich schwierig für Sie sein, weil Sie eben nicht den «gleichen» Ton singen wie die anderen. Und falls Sie es schaffen, werden die anderen Sie verwundert ansehen, weil Sie eben die Quinte und «nicht den gleichen Ton» singen. Die Oktave ist der «gleiche» Ton, die Quinte ist es nicht.

Über den Zugang zur mentalen Welt

Die mentale Welt lässt sich bekanntlich schwierig beweisen, da sie völlig subjektiv ist. Obwohl jeder mit seinen Gedanken und Empfindungen dauernd in dieser Welt lebt, ist sie objektiver naturwissenschaftlicher Untersuchung nur indirekt zugänglich. Die Inhalte Ihres mentalen Erlebens können Sie anderen Menschen mitteilen, aber ganz sicher können Sie nie sein, dass die anderen sie auch gleich empfinden. Sie können nur hoffen, dass die anderen Ihr Erleben nachvollziehen können. Doch genau dieses subjektive Erleben und Nachvollziehen macht ja die Musik so interessant. Auf eine ganz besondere Weise teilen wir so unsere Subjektivität.

Fazit

Wir sehen, wie sich genau bei der Oktave die mathematische, die physikalische und die mentale Welt treffen. Die einheitliche Bedeutung der Oktave in allen Musikkulturen der Erde ist nur unter Einbezug aller drei Welten verstehbar.


In der Fortsetzung geht es um die weiteren Töne der Tonleitern. Können diese auch so einfach wie die Oktave erklärt werden?


Dies ist ein Beitrag zur Entstehung der Tonleitern


 

Resonanz und Oktave

Dies ist ein Beitrag zur Entstehung der Tonleitern und setzt den Beitrag zur Oktave fort.

Wir erzeugen eine Resonanz

Falls Resonanz für Sie ein abstraktes – oder noch kein erlebtes musikalisches – Phänomen ist, empfehle ich Ihnen folgendes einfaches Experiment: Suchen sie ein Klavier (kein digitales) und auf dem Klavier einen Ton, den Sie gut singen können. Drücken Sie die Taste mit diesem Ton und singen Sie ihn. Das setzt natürlich schon die Resonanz in ihrem Innenohr voraus, sonst würden Sie den Ton nicht treffen. Als nächstes drücken Sie die Klaviertaste, aber so, dass kein Ton erklingt und halten Sie die stumme Taste nach unten gedrückt. So kann die Saite frei schwingen. Jetzt singen Sie den Ton wieder. Wenn Sie die Tonhöhe der Taste erwischt haben, dann erklingt jetzt der Ton im Klavier, ohne dass Sie die Taste erneut anschlagen. Am besten funktioniert das, wenn das Klavier offen ist, und Sie die Saiten sehen können. Aber auch bei geschlossenem Klavierdeckel funktioniert es, Sie müssen eventuell nur ein bisschen lauter singen. Sie können nun verschiedene Töne singen, z.B. eine kleine Melodie und erkennen, dass der Ton im Klavier genau dann erklingt, wenn Ihre Stimme die gleiche Tonhöhe hat wie die Taste.

Falls Sie Mühe haben, den Ton zu treffen, geht es noch einfacher. Drücken Sie auf dem Klavier das Pedal ganz rechts. Jetzt können alle Saiten frei schwingen. Rufen Sie jetzt laut auf das Klavier ein, am besten bei offenem Deckel. Wieder hören Sie, wie die Saiten schwingen, als Echo auf ihre Stimme.

Einfache Resonanz

Die «Fernwirkung» im obigen Experiment ist keine Hexerei, sondern durch Schallwellen vermittelt. Diese treten mit der Saite in Resonanz. Das typische daran ist, dass die Resonanz nicht bei jeder Frequenz auftritt, sondern genau dann, wenn die Schallwelle die Eigenfrequenz der Saite trifft. Eigenfrequenzen sind Eigenschaften von vielen physikalischen Systemen, z.B. kann auch eine Brücke eine Eigenfrequenz haben oder ein Glas, ein Stück Holz oder ein Topf. Saiten- und Blasinstrumente sind dahingehend perfektioniert, dass sie besonders gut klingen, d.h. dass ihre Eigenfrequenzen besonders kräftig und klangvoll sind.

Resonanzen höheren Grades

Wieder schlage ich ein kleines Experiment vor und wieder benötigen Sie ein Klavier, diesmal sollte es gestimmt sein.

Abb 1: Zwei C’s auf dem Klavier im Abstand einer Oktave

Drücken Sie nun die Taste C auf dem Klavier, und zwar die obere (rechte) Taste C. Auf dem Klavier hat es natürlich viele von diesen C’s, nehmen Sie am besten zwei benachbarte C’s in der Mitte der Tastatur, dort ist das Experiment am deutlichsten zu hören. Sie können auch andere Töne als C’s nehmen, das Experiment funktioniert mit allen Tönen, Voraussetzung ist allerdings, dass der Abstand zwischen den beiden Tönen genau eine Oktave ist. Sie erkennen jetzt auch, woher die Oktave ihren Namen hat, das obere C ist acht (lateinisch: octo) Töne vom unteren entfernt (bei der Zählung wird für die musikalischen Intervalle der Ausgangston immer mitgezählt).

Sie haben jetzt die obere (rechte) C-Taste stumm nach unten gedrückt. Schlagen sie jetzt die untere C-Taste kurz und kräftig an. Sie hören jetzt wieder eine «Fernwirkung». Offensichtlich ist die Saite des oberen C’s durch den Anschlag des unteren in Schwingung geraten. Schlagen Sie nun eine Taste gleich links oder rechts neben dem unteren C an. Bei diesen Tasten können Sie das obere C nicht zum Klingen bringen, es entsteht keine Resonanz.

Weshalb genau bei einer Oktave eine Resonanz entsteht

Grundton und Obertöne

Abb. 2:  Mögliche Schwingungen einer Saite
In Abb. 2 sehen Sie fünf mögliche Schwingungsmuster für eine gespannte Seite. Unten (bei 1) schwingt die Saite mit genau einem Bauch in der Mitte. Bei 2 hat es zwei Bäuche, bei 5 fünf. Gelb ist die schwingende Saite gezeichnet, der schwarze Strich zeigt die korrespondierende Schallwelle, d.h. die Schallwelle (Wanderwelle), welche die gleiche Frequenz hat wie die stehende Welle, welche die klingende Saite darstellt. Diese Frequenz hat die Wellenlänge λ, ist also doppelt so lang wie die Saite.

Der Zustand 1 ist nun der Grundzustand, d.h. der Ton, der im oben vorgeschlagenen Experiment erklingt, wenn Sie eine Klaviertaste drücken. Der Zustand 2 ist der nächste erlaubte Zustand der Schwingung. Hier schwingt die Saite mit zwei Bäuchen, bei 3 sind es drei, etc. Alle Zustände also, bei denen die Saite an den Enden, an denen sie befestigt ist, nicht ausschwingt, sind Zustände, die ein ungehindertes Schwingen der Saite erlauben. Somit ist nicht nur der Zustand der einfachen Saitenschwingung möglich, sondern im Prinzip jeder, der einer Wellenlänge entspricht, die ganzzahlig in die Saitenlänge passt. Bei Zustand 2 ist die Wellenlänge halb so lang wie im Grundzustand und die Frequenz somit doppelt so gross (schnell,hoch). Zustand 2 entspricht mit seiner doppelt so grossen Frequenz dem Ton, der eine Oktave höher klingt, Zustand 4 dem Ton, der zwei Oktaven höher klingt.

Weshalb nun klingt das höhere C nun mit, wenn Sie, wie im Experiment oben vorgeschlagen, das tiefere C anschlagen? – Der Grund liegt darin, dass die Saite des tiefen C’s – wie jede Saite – nicht nur in der Grundschwingung (Zustand 1 in Abb. 2) erklingt, sondern mehr oder weniger in allen erlaubten Schwingungen. Diese Schwingungen überlagern sich also. Wenn nun die von der tieferen Saite ausgehenden Schallwellen die Saite des höheren C’s erreichen, dann enthalten sie neben der Grundschwingung immer etwas leiser auch die höheren Schwingungen und somit genau auch die Schwingung der Saite des höheren C’s. Einer Resonanz steht dadurch nichts mehr im Weg.

Sinusschwingung und Obertöne

Die schwarzen Kurve in Abb. 2 sind mathematisch gesehen Sinuskurven. Mit einem technischen Gerät ist es möglich, solche Kurven akustisch zu erzeugen, man spricht dann von einem Sinusschwingung. Mit natürlichen Klangkörpern, also der Klaviersaite, Ihrer Stimme oder überall sonst in der Natur kommen solche reinen Sinusschwingungen nicht vor, sondern die so erzeugten Schallwellen enthalten immer auch die höheren Schwingungen (Stufen 2 ff. in Abb. 2) in komplexen Überlagerungen mit. Man spricht von Obertönen. Die Anteile der einzelnen Obertöne, d.h. wie viel von den Schwingungen der Stufen 2 und folgende jeweils neben dem Grundton in der Mischung des Klangs mitschwingt, ist sehr variabel und wird von den physikalischen Eigenschaften des klangerzeugenden Mediums bestimmt. Diese Mischungen machen den Charakter des Klangs des jeweiligen Instruments aus.


Interpretation der Saitenschwingungen in den drei Welten

Platonisch → Physikalisch (Von einfach zu komplex)

Wir sehen am Beispiel der schwingenden Saite, wie mathematische Gesetzmässigkeiten aus der  platonischen Welt die physikalische Welt bestimmen. In der physikalischen Welt kommen sie aber sehr verschieden an und es entsteht eine grosse Vielfalt: Auf der Saite entstehen gleichzeitig mehrere Schwingungen, neben dem Grundton entstehen immer gleichzeitig viele Obertöne. Jede einzelne dieser Schwingungen kann mathematisch sehr einfach beschrieben werden. Die Mischung jedoch ist äusserst komplex.

Was mathematisch, d.h. in der abstrakten platonischen Welt sehr einfach ist, wird schnell komplex, sobald es in der physikalischen Welt wirkt.

Die unendliche Treppe in Penrose und «Anti-Penrose»-Richtung

Die Trichter in der Skizze von Penrose stellen m.E. nur eine Richtung der Verhältnisse dar. Penrose betont in seiner Darstellung, dass nicht die ganze Mathematik gebraucht wird, um die Physik zu beschreiben und kommt so zu Mengenverhältnissen, wie sie in der Skizze mit den Trichtern dargestellt sind und die wie die ewige Treppe der Logik zu widersprechen scheinen.

Doch meines Erachtens können die Trichter auch in der Gegenrichtung gesehen werden, dann wenn man die Informationsmenge betrachtet. Diese ist in der physikalischen Welt grösser als in der platonischen. Beim Eintreten der Mathematik in die Physik entsteht Neues, nämlich die komplexe Vielfalt der Mischungsverhältnisse. Diese konkrete Vielfalt in der physikalischen Welt stellt eine Information dar, die weit über die Information der ursprünglichen mathematischen Welt hinausgeht. Die Informationsmenge nimmt in Richtung von platonisch zu physikalisch zu. Das stellt mengenmässig eine Gegenbewegung zum Trichter von Penrose dar. Die unendliche Treppe der drei Welten verliert so bei näherem Hinsehen etwas von ihrem Paradoxie-Schrecken.

Platonisch → Mental

Vermutlich haben Sie schon technisch erzeugte Sinusschwingungen gehört. Sie standen am Anfang der elektronischen Musik und hatten damals den Reiz des Neuen und Technischen. Gerade ihre nackte Reinheit war beeindruckend. Allerdings sind diese Töne sind sehr schnell auch sehr langweilig. Die Reinheit und die sterile Banalität dieser technischen Klänge ist verursacht durch das fehlende Mitschwingen der Obertöne. Die reichhaltigen Informationen dieser Zusatzschwingungen nehmen wir als Hörer wahr und sie machen den Reichtum der natürlichen Klänge aus. Ich möchte nicht auf sie verzichten.


In einem Fortsetzungsbeitrag möchte ich erklären, weshalb die Oktave in der mentalen Welt so wichtig ist und was das dazu beiträgt, dass die Tonleitern in allen Kulturen stets die Oktave als Basis haben.


Dies ist ein Beitrag zur Entstehung der Tonleitern


 

Die Oktave

Eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit

Alle Tonleitern, die ich kenne, bewegen sich im Bereich einer Oktave. Auch Tonleitern, die für uns Europäer ungewöhnlich klingen, arabische, indische, japanische und afrikanische bewegen sich innerhalb genau einer Oktave, d.h. ihr tiefster und ihr höchster Ton haben den Abstand von genau einer Oktave, was für eine Tonart das auch ist.

Ich finde das äusserst bemerkenswert. Das ist so, als ob alle Sprachen der Welt, die ja sehr unterschiedliche Wörter haben, für einen bestimmten Begriff das gleiche Wort verwenden würden, und zwar schon immer und ganz unabhängig voneinander. Woher kommt das?

Die Drei-Welten-Theorie kann nun diese ungewöhnliche Gemeinsamkeit der Tonarten aller menschlichen Kulturen plausibel erklären.

Die Oktave platonisch

Wenn Sie eine Saite auf einer Geige zupfen, erhalten Sie einen Ton. Wenn Sie nun den Finger genau in der Mitte der Saite auf das Griffbrett drücken und dann zupfen, erklingt die Saite eine Oktave höher. Das gleiche gilt für Pfeifen. Eine Pfeife, die halb so lang ist wie eine andere, klingt eine Oktave höher. Offensichtlich liegt der Oktave ein Verhältnis 1:2 zugrunde. Das ist die platonische, d.h. mathematische Seite der Oktave. Einfache mathematischen Verhältnisse (= Brüche) spielen auch bei anderen Intervallen eine Rolle, worauf wir noch kommen werden.

Diese mathematischen Verhältnisse der Verhältnisse zwischen den Tönen – das heisst der Intervalle – sind schon lange bekannt und wurden vom Griechen Pythagoras gelehrt, der vor Sokrates und Platon eine einflussreiche Schule in Süditalien begründete.

Abb. 1: Eine schwingende Saite. Oben ist die Saite links und rechts (0 und 1) befestigt, kann dort also nicht schwingen. Je weiter weg von der Befestigung, umso stärker schwingt sie aus, am meisten in der Mitte. Unten ist in der Mitte ein Finger auf die Seite gedrückt, und sie schwingt nun in der halben Länge und eine Oktave höher. (Mit diesen Beschreibungen sind wir aber von der platonischen bereits in die physikalischen Welt eingetreten).

Das einfaches Zahlenverhältnis erklärt die Einzigartigkeit des gemeinsamen Merkmals Oktave über alle menschlichen Kulturen noch nicht. Weshalb spielt das Zahlenverhältnis für die Tonleitern überhaupt eine Rolle?

Zur Erklärung müssen wir die beiden anderen Welten ansehen, nämlich die physikalische, in der Töne erklingen, und die mentale, in der wir sie wahrnehmen.

Die Oktave physikalisch

Töne

Töne sind materielle Schwingungen in einem Trägermedium, z.B. Luft. Ein Ton enthält ist in der Regel eine Überlagerung von mehreren Schwingungen (Grundton plus Obertöne). An dieser Stelle schauen wir aber nur die Grundschwingung an, die die erkennbare Tonhöhe bestimmt.

Diese Grundschwingung ist eine Sinuskurve und die Tonhöhe wird als Frequenz angegeben, z.B. 440 Hz. Diese Frequenz bedeutet, dass die Sinuskurve 440 mal pro Sekunde hin und her schwingt. Das gleiche tut auch die Saite.

Die Saite schwingt an Ort, man spricht von einer stehenden Welle (siehe Abb. 1 oben). Die Schwingung in der Luft hingegen bewegt sich vom Ort fort (Wanderwelle). Durch ihre stationären Schwingung kann die Saite die Luft bewegen und führt so zu einer Schwingung in der Luft, einer Schallwelle. Dabei überträgt die Saite die Eigenschaften ihrer Schwingung, insbesondere deren Frequenz, auf die Schallwelle.

Die Wellenlänge in einer Wanderwelle, also einer Schallwelle, aber auch z.B. einer Welle auf der Wasseroberfläche ist der Abstand der Wellenbäuche (oder Wellenkämme)  voneinander. Bei einer stehenden Welle, also der Saite in Abb. 1 ist die Wellenlänge gleich der (doppelten) Länge der schwingenden Saite.

Wenn nun die Geschwindigkeit der Wanderwelle konstant ist, dann müssen mehr Wellenbäuche hintereinander kommen, je kürzer die Abstände zwischen ihnen sind. Die Abstände zwischen den Wellenkämmen entsprechen der Wellenlänge, die Zahl der Kämme pro Zeit der Frequenz der Welle. Je mehr Kämme an einem Ort durchlaufen, umso kleiner sind ihre Abstände.

Zwischen der Wellenlänge und ihrer Frequenz besteht somit ein umgekehrt proportionales Verhältnis, d.h. je kürzer die Wellenlänge umso höher muss die Frequenz sein. Deshalb schwingt die halb so lange Saite doppelt so schnell. Das ist der physikalische Ursprung der Oktave.

Tonentstehung

Wie kommt nun die Schwingung in die Saite? Dies rührt daher, dass eine gespannte Saite eine Tendenz zu einer Eigenschwingung hat, Die Spannung der Saite führt dazu, dass ein Anstoss, z.B. ein Zupfen der Saite, in ihr eine Bewegung auslöst, die an den beiden Enden der Saite nicht aufhört, sondern wieder zurück gestossen wird. Auf diese Weise bildet sich die stehende Welle aus. Die Wellenlänge, also der Abstand der Wellenbäuche, wird dabei von der Länge der Saite bestimmt. Der Grund dafür ist, dass an den beiden Enden der Saite keine Bewegung mehr möglich ist, da sie ja dort fest fixiert ist. Ausschwingen kann die Welle nur dazuwischen. Die Wellenlänge muss also genau in die Länge der Saite passen.

Die Oktave mental

Das Innenohr

Wir nehmen Töne mit unseren beiden Innenohren wahr. Diese sind äusserst raffiniert gebaute Organe mit einer schneckenförmigen Struktur, weshalb man auch von der Hörschnecke spricht. Die Schallwelle durchwandert von aussen her die flüssigkeitsgefüllte Hörschnecke und erzeugt durch Resonanz eine Schwingung der sogenannten Basilarmembran, welche  die gesamte Schnecke durchzieht. Entlang der Basilarmembran nehmen sogenannte Haarzellen die Schwingungen der Basilarmembran auf und leiten sie als elektrische Signale nach innen ins Hirn. Durch den komplexen und raffinierten Bau der Schnecke, der hier nur kursorisch beschrieben ist, können die akustischen Signale analytisch zerlegt werden, sodass je nach Frequenz unterschiedliche Haarzellen angeregt werden, je höher die Frequenz umso näher am Eingang der Schnecke, je tiefer umso mehr im Innern.

Die Tonwahrnehmung mental

Bis hier hat die Beschreibung der Tonwahrnehmung über das Innenohr noch nichts mit der mentalen Welt zu tun, es handelt sich nur um die anatomischen Voraussetzungen, d.h. den physikalischen Apparat, der die physikalischen Signale (die Schallwellen) gezielt für die eigentliche Wahrnehmung vorbereitet. Diese findet im Gehirn statt und ist ein subjektiver Vorgang.

Subjektive Vorgänge zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht von aussen nachvollzogen werden können. Wie Sie etwas hören und empfinden, weiss ich nicht, das ist ganz Ihre Welt. Allerdings haben wir als Menschen so viele Gemeinsamkeiten, dass ich in davon ausgehen kann, dass Sie vieles ganz ähnlich erleben wie ich. Wir haben die gleiche Anatomie und die gleichen Lebensbedingungen. Weshalb empfinden viele Menschen die gleiche Musik als schön? Wenn wir von der gleichen Musik gerührt werden, sie gleich wie andere als fröhlich, traurig, tröstend, mitreissend usw. empfinden, zeigt das, dass unsere mentalen Welten trotz ihrer Subjektivität stark verbunden sind.

Dabei spielen kulturelle Aspekte – also gelernte Gewohnheiten – eine ganz wichtige Rolle. Auch die Kultur gehört letztlich in die mentale Welt, sie ist der Geist, d.h. die Subjektivität, die wir teilen. Diese Subjektivität, die individuelle wie die kollektive, fusst aber auch auf den physikalischen Voraussetzungen.

Somit sind wir wieder bei unserem Thema: Weshalb haben alle Kulturen der Menschen die Oktave in ihren sonst so verschiedenen Tonleitern?

Der Grund ist physikalisch erklärbar und liegt in der Resonanz.

Die Resonanz

Resonanz ist eine Voraussetzung, dass die Töne im Innenohr überhaupt ankommen. Denn die Basilarmembran im Innenohr übernimmt die Schwingungen der Schallwellen auf eine ganz bestimmte Weise. Nicht alle Frequenzen finden auf der Basilarmembran die gleiche Resonanz. Das Innenohr ist so gebaut, dass die Basilarmembran am Eingang mit hohen Frequenzen in Resonanz gerät und in der Tiefe mit tiefen. So analysiert das Ohr die verschiedenen Tonhöhen. Aber die Resonanz ist noch für viel mehr verantwortlich, u.a. auch dafür, dass in den tausenden unterschiedlichen Tonleitern die Oktave immer vorkommt. Dieser auffällige Beobachtung werden wir im Fortsetzungsbeitag verfolgen.


Dies ist ein Beitrag zur Entstehung der Tonleitern


 

Tonleitern in der 3-Welten-Theorie

Tonleitern sind Muster

Wenn Sie eine Melodie hören, steht dahinter eine Tonleiter, d.h. ein Angebot von wenigen, ganz bestimmten Tönen, die überhaupt in der Melodie vorkommen können. Diese Töne in einer linearen Folge bilden die Leiter. Die meisten Melodien, die in unserem Kulturkreis zu hören sind, lassen sich auf eine einzige Tonleiter, die ionische oder Dur-Tonleiter zurückführen, die sieben Töne in ganz bestimmten Abständen aufweist.

Tausende von Tonleitern

Es gibt aber Tausende von unterschiedlichen Tonleitern. Vermutlich kennen Sie neben Dur auch Moll und haben vielleicht etwas von der Pentatonik gehört, von Ganztonleitern, von Phrygisch und Lydisch, von indischen Ragas, japanischen und afrikanischen Tonleitern. Alle diese Tonleitern sind verschieden.

Trotzdem haben sie, wie wir sehen werden, einige verblüffende Gemeinsamkeiten. Warum sollten die Menschen überall auf der Welt in allen Kulturen und bei allen Unterschieden sich freiwillig, ausnahmslos und strikt an diese Gemeinsamkeiten halten? Die Gründe dafür lassen sich gut erklären, wenn man nicht nur eine Welt anschaut, sondern das Zusammenspiel aller drei Welten.


In welcher der drei Welten existiert die Tonleitern?

Tonleitern sind Teil unserer Realität, wie immer wir Realität definieren. Es sei denn, wir definieren die Realität als das, was wir Materie nennen. Dann sind die Tonleitern nicht Teil der Materie. Sie prägen sich zwar in der physikalischen Welt aus, z.B. wenn ein Mensch sie singt oder spielt, aber sie haben eine Identität, die unabhängig von der jeweiligen Ausführung ist. Die Tonleiter ist also in diesem Sinn nichtlokal, wie es typischerweise Entitäten in der platonischen Welt sind. Zwischen der Tonleiter und ihrer Ausführung besteht dann das Verhältnis von einem abstrakten, d.h. platonischen Muster zu seiner materiellen Instanz. Es handelt sich immer dabei um ein 1/n – Verhältnis, denn das Muster ist einmalig, doch daraus können beliebig viele Instanzen gewonnen werden.

Als Muster gehört die Tonleiter in die platonische Welt, auch wenn sie sich in die materielle Welt hinein ausprägt. Gerade die Mathematik hat viel mit der Form der Tonleitern zu tun, was leicht zu zeigen ist, doch andererseits müssen Sie gar nichts von dieser Mathematik wissen, um Tonleitern korrekt zu erkennen und oder zu singen. Ihre mentale Welt, in der Sie die Tonleiter erleben, braucht keine Zahlen und Formeln.

Eine Tonleiter existiert somit in allen drei Welten:

Platonische Welt: Hier existiert die Tonleiter als eine Entität, d.h. als eine Einheit und Ganzheit. Hier existiert jede Tonleiter nur einmal.

Physikalische Welt: Hier existiert die Tonleiter als eine beliebige Zahl von Vorkommnissen – wann immer Melodien auf ihrer Basis ertönen.

Mentale Welt: Hier, nämlich in Ihrem Kopf, erkennen Sie die Melodien und Tonleitern.

Selbstverständlich ist jede Welt ganz auf ihre eigene Weise organisiert. Wie spielen nun die drei Welten zusammen? Wir schauen das am Beispiel der Oktave an.


Dies ist ein Beitrag zur Drei-Welten-Theorie.

 

Die physikalische Welt

Die Welt der Naturwissenschaften

Die physikalische Welt ist das, was die Naturwissenschaften untersuchen, allen voran die Physik. Die Erfolge des naturwissenschaftlichen Programms sind offensichtlich, sowohl bezüglich der Einblicke in das Funktionieren der Welt, also der Theorie, wie auch bezüglich der dadurch ermöglichten Techniken, also der Praxis. Die Naturwissenschaften haben unsere Welt seit Galileo Galilei fundamental verändert.

Objektivität

Der Erfolg wurde dadurch möglich, dass sich die Denker und Forscher in Europa seit der Renaissance nicht mehr auf das beriefen, was von altersher überliefert war, sondern vorurteilsfrei selber forschten und suchten. Während die Mönche in den Klöstern alte Schriften interpretieren und kompilierten (Scholastik), wagten die freien Geister das zu glauben, was sie in der Natur selber sehen konnten – auch wenn es im Widerspruch zu klösterlichen Autoritäten war.

Mit dem Wegfall der alten Autoritäten brauchte es aber eine neue Richtschnur, damit nicht jeder irgendetwas behaupten konnte. Die These eines Forscher sollte unabhängig überprüfbar sein, und nur das sollte fortan als wahr und zutreffend gelten, was von allen zweifelsfrei beobachtbar ist. Das Ideal der Objektivität war geboren.

Messbarkeit

Aber nicht nur objektiv, d.h. von jedermann überprüfbar, sondern auch ganz genau sollte die Welt beschrieben werden können. Das hat zwei Vorteile: a) Eine These ist umso glaubhafter, je präziser ihre Voraussagen sind. Je genauer gemessen werden kann, umso aussagekräftiger werden die Beobachtungen. b) Neben präziseren Erkenntnissen erlauben die genauen Messungen auch den Bau von immer präziseren Apparaten.

Die Welt von aussen

Die Naturwissenschaften konzentrierten sich somit darauf, was von aussen gesehen und gemessen werden kann. Das ist das, was Penrose als die physikalische Welt bezeichnet. Nicht meine Innensicht, meine Empfindung oder mein Glaube ist gefragt, sondern das, was sich zweifelsfrei von aussen beobachten und messen lässt. Das ist die physikalische Welt.

Die physikalische Welt im Zusammenspiel

Man könnte nun die physikalische Welt als die einzig wahre Wirklichkeit ansehen, doch wird unser Weltbild plastischer, wenn wir die beiden anderen Welten hinzunehmen. Wie spielen die drei Welten zusammen? – Es gibt Brücken von einer zur anderen, es gibt Übergänge, und es gibt Wirkungen von einer Welt in die anderen. Wie das funktioniert, lässt sich am Beispiel der Musik ausführen, die an allen drei Welten teilhat.


Dies ist ein Beitrag zur Drei-Welten-Theorie.

Die platonische Welt

Warum ‹platonisch›?

Penrose bezeichnet eine der drei Welten in der Drei-Welten-Theorie als platonisch. Weshalb?

Platon

Der reiche Athener Bürger Platon war ein Anhänger des Philosophen Sokrates. Er hat im 4. Jahrhundert vor Christus eine Philosophenschule gegründet, die für die europäische Philosophie grundlegend war und die philosophische Diskussion bis in unsere Zeit entscheidend prägte. Wenn also Roger Penrose eine der drei Welten ‹platonisch› nennt, bezieht er sich auf Platon und im Speziellen auf eine bestimmte Frage und den Diskurs darüber, der bis heute ausstrahlt. Die Frage lautet: Sind Ideen real?

Platons Ideenrealismus

Oft wurde von den nachfolgenden Philosophen das Thema als ein Konflikt zwischen Platon und seinem Schüler Aristoteles dargestellt. Platon wird die Haltung zugeschrieben, dass die Ideen nicht nur real seien, sondern sogar die eigentliche Realität, und das, was wir als Realität bezeichnen, nur ein Abklatsch der Ideen. Penrose bezeichnet nun die abstrakte Welt der Mathematik als ‹platonische› und nimmt damit Bezug auf den Gedanken Platons, dass nämlich den abstrakten Ideen ein Realitätswert zukommt.

Die Ideenwelt als eine der drei Welten

Die platonische Realität der Ideen wurde natürlich auch bestritten und Europas Philosophiegeschichte ist voll von Pros und Contras dazu, die unter den Stichworten Realismus, Nominalismus und Universalienstreit den Diskurs der Philosophen über viele Jahrhunderte geprägt haben und im Hintergrund auch heute noch wirksam sind. Die Theorie von Penrose ordnet nun wie Platon der abstrakten platonischen Welt eine Realität zu, aber nicht die der einzigen Realität, wie das ein kompromissloser platonischer Realismus tun würde, sondern als eine der drei Realwelten, die miteinander im Austausch stehen. Es geht also bei der Drei-Welten-Theorie nicht darum, welche Welt die reale oder wahre sei – wie etwa im Universalienstreit –, sondern darum, wie der Austausch zwischen ihnen stattfindet.

Doch zurück zur platonischen Welt. Was zeichnet sie gegenüber den anderen beiden aus?

Charakteristika der platonischen Welt

Nicht-Lokalität

Wo ist die Zahl ‹3›? Können Sie irgendwo in Ihrer Umgebung darauf zeigen?

Sie können natürlich auf drei Äpfel zeigen, auf drei Bleistiftstriche oder auf drei Kaffeetassen, aber das ist nicht die Zahl Drei, sondern das sind Äpfel, Bleistiftstriche und Kaffeetassen. Die Zahl Drei bleibt abstrakt. Niemand kann darauf zeigen.

Selbstverständlich können Sie auch das Wort ‹drei› oder auf die ‹3› in diesem Text zeigen, aber das sind nur die Symbole für die Zahl und nicht die Zahl selber. Die Zahl selber bleibt abstrakt; sie existiert gleichzeitig überall und nirgendwo.

Symbole stehen immer an einem bestimmten Ort, sie sind also lokalisiert. Die Zahl selber aber ist nicht-lokal, d.h. es gibt keinen Ort im Universum, an dem sich die Zahl befindet, sie befindet sich vielmehr überall. Es gibt sie auf der Erde, dem Mond und ebenso auf der Andromeda. Diese Nicht-Lokalität ist eine ganz elementare Eigenschaft der Objekte der platonischen Welt, und sie zeichnet sie insbesondere gegenüber den Objekten der physikalischen Welt aus, in der die Objekte örtlich definiert, d.h. lokalisiert sind.

Zeitlosigkeit

Mit der Zeit verhält es sich analog zum Ort:

1 plus 2 sind 3 – das ist wahr, und zwar gestern, heute, morgen und in alle Ewigkeit. Man kann die platonische Welt in diesem Sinn als einen Ort der ewigen Wahrheiten bezeichnen, ganz im Gegensatz zur physikalischen Welt, die dem steten Wandel unterworfen ist. Wenn es heute regnet, kann morgen die Sonne scheinen, 1 plus 2 hingegen ergibt an allen Tagen drei. Diese Zeitlosigkeit gilt für alle mathematische Aussagen, aber auch für ihre Objekte, wieder im Gegensatz zu den Objekten der physikalischen Welt: die Zahl 3 ist zeitlos, 3 Äpfel hingegen sind es nicht.


Dies ist ein Beitrag zur 3-Welten-Theorie.

Das Bit hat keine Bedeutung

Das Bit ist die Basis der IT

Unsere Informationstechnologie baut auf dem Bit auf. Alles, was in unseren Computern geschieht, basiert auf diesem kleinsten Basiselement der Information. Wenn Sie gefragt werden, was ein einzelnes Bit bedeutet, werden Sie möglicherweise antworten, dass das Bit zwei Zustände einnehmen kann, von denen der eine 0 ist und der andere 1 bedeutet. Auf diese Weise können wir bekanntlich beliebig hohe Zahlen schreiben, wir müssen einfach genügend Bits hintereinander reihen.

Aber stimmt das auch? Bedeutet wirklich der eine Zustand im Bit 0 und der andere 1? Können die beiden Zustände nicht auch ganz andere Bedeutungen annehmen?

Dem Bit können beliebige Bedeutungen zugeschrieben werden

In der Tat können die beiden Zustände des Bits irgendeine Bedeutung einnehmen. Beliebt sind neben 0/1 auch Wahr/Falsch, Ja/Nein, Positiv/Negativ, aber im Prinzip und in der Praxis können dem Bit von aussen irgendwelche Bedeutungen zugeschrieben werden. Selbstverständlich sind auch Umkehrungen erlaubt, also neben 0/1 auch 1/0.

Die Zuschreibung der Bedeutung des Bits erfolgt von aussen

Ob das konkrete Bit im Computerprogramm nun 0/1 oder 1/0 oder irgendetwas anderes bedeutet, spielt selbstverständlich eine entscheidende Rolle. Die Bedeutung liegt aber nicht im Bit selber, denn das Bit ist eine höchst radikale Abstraktion. Es sagt nur aus, dass zwei Zustände existieren und welcher zur Laufzeit gerade aktuell ist. Was die beiden aber bedeuten, ist eine ganz andere Geschichte, die über das einzelne Bit weit hinausgeht. In einem Computerprogramm kann z.B. deklariert werden, dass das Bit dem Wertepaar TRUE/FALSE entspricht. Das gleiche Bit kann aber auch mit anderen Bits zusammen als Teil einer Zahl oder eines Buchstabencodes interpretiert werden – sehr unterschiedliche Bedeutungen also, je nach Programmkontext.

Digitaler und analoger Kontext

Das Softwareprogramm ist der digitale Kontext und er besteht selbstverständlich aus weiteren Bits. Diese Bits aus der Umgebung können verwendet werden, um die Bedeutung eines Bits zu bestimmen. Nehmen wir an, unser Bit sei mit weiteren Bits daran beteiligt, den Buchstaben ‹f› zu definieren. Unser Programm sei auch so organisiert, dass dieser Buchstabe in eine Tabelle zu stehen kommt, und zwar in eine Spalte, die mit ‹Geschlecht› überschrieben ist. All dies ist in der Software klar geregelt. Legt nun die Software die Bedeutung des Bits fest? Sicher sind Sie nicht überrascht, wenn das ‹f› die Bedeutung ‹feminin› hat und die Tabelle vermutlich verschiedene Personen auflistet, die männlich oder weiblich (f) sein können. Was aber bedeuten männlich und weiblich? Erst in der analogen Welt bekommen diese Ausdrücke eine Bedeutung.

Das Bit, die perfekte Abstraktion

Das Bit stellt in der Tat den Endpunkt einer radikalen Informationsabstraktion dar. Die Information ist im einzelnen Bit soweit auf das absolut Elementare reduziert, dass die Information über die Bedeutung aus dem Bit vollständig herausgenommen worden ist. Das Bit sagt nur noch aus, dass zwei – ausserhalb des Bits beschriebene – Zustände existieren und welcher der beiden zu einem bestimmten Zeitpunkt aktuell ist.

Diese radikale Abstraktion ist gewollt und in einer Software sehr sinnvoll. Denn so kann das gleiche physische Bit im Chip des Computer immer wieder neu verwendet werden, einmal als TRUE/FALSE-Paar, einmal als 0/1, einmal als JA/NEIN usw. Das ist sehr praktisch und ermöglicht dem Computer, beliebige Aufgaben zu erfüllen. Die dadurch gewonnene perfekte Abstraktion nimmt dem einzelnen Bit aber gleichzeitig seine individuelle Bedeutung und diese kann und muss dann für jede Anwendung von aussen neu gegeben werden.

Der unendliche Regress

Wenn die Bedeutung des Bits von aussen gegeben wird, dann können natürlich andere Bits diese Aufgabe übernehmen und die Bedeutung des einen Bits definieren. Dazu müssen aber diese äusseren Bits die entsprechende Wirkkraft haben, die natürlich nicht ohne deren eigenen Bedeutung zu haben ist. Und selbstverständlich liegen die Bedeutungen der Bits dieses äusseren Kreises nicht in diesen Bits selber – aus den gleichen Gründen wie oben – sondern sie müssen von aussen, d.h. von einem weiteren Kreis von Bits gegeben werden. Die Bits dieses zweiten äusseren Kreises müssen in einem weiteren Kreis erklärt werden und die Bedeutung der Bits dieses weiteren Kreises wiederum von einem noch äusseren  …  Selbstverständlich kommt dieser Prozess der Bedeutungszuordnung in einer Welt von Bits nie an sein Ende, der Regress ist unendlich.

Erst im Analogen endet der unendliche Regress

Erst wenn wir aus dem Programm in die Realwelt heraustreten, können wir den Informationen aus dem Computer wirkliche eine Bedeutung zuordnen.

Selektiver und deskriptiver Informationsgehalt

Wenn wir das oben Beschriebene rekapitulieren können wir im Bit Folgendes unterscheiden:

Der deskriptive Informationsgehalt sagt aus, was das Bit bedeutet, er beschreibt die beiden Zustände des Bits, sagt aber nicht aus, welcher Zustand aktuell gewählt ist.  Der selektive Informationsgehalt andererseits sagt aus, welcher der beiden Zustände aktuell ist, weiss aber nichts über die Eigenschaften der beiden Zustände, und somit auch nichts über ihre jeweilige Bedeutung.

Die Unterscheidung zwischen selektivem und deskriptivem Informationsgehalt wurden vom britischen Radar-Pionier und Informationswissenschaftler Donald McKay in den 40-er Jahren des letzten Jahrhunderts geprägt, praktisch gleichzeitig mit der ersten Erwähnung und Beschreibung des klassischen Bits durch den Amerikaner Shannon. McKay hat auch bereits sehr klar erkannt, dass das Bit von Shannon nur einen selektiven Informationsgehalt trägt und der deskriptive muss von aussen gegeben werden.

Erstaunlicherweise ist diese Erkenntnis von McKay heute beinahe in Vergessenheit geraten.

Fazit:

1. Das Bit liefert den selektiven Informationsgehalt.
2. Der deskriptive Informationsgehalt liegt nicht im Bit.
3. Das Bit hat allein somit auch keine Bedeutung.
4. Die Bedeutung des Bits wird stets von aussen gegeben.
5. Dadurch wird ein unendlicher Regress initiiert.
6. Erst im Analogen endet der unendliche Regress.


Mehr zum Thema Information -> Übersichtsseite Informationstheorie


 

Künstliche und natürliche Intelligenz: Der Unterschied

Was ist wirkliche Intelligenz? 

Paradoxerweise hilft uns der Erfolg der künstlichen Intelligenz, essenzielle Bedingungen für die echte Intelligenz zu erkennen. Wenn wir nämlich akzeptieren, dass die künstliche Intelligenz an Grenzen stösst und im Vergleich zur echten klar erkennbare Mängel aufweist – und genau das haben wir ja in den Vorbeiträgen erkannt und beschrieben –, dann zeigen uns die Beschreibungen nicht nur, was bei der künstlichen Intelligenz fehlt, sondern auch, was die echte Intelligenz der künstlichen voraus hat. Wir lernen also etwas ganz Entscheidendes zum Thema natürliche Intelligenz.

Was haben wir erkannt? Was sind die essentiellen Unterschiede? Meines Erachtens sind es zwei Eigenschaften, durch die sich echte Intelligenz gegenüber künstlicher auszeichnet:

Die echte Intelligenz
– funktioniert auch in offenen Systemen,
– zeichnet sich durch eine bewusste Absicht aus.

Schach und Go sind geschlossene Systeme

Im Beitrag ‹Jassen und Schach› haben wir das Paradox untersucht, dass das Jass-Spiel für uns Menschen weniger Intelligenz zu erfordern scheint als Schach, für künstliche Intelligenz ist es aber genau umgekehrt. Im Schach und GO schlägt uns der Computer, beim Jassen hingegen haben wir durchaus eine Chance.

Weshalb ist das so? – Der Grund liegt in der Geschlossenheit des Schachspiels. Die Geschlossenheit bedeutet, dass nichts geschieht, was nicht vorgesehen ist. Alle Spielregeln sind klar definiert. Die Zahl der Felder und der Figuren, die Anfangspositionen und Spielmöglichkeiten der Figuren, wer wann zieht und wer wann warum gewonnen hat; all dies ist eindeutig festgesetzt. Und alle Regeln sind explizit; was nicht definiert ist, spielt keine Rolle: Wie der König ausschaut? Egal, wichtig ist nur, dass es einen König gibt und dass er für den Sieg matt zu setzen ist, im Notfall reicht, um den König zu symbolisieren, ein Papierfetzchen mit einem ‹K› darauf.

Solche geschlossenen Systeme können mathematisch klar beschrieben werden, und sie sind deterministisch. Natürlich braucht es Intelligenz, um zu siegen, doch diese Intelligenz kann völlig mechanisch sein, eben eine künstliche Intelligenz.

Mustererkennung: Offenes oder geschlossenes System?

Anders sieht es beim Typus Mustererkennung aus, wenn z.B. auf Bildern bestimmte Gegenstände und ihre Eigenschaften erkannt werden müssen. Hier ist das System im Prinzip offen, denn es können nicht nur Bilder mit ganz neuen Eigenschaften von aussen eingebracht werden, sondern auch die entscheidenden Eigenschaften, die erkannt werden müssen, können variieren. Die Situation ist also nicht so einfach, klar definiert und geschlossen wie bei Schach und GO. Ist das nun ein geschlossenes System?

Nein, ist es nicht. Während bei Schach die Spielregeln einen abschliessenden Grenzzaun um die Möglichkeiten und Ziele legen, muss ein solcher Sicherheitszaun aktiv um die Mustererkennung gelegt werden. Der Zweck ist, dabei die Vielfalt der Muster in einer klaren Verteilung zu organisieren. Das können nur Menschen. Sie bewerten den Lernkorpus, der möglichst viele Musterbeispiele erfasst, und jedes Beispiel wird von den Experten entsprechend der gewünschten Unterscheidung zugeordnet. Dieser bewertete Lernkorpus nimmt dann die Rolle der Spielregeln des Schachs ein und er bestimmt, wie ein neuer Input bewertet wird. Mit anderen Worten: Der bewertete Lernkorpus enthält das relevante Wissen, d.h. die Regeln, nach denen ein bisher unbekannter Input bewertet wird. Er entspricht dem Regelwerk des Schachs.

Das KI-System für eine Mustererkennung ist in diesem Sinn offen, wenn der Lernkorpus noch nicht einbezogen ist, mit dem bewerteten Korpus jedoch wird ein solches System ein geschlossenes. Genauso wie das Schachprogramm durch die Spielregeln klare Grenzen hat, bekommt auch die Mustererkennung ein klares Korsett, das letztlich das Outcome deterministisch definiert. Sobald die Bewertung erfolgt ist, kann eine rein mechanische Intelligenz das Verhalten innerhalb der getroffenen Grenzen optimieren – und dies letztlich in einem Perfektionsgrad, der mir als Mensch nie möglich sein wird.

Wer aber bestimmt den Inhalt des Lernkorpus, der das Mustererkennungsprogramm zu einem (technisch) geschlossenen System macht? Es sind immer menschliche Experten, die die Musterinputs bewerten. Der Mensch also macht die im Prinzip offene Aufgabe der Mustererkennung mittels des von ihm bewerteten Korpus zu einer geschlossenen Aufgabe, die ein mechanischer Algorithmus lösen kann.

In beiden Fällen – dem primär geschlossenen Spielprogramm (Schach und Go), wie auch dem sekundär geschlossenen Mustererkennungsprogramm – findet der Algorithmus eine geschlossene Situation vor; und das ist die Voraussetzung dafür, dass eine künstliche, d.h. mechanische Intelligenz überhaupt funktionieren kann.

Fazit 1:
Die KI-Algorithmen können nur in geschlossenen Räumen arbeiten.

Bei der Mustererkennung liefert der von Menschen geschaffene Lernkorpus diesen geschlossenen Raum.

Fazit 2:
Echte Intelligenz funktioniert auch in offenen Situationen.


Gibt es Intelligenz ohne Absicht?

Warum kann die künstliche Intelligenz im offenen Raum ohne Bewertungen von aussen nicht funktionieren? Weil die Bewertungen von aussen erst die Resultate der künstlichen Intelligenz ermöglichen. Und die Bewertungen können nicht mechanisch (algorithmisch) von der KI gegeben werden, sondern haben stets mit den An- und Absichten der Bewerter zu tun.

Neben der Unterscheidung zwischen offenen und geschlossenen Systemen, kann uns die Analyse von KI-Systemen somit noch mehr über die wirkliche Intelligenz zeigen. Künstliche und natürliche Intelligenz unterscheiden sich nämlich auch darin, wie weit bei ihnen für ihre Entscheidungen die jeweilige Absicht eine Rolle spielt.

Bei Schachprogrammen ist das Ziel klar, der gegnerische König soll schachmatt gesetzt werden. Das Ziel, das die Bewertung der Züge bestimmt, nämlich die Absicht zu siegen, muss nicht vom Programm selber mühsam erkannt werden, sondern ist von vornherein gegeben.

Auch bei der Mustererkennung ist die Rolle der Bewertungsabsicht entscheidend, denn welche Arten von Mustern sollen überhaupt unterschieden werden? Fremde Panzer versus eigene Panzer? Radpanzer versus Kettenpanzer? Funktionsfähige versus defekte? Alle diese Unterscheidungen machen Sinn, die KI muss aber anhand des Korpus auf ein bestimmtes Ziel, auf eine bestimmte Absicht eingestellt und justiert werden. Ist der Korpus einmal in einer bestimmten Richtung bewertet, kann nicht plötzlich ein anderes Merkmal daraus abgeleitet werden.

Wie beim Schachprogramm ist die künstliche Intelligenz nicht imstande, das Ziel selbständig herauszufinden, beim Schachprogramm versteht sich das Ziel (Schachmatt) von selber, bei der Mustererkennung müssen sich die beteiligten Bewerter über das Ziel (fremde/eigene, Rad-/Kettenpanzer) vorgängig einig sein. In beiden Fällen kommen Ziel und Absicht von aussen.

Natürliche Intelligenz hingegen kann sich selber darüber klar werden, was wichtig und was unwichtig ist und welche Ziele sie verfolgt. Die aktive Absicht ist m.E. eine unverzichtbare Eigenschaft der natürlichen Intelligenz und kann nicht künstlich konstruiert werden.

Fazit 3:
Im Gegensatz zur künstlichen zeichnet sich die natürliche Intelligenz dadurch aus, dass sie die eigenen Absichten beurteilen und bewusst ausrichten kann.


Dies ist ein Beitrag zum Thema künstliche Intelligenz. Weitere Beiträge finden Sie über die Übersichtsseite zum Thema KI.

Die Drei-Welten-Theorie (Roger Penrose)

Die drei Welten

Es gibt praktische Fragen, die mit unseren konkreten Leben zu tun haben, und theoretische Fragen, die damit scheinbar nichts zu tun haben. Es gibt aber auch theoretische Überlegungen, die durchaus mit unserem praktischen Alltag zu tun haben. Eine davon ist die Drei-Welten-Theorie, die sich damit beschäftigt, in welchen Welten wir konkret leben.

Auf welchem Grund steht unsere ganz alltägliche Existenz? Die Drei-Welten-Theorie weist darauf hin, dass wir uns gleichzeitig in drei grundverschiedenen Welten bewegen. Praktisch stellt das für uns kein Problem dar, theoretisch hingegen stellt sich die Frage, wie drei so verschiedene Welten sich denn in der Realität überhaupt begegnen können.

Bei Roger Penrose heissen die drei Welten:
A) Platonic World
B) Physical World
C) Mental World

Hier ist die originale Darstellung von Roger Penrose:

Platonic World: Die Welt der Ideen. Mathematik z.B. befindet sich gänzlich in der platonischen Welt.

Physical World: Die reale, physische Welt mit Dingen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt an einen bestimmten Ort sind.

Mental World: Meine subjektiven Wahrnehmungen, die mich die anderen Welten erst erkennen lassen. Aber auch meine Gedanken und Vorstellungen, so wie ich sie erlebe.

Das Kreisverhältnis zwischen den drei Welten

Die Pfeile zwischen den Kugeln deuten das Kreisverhältnis an, das diese Welten nach Penrose miteinander eingehen:

Platonic → Physical: Hinter der Physik steckt Mathematik. Physik ist ohne höhere Mathematik undenkbar. Offensichtlich hält sich die physikalische Welt sehr genau an mathematische Gesetze. Wird die Realwelt also von der Mathematik bestimmt?

Physical → Mental: Mein Hirn ist ein Gegenstand der physikalischen Welt. Nach gängiger Vorstellung bestimmen die Neuronen des Hirngewebes mit ihren elektrischen Schaltungen meine Hirnleistungen.

Mental → Platonic: Grosse Denker sind in der Lage, in Gedanken (Mental World) die Gesetze der Mathematik zu formulieren, sie ‹entstehen› in ihrem Kopf.

Das ist also der Kreisprozess:
Die platonische Welt (Mathematik) bestimmt die physikalische. Diese ist die Basis für das menschliche Denken. Im menschliche Denken wiederum haben Mathematik (und andere Ideen) ihren Platz. Die mathematischen Gesetze … hier schliesst sich der Kreis.

Mächtigkeiten der drei Welten

Interessant sind auch die sich öffnenden Trichter in Penrose’s Skizze, die zusammen mit den Pfeilen von einer Welt zur nächsten weisen. Penrose deutet damit an, dass die im Kreisprozess folgende Welt nur einen Teil der Welt benötigt, aus der sie während des Generierungsprozesses entsteht.

Platonic → Physical: Nur ein kleiner Teil der mathematischen Erkenntnisse kann in der Physik verwendet werden. So gesehen brauchen (sind?) die physikalischen Gesetze nur einen Ausschnitt aus der Mathematik.

Physical → Mental: Mein Hirn ist ein sehr kleiner Teil der physikalischen Welt.

Mental → Platonic: Mein Hirn beschäftigt sich mit vielem; Mathematik und abstrakte Ideen sind nur ein Teil davon.

Die Platonische Welt ist dann wieder Ursprung für die physische Welt. Die Grössenverhältnisse scheinen dabei aber nicht richtig aufzugehen. Das gleicht der berühmten ewigen Treppe:

Die ewige Treppe

Nebenbemerkung:
Die ewige Treppe wurde  von Roger Penrose’s Vater, Lionel Penrose enteckt und wird auch Penrose-Treppe genannt  – bzw. Escher-Penrose-Treppe nach dem holländischen Grafiker, der u.a. Douglas Hofstadter zu seinem Buch ‹Gödel, Escher, Bach› inspiriert hat. Die Endlosigkeit, mit der die Treppe steigt, ist grafisch scheinbar mühelos darstellbar, logisch jedoch höchst verzwickt (selbstreferenzielles Tabu).

Für Penrose liegt ein Geheimnis in den drei Welten. Er schreibt:

«Zweifellos gibt es in Wirklichkeit nicht drei Welten, sondern nur eine, und das wahre Wesen dieser Welt können wir gegenwärtig nicht einmal erahnen.»

Es geht also um drei Welten in einer – und somit um ihre Unterschiede und die Art ihrer Verschränkung.

Keine abstrakte Theorie

Die drei Welten sind keine abstrakte Theorie, sondern lassen sich in unserer eigenen privaten Erlebniswelt erkennen. Sie spielen z.B. in der Musik eine wichtige Rolle. Am Beispiel der Musik kann man auch erkennen, wie die drei Welten zusammenwirken. Mehr dazu später auf dieser Website (siehe Übersichtseite zur Drei-Welten-Theorie).

Nachtrag im Oktober 2020:

Ich habe diesen Beitrag einen Monat vor der Bekanntgabe, dass Sir Roger Penrose den Nobelpreis bekommt, geschrieben. Ich freue mich sehr, dass dieser geniale Wissenschaftler den Preis bekommt.


Dies ist der Startbeitrag zum Thema Musikalische Tonleitern und Drei-Welten-Theorie.

Wo in der künstlichen Intelligenz steckt nun die Intelligenz?

Ganz kurz: Die Intelligenz steckt immer ausserhalb.

a) Regelbasierte Systeme

Die Regeln und Algorithmen dieser Systeme – Typ A1 und A2 – werden von Menschen erstellt und niemand wird einem Taschenrechner wirkliche Intelligenz zubilligen. Das Gleiche gilt auch für alle anderen, noch so raffinierten regelbasierten Systeme. Die Regeln werden von Menschen gebaut.

b) Konventionelle korpusbasierte Systeme (Mustererkennung)

Diese Systeme (Typ B1) verwenden immer einen bewerteten Korpus, also eine Datensammlung, die bereits bewertet worden ist  (Details). Die Bewertung entscheidet, nach welchen Zielen jeder einzelne Korpuseintrag klassifiziert wird und die Klassifizierung stellt dann das wirkliche Wissen im Korpus dar.

Die Klassierung ist aber nicht aus den Daten des Korpus selber ableitbar, sondern erfolgt immer von ausserhalb. Und nicht nur die Zuweisung eines Dateneintrags zu einer Klasse ist nur von aussen durchführbar, auch die Klassen selber sind nicht durch die Daten des Korpus determiniert, sondern werden von aussen – letztlich von Menschen – vorgegeben.

Die Intelligenz bei diesen Systemen steckt immer in der Bewertung des Datenpools, d.h. der Zuteilung der Datenobjekte zu vorgegebenen Klassen, und diese erfolgt von aussen durch Menschen. Das neuronale Netz, das dabei entsteht, weiss nicht, wie das menschliche Hirn die dafür nötigen Bewertungen gefunden hat.

c) Suchmaschinen

Diese (Typ B2) stellen einen Sonderfall der korpusbasierten Systeme dar und basieren auf der Tatsache, dass viele Menschen eine bestimmte Suchmaschinen benützen und mit ihren Klicks entscheiden, welche Internetlinks den Suchbegriffen zugeordnet werden können. Die Suchmaschinen mitteln am Ende nur, welche Spuren die vielen Benutzer mit ihrem eigenen Kontextwissen und ihren jeweiligen Absichten gelegt haben. Ohne die menschlichen Gehirne der bisherigen Suchmaschinenbenutzer wüssten die Suchmaschinen nicht, wohin sie zeigen sollten.

d) Spielprogramme (Schach, Go, usw.) / Deep Learning

Hier wird es interessant, denn diese Programme (Typ B3) brauchen im Gegensatz zu den anderen korpusbasierten Systemen keinen Menschen, der von aussen den Korpus (bestehend aus den Zügen bereits gespielter Partien) beurteilt. Verfügen diese Systeme also über eine eigenständige Intelligenz?

Wie die Programme zur Mustererkennung (b) und die Suchmaschinen (c) verfügt das Go-Programm über einen Korpus, der in diesem Fall die Züge der gespielten Testpartien enthält. Der Unterschied zu klassischen KI-Systemen besteht nun darin, dass die Bewertung des Korpus (d.h. der Spielzüge) bereits durch den Spielerfolg in der betreffenden Partie definiert ist. Es braucht also keinen Menschen, der fremde von eigenen Panzern unterscheiden muss und dadurch die Vorlage für das neuronale Netz liefert. Der Spielerfolg kann von der Maschine, d.h. dem Algorithmus, selber direkt erkannt werden, ein Mensch ist dafür nicht nötig.

Bei klassischen KI-Systemen ist dies nicht der Fall, und es braucht unbedingt einen Menschen, der die einzelnen Korpuseinträge bewertet. Dazu kommt, dass das Kriterium der Bewertung nicht wie bei Go eindeutig gegeben ist. Panzerbilder können z.B. ganz unterschiedlich kategorisiert werden (Radpanzer/Kettenpanzer, beschädigte/unbeschädigte Panzer, Panzer in Städten/Feldern, auf Farbbildern/Schwarzweiss-Bildern etc.). Dies öffnet die Interpretationsmöglichkeiten für die Bewertung beliebig. Eine automatische Zuweisung ist aus all diesen Gründen bei klassischen KI-System nicht möglich, und es braucht immer die Bewertung des Lernkorpus durch menschliche Experten.

Bei Schach und Go ist dies gerade nicht nötig. Denn Schach und Go sind künstlich konstruierte und völlig geschlossene Systeme und deshalb in der Tat von vornherein vollständig determiniert. Das Spielfeld, die Spielregeln und das Spielziel – und damit auch die Bewertung der einzelnen Züge – sind automatisch gegeben. Deshalb braucht es keine zusätzliche Intelligenz, sondern ein Automatismus kann innerhalb des vorgegebenen, geschlossenen Settings Testpartien mit sich selber spielen und das vorgegebene Ziel so immer besser erreichen, bis er besser ist als jeder Mensch.

Bei Aufgaben, die sich nicht in einem künstlichen Spielraum, sondern in der Realität stellen, sind die erlaubten Züge und die Ziele aber nicht vollständig definiert und der Strategie-Raum bleibt offen. Eine Automatik wie Deep Learning ist in offenen, d.h. realen Situationen nicht anwendbar.

In der Praxis braucht es selbstverständlich eine beträchtliche Intelligenz, um den Sieg in Go und anderen Spielen zu programmieren und wir dürfen die Intelligenz der Ingenieuren von Google durchaus dafür bewundern, doch ist es eben wieder ihre menschliche Intelligenz, die sie die Programme entwickeln lässt, und nicht eine Intelligenz, die die von ihnen konstruierten Programme selbständig entwickeln könnten.

Fazit

KI-Systeme können sehr eindrücklich und sehr nützlich sein, sie verfügen aber nie über eigene Intelligenz.


Dies ist ein Beitrag zum Thema künstliche Intelligenz.