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Wo in der künstlichen Intelligenz steckt nun die Intelligenz?

Ganz kurz: Die Intelligenz steckt immer ausserhalb.

a) Regelbasierte Systeme

Die Regeln und Algorithmen dieser Systeme – Typ A1 und A2 – werden von Menschen erstellt und niemand wird einem Taschenrechner wirkliche Intelligenz zubilligen. Das Gleiche gilt auch für alle anderen, noch so raffinierten regelbasierten Systeme. Die Regeln werden von Menschen gebaut.

b) Konventionelle korpusbasierte Systeme (Mustererkennung)

Diese Systeme (Typ B1) verwenden immer einen bewerteten Korpus, also eine Datensammlung, die bereits bewertet worden ist  (Details). Die Bewertung entscheidet, nach welchen Zielen jeder einzelne Korpuseintrag klassifiziert wird und die Klassifizierung stellt dann das wirkliche Wissen im Korpus dar.

Die Klassierung ist aber nicht aus den Daten des Korpus selber ableitbar, sondern erfolgt immer von ausserhalb. Und nicht nur die Zuweisung eines Dateneintrags zu einer Klasse ist nur von aussen durchführbar, auch die Klassen selber sind nicht durch die Daten des Korpus determiniert, sondern werden von aussen – letztlich von Menschen – vorgegeben.

Die Intelligenz bei diesen Systemen steckt immer in der Bewertung des Datenpools, d.h. der Zuteilung der Datenobjekte zu vorgegebenen Klassen, und diese erfolgt von aussen durch Menschen. Das neuronale Netz, das dabei entsteht, weiss nicht, wie das menschliche Hirn die dafür nötigen Bewertungen gefunden hat.

c) Suchmaschinen

Diese (Typ B2) stellen einen Sonderfall der korpusbasierten Systeme dar und basieren auf der Tatsache, dass viele Menschen eine bestimmte Suchmaschinen benützen und mit ihren Klicks entscheiden, welche Internetlinks den Suchbegriffen zugeordnet werden können. Die Suchmaschinen mitteln am Ende nur, welche Spuren die vielen Benutzer mit ihrem eigenen Kontextwissen und ihren jeweiligen Absichten gelegt haben. Ohne die menschlichen Gehirne der bisherigen Suchmaschinenbenutzer wüssten die Suchmaschinen nicht, wohin sie zeigen sollten.

d) Spielprogramme (Schach, Go, usw.) / Deep Learning

Hier wird es interessant, denn diese Programme (Typ B3) brauchen im Gegensatz zu den anderen korpusbasierten Systemen keinen Menschen, der von aussen den Korpus (bestehend aus den Zügen bereits gespielter Partien) beurteilt. Verfügen diese Systeme also über eine eigenständige Intelligenz?

Wie die Programme zur Mustererkennung (b) und die Suchmaschinen (c) verfügt das Go-Programm über einen Korpus, der in diesem Fall die Züge der gespielten Testpartien enthält. Der Unterschied zu klassischen KI-Systemen besteht nun darin, dass die Bewertung des Korpus (d.h. der Spielzüge) bereits durch den Spielerfolg in der betreffenden Partie definiert ist. Es braucht also keinen Menschen, der fremde von eigenen Panzern unterscheiden muss und dadurch die Vorlage für das neuronale Netz liefert. Der Spielerfolg kann von der Maschine, d.h. dem Algorithmus, selber direkt erkannt werden, ein Mensch ist dafür nicht nötig.

Bei klassischen KI-Systemen ist dies nicht der Fall, und es braucht unbedingt einen Menschen, der die einzelnen Korpuseinträge bewertet. Dazu kommt, dass das Kriterium der Bewertung nicht wie bei Go eindeutig gegeben ist. Panzerbilder können z.B. ganz unterschiedlich kategorisiert werden (Radpanzer/Kettenpanzer, beschädigte/unbeschädigte Panzer, Panzer in Städten/Feldern, auf Farbbildern/Schwarzweiss-Bildern etc.). Dies öffnet die Interpretationsmöglichkeiten für die Bewertung beliebig. Eine automatische Zuweisung ist aus all diesen Gründen bei klassischen KI-System nicht möglich, und es braucht immer die Bewertung des Lernkorpus durch menschliche Experten.

Bei Schach und Go ist dies gerade nicht nötig. Denn Schach und Go sind künstlich konstruierte und völlig geschlossene Systeme und deshalb in der Tat von vornherein vollständig determiniert. Das Spielfeld, die Spielregeln und das Spielziel – und damit auch die Bewertung der einzelnen Züge – sind automatisch gegeben. Deshalb braucht es keine zusätzliche Intelligenz, sondern ein Automatismus kann innerhalb des vorgegebenen, geschlossenen Settings Testpartien mit sich selber spielen und das vorgegebene Ziel so immer besser erreichen, bis er besser ist als jeder Mensch.

Bei Aufgaben, die sich nicht in einem künstlichen Spielraum, sondern in der Realität stellen, sind die erlaubten Züge und die Ziele aber nicht vollständig definiert und der Strategie-Raum bleibt offen. Eine Automatik wie Deep Learning ist in offenen, d.h. realen Situationen nicht anwendbar.

In der Praxis braucht es selbstverständlich eine beträchtliche Intelligenz, um den Sieg in Go und anderen Spielen zu programmieren und wir dürfen die Intelligenz der Ingenieuren von Google durchaus dafür bewundern, doch ist es eben wieder ihre menschliche Intelligenz, die sie die Programme entwickeln lässt, und nicht eine Intelligenz, die die von ihnen konstruierten Programme selbständig entwickeln könnten.

Fazit

KI-Systeme können sehr eindrücklich und sehr nützlich sein, sie verfügen aber nie über eigene Intelligenz.


Dies ist ein Beitrag zum Thema künstliche Intelligenz.

Menupunkt: Künstliche Intelligenz


Ist KI gefährlich oder nützlich?

Diese Frage wird aktuell ausgiebig diskutiert. Es soll hier nicht darum gehen, wohlbekannte Meinungen zu wiederholen, sondern darum, Grundlagen der Technologie zu nennen, die Ihnen bisher ziemlich sicher unbekannt sind. Oder wissen Sie, woher die KI ihre Intelligenz hat?

Ich arbeite seit einem Vierteljahrhundert mit «intelligenten» Informatiksystemen und wundere mich vor allem darüber, dass wir der künstliche Intelligenz überhaupt eine eigenständige Intelligenz zubilligen. Genau die hat sie nämlich nicht. Ihre Intelligenz kommt stets von Menschen, welche die Daten nicht nur liefern, sondern sie auch bewerten müssen, bevor die KI sie verwenden kann. Trotzdem überrascht die KI mit einer immensen Leistungsfähigkeit und sinnvollen Anwendungen in den unterschiedlichsten Gebieten. Wie macht sie das?

2019 habe ich hier eine Blogserie zum Thema begonnen, zu der Sie unten eine Übersicht sehen. 2021 habe ich dann die Beiträge in einem Buch zusammengefasst, mit dem Titel Wie die künstliche Intelligenz zur Intelligenz kommt›


Hier folgen die Blogbeiträge:

Regelbasiert oder korpusbasiert?

Die Computerintelligenz verfügt über zwei grundlegend verschiedene Methoden: Sie kann entweder auf Regeln oder auf einer Datensammlung (=Korpus) beruhen. Im Einstiegsbeitrag stelle ich sie mit zwei charakteristischen Anekdoten vor:


Bezüglich Erfolg haben die korpusbasierten Systeme die regelbasierten offensichtlich überflügelt:


Die regelbasierten Systeme hatten es schwieriger. Was sind ihre Herausforderungen? Wie können sie ihre Schwächen überwinden? Und wo steckt bei ihnen die Intelligenz?


Zurück zu den korpusbasierten Systemen. Wie sind sie aufgebaut? Wie wird ihr Korpus zusammengestellt und bewertet? Was hat es mit dem neuronalen Netz auf sich? Und was sind die natürlichen Grenzen der korpusbasierten Systeme?


Als nächstes beschäftigen wir uns mit Suchmaschinen, die ebenfalls korpusbasierte Systeme sind. Wie gelangen sie zu ihren Vorschlägen? Wo sind ihre Grenzen und Gefahren? Weshalb entstehen z.B. zwingend Blasen?


Kann ein Programm lernen, ohne dass ein Mensch ihm gute Ratschläge zuflüstert? Mit Deep Learning scheint das zu klappen. Um zu verstehen, was dabei passiert, vergleichen wir zuerst ein einfaches Kartenspiel mit Schach: Was braucht mehr Intelligenz? Überraschend wird klar, dass für den Computer Schach das einfachere Spiel ist.

An den Rahmenbedingungen von Go und Schach erkennen wir, unter welchen Voraussetzungen Deep Learning funktioniert.


Im anschliessenden Beitrag gebe ich einen systematischen Überblick über die mir bekannten KI-Arten, skizziere kurz ihren jeweiligen Aufbau und die Unterschiede in ihrer Funktionsweise.

Wo steckt nun die Intelligenz?


Die angestellten Überlegungen lassen erkennen, was die natürliche Intelligenz gegenüber der künstlichen auszeichnet:


Ihre Leistungsfähigkeit zeigt die KI nur, wenn die Aufgabenstellung klar und einfach ist. Sobald die Fragestellung komplex wird, versagen sie. Oder sie flunkern, indem sie schöne Sätze, die sich in ihrem Datenschatz finden, so anordnen, dass es intelligent klingt (ChatGPT, LaMDA). Sie arbeiten nicht mit Logik, sondern mit Statistik, also mit Wahrscheinlichkeit. Aber ist das Wahr-Scheinliche auch immer das Wahre?

Die Schwächen folgen zwingend aus dem Konstruktionsprinzip der KI. Damit befassen sich weitere Beiträge:


 

Spiele und Intelligenz (2): Deep Learning

Go und Schach

Das asiatische Go-Spiel hat viele Ähnlichkeiten mit Schach und ist dabei gleichzeitig einfacher und raffinierter. Das heisst:

Gleich wie Schach:
– Brettspiel → klar definiertes Spielfeld
– Zwei Spieler (mehr würde die Komplexität sofort erhöhen)
– Eindeutig definierte Spielmöglichkeiten der Figuren (klare Regeln)
– Die Spieler ziehen abwechselnd (klare Zeitschiene)
– Keine versteckten Informationen (wie etwa beim Jassen)
Klares Ziel (Wer am Schluss das grössere Gebiet besetzt, gewinnt)

Bei Go einfacher:
– Nur ein Typus Spielfigur/Steine (Bei Schach: König, Dame, etc.)

Bei Go komplexer/aufwendiger:
– Go hat das leicht grössere Spielfeld.
– Die grössere Anzahl Felder und Steine führt zu etwas mehr Rechenaufwand.
– Trotz sehr einfachen Grundelementen hat Go eine ausgesprochen raffinierte Spielanlage.

Zusammenfassung

Die Unterschiede zwischen Go und Schach sind verglichen mit den Gemeinsamkeiten minimal. Insbesondere sind auch für Go die stark einschränkenden Vorbedingungen a) bis d)  erfüllt, die es einem Algorithmus erlauben, die Aufgabe in Angriff zu nehmen:

a) klar definiertes Spielfeld
b) klar definierte Spielregeln
c) klar definierter Spielablauf
d) klares Spielziel

(siehe auch Vorbeitrag)

Go und Deep Learning

Google hat die besten menschlichen Go-Spieler besiegt. Der Sieg wurde durch einen Typus KI erreicht, der als Deep Learning bezeichnet wird. Manche Leute denken, dass damit sei bewiesen, dass ein Computer – d.h. eine Maschine – wirklich intelligent sein könne. Schauen wir deshalb genauer, wie Google das angestellt hat.

Regel- oder korpusbasiert – oder ein neues, drittes System?

Die Strategien der bekannten KI-Programme sind entweder regel- oder korpusbasiert. In den Vorbeiträgen haben wir uns gefragt, wo die Intelligenz bei diesen beiden Strategien herkommt und wir haben gesehen, dass die Intelligenz bei der regelbasierten KI von menschlichen Experten in das System hinein gegeben wird, indem sie die Regeln bauen. Bei der korpusbasierten KI sind ebenfalls Menschen nötig, denn alle Einträge in den Korpus müssen eine Bewertung (z.B. eigener/fremder Panzer) bekommen, und diese Bewertung lässt sich immer auf Menschen zurückführen, auch wenn das nicht immer sofort ersichtlich ist.

Wie aber sieht das nun bei Deep Learning aus? Offensichtlich sind hier keine Menschen mehr nötig, um konkrete Bewertungen – bei Go bezüglich der Siegeschancen der Spielzüge – abzugeben, sondern es reicht, dass das Programm gegen sich selber spielt und dabei selbstständig herausfindet, welche Züge die erfolgreichsten waren. Dabei ist Deep Learning NICHT auf menschliche Intelligenz angewiesen und erweist sich – bei Schach und Go – sogar der menschlichen Intelligenz überlegen. Wie funktioniert das?

Deep Learning ist korpusbasiert

Zweifellos haben die Ingenieure von Google einen phantastischen Job gemacht. Während bei konventionellen korpusbasierten Anwendungen die Daten des Korpus mühsam zusammengesucht werden müssen, ist das beim Go-Programm ganz einfach: Die Ingenieure lassen den Computer einfach gegen sich selber spielen und jedes Spiel ist ein Eintrag im Korpus. Es müssen nicht mehr mühsam Daten im Internet oder anderswo gesucht werden, sondern der Computer kann den Korpus sehr einfach und schnell in beliebiger Grösse selber generieren. Das Deep Learning für Go bleibt zwar wie die Programme zu Mustererkennung weiterhin auf einen Korpus angewiesen, doch dieser lässt sich sehr viel einfacher – und vor allem automatisch – zusammenstellen.

Doch es kommt für das Deep Learning noch besser: Neben der einfacheren Erstellung des Korpus gibt es einen weiteren Vorteil: Es braucht überhaupt keine menschlichen Experten mehr, um unter den vielen zu einem bestimmten Zeitpunkt möglichen Spielzügen den besten herauszufinden. Wie funktioniert das? Wie kann Deep Learning ganz ohne menschliche Intelligenz intelligente Schlüsse ziehen? Das ist schon erstaunlich. Bei näherem Hinsehen wird aber klar, weshalb das in der Tat so ist.

Die Bewertung der Korpuseinträge

Der Unterschied liegt in der Bewertung der Korpuseinträge. Sehen wir dazu noch einmal unser Panzerbeispiel an. Sein Korpus besteht aus Bildern von Panzern, und ein menschlicher Experte muss jedes Bild danach beurteilen, ob es einen eigenen oder fremden Panzer darstellt. Dazu braucht es – wie dargestellt – menschliche Experten. Auch bei unserem zweiten Beispiel, der Suchmaschine, beurteilen menschliche Anwender, nämlich die Kunden, ob der im Korpus vorgeschlagene Link auf eine Website zum eingegebenen Suchausdruck passt. Beide Arten von KI kommen nicht ohne menschliche Intelligenz aus.

Bei Deep Learning ist das jedoch wirklich anders. Hier braucht es keine zusätzliche Intelligenz, um den Korpus, d.h. die einzelnen Züge der vielen Spielverläufe, die bei den Go-Testspielen entstehen, zu bewerten. Die Bewertung ergibt sich automatisch aus dem Spiel selber, denn es kommt nur darauf an, ob das Spiel gewonnen wird oder nicht. Das weiss der Korpus aber selber, da er ja den ganzen Spielverlauf bis zum Schluss hin registriert hat. Jeder Spielverlauf im Korpus hat somit seine Bewertung automatisch mit dabei – eine Bewertung durch Menschen erübrigt sich.

Natürliche Grenzen des Deep Learning

Durch das oben Gesagte lassen sich aber auch die Bedingungen erkennen, unter denen Deep Learning überhaupt möglich ist: Damit Spielverlauf und Bewertung klar sind, dürfen keine Überraschungen auftreten. Mehrdeutige Situationen und unkontrollierbare Einflüsse von aussen sind verboten. Damit alles fehlerfrei kalkulierbar bleibt, braucht es zwingend:

1. Ein geschlossenes System

Dies ist durch die Eigenschaften a) bis c) (siehe Vorbeitrag) gegeben, die Spiele wie Schach und Go aufweisen, nämlich:

a) klar definiertes Spielfeld,
b) klar definierte Spielregeln,
c) klar definierter Spielablauf.

Ein geschlossenes System ist nötig, damit Deep Learning funktionieren kann. Ein solches kann nur ein konstruiertes sein, denn in der Natur gibt es keine geschlossenen Systeme. Es ist kein Zufall, dass Schach und Go sich für die KI besonders eignen, da Spiele immer diesen Aspekt des bewusst Konstruierten haben. Schon Spiele, die den Zufall mit integrieren, wie das Jassen im Vorbeitrag, sind keine absolut geschlossenen Systeme mehr und deshalb für eine künstliche Intelligenz weniger geeignet.

2. Ein klar definiertes Ziel

Auch das klar definierte Ziel – Punkt d) im Vorbeitrag – ist nötig, damit die Bewertung des Korpus ohne menschlichen Eingriff stattfinden kann. Das Ziel des untersuchten Vorgangs und die Bewertung der Korpuseinträge hängen nämlich eng zusammen. Wir müssen verstehen, dass das Ziel der Auswertung des Korpus nicht durch die Daten des Korpus gegeben ist. Daten und Auswertung sind zwei verschiedene Dinge, und die Auswertung der Daten hängt vom Ziel ab. Wir haben diesen Aspekt bereits im Beispiel mit den Panzern diskutiert.

Dort sahen wir, dass ein Korpuseintrag, d.h. die Pixel eines Panzerbilds, nicht automatisch seine Bewertung (fremd/eigen) enthält. Die Bewertung ist eine Information, die nicht in den einzelnen Daten (Pixeln) des Bildes enthalten ist, vielmehr muss sie von aussen (durch eine interpretierende Intelligenz) in den Korpus hinein gegeben  werden. Der gleiche Korpuseintrag kann deshalb sehr unterschiedlich bewertet werden:  Wenn dem Korpus mitgeteilt wird, ob es sich beim jeweiligen Bild um einen eigenen oder einen fremden Panzer handelt, ist damit noch nicht bekannt, ob es ein Raupen- oder ein Radpanzer ist. Die Bewertung kann bei allen solchen Bildern in ganz unterschiedliche Richtungen gehen. Beim Schachspiel und bei Go hingegen ist das anders. Dort wird ein Zug im Spielverlauf (der im Korpus bekannt ist) allein danach bewertet, ob er dem Spielsieg dienlich ist.

Bei Schach und Go gibt es somit ein einfaches, klar definiertes Ziel. Bei Panzerbildern hingegen sind im Gegensatz zu Schach und Go ganz unterschiedliche Beurteilungsziele möglich. Das ist typisch für reale Situationen. Reale Situationen sind immer offen und in ihnen sind unterschiedliche Beurteilungen je nach Situation absolut normal und sinnvoll. Eine Instanz (Intelligenz) ausserhalb der Daten muss zwecks Beurteilung der Daten den Bezug zwischen den Daten und dem Beurteilungsziel herstellen. Diese Aufgabe ist immer an eine Instanz mit einer bestimmten Absicht gebunden.

Der maschinellen Intelligenz fehlt jedoch diese Absicht und sie ist deshalb darauf angewiesen, dass ihr das Ziel von aussen vorgegeben wird. Wenn das Ziel nun so selbstevident ist wie bei Schach und Go, ist das kein Problem und die Bewertung des Korpus kann in der Tat ohne menschliche Intelligenz von der Maschine selbstständig durchgeführt werden. In solchen eindeutigen Situationen kann maschinelles Deep Learning wirklich funktionieren und die menschliche Intelligenz sogar schlagen.

Das trifft aber nur zu, wenn die Spielregeln und das Spielziel klar definiert sind. In allen anderen Fällen braucht es keinen Algorithmus, sondern eine ‹echte›, d.h. eine absichtsvolle Intelligenz.

Fazit

  1. Deep Learning (DL) funktioniert.
  2. DL verwendet ein korpusbasiertes System.
  3. DL kann die menschliche Intelligenz bei gewissen Aufgaben schlagen.
  4. DL funktioniert aber nur in einem geschlossenen System.
  5. DL funktioniert nur dann, wenn das Ziel klar und eindeutig ist.

Ad 4) Geschlossene Systeme sind nicht real, sondern entweder offensichtliche Konstrukte (wie Spiele) oder Idealisierungen von realen Verhältnissen (= Modelle). Solche Idealisierungen sind immer Vereinfachungen im Sinn der Interpretationstheorie und beinhalten eine Informationsreduktion. Sie können deshalb die Realität nicht vollständig abbilden.

Ad 5) Das Ziel, d.h. die ‹Absicht› entspricht einem subjektiven Moment. Dieses subjektive Moment unterscheidet die natürliche von der maschinellen Intelligenz. Der Maschine muss es vorgegeben werden.


Wie wir gesehen haben, lohnt es sich, verschiedene Formen von KI zu unterscheiden und ihre Funktionsweise genauer anzusehen. So werden die Stärken und Schwächen dieser neuen Technologien, die auch die heutige Welt entscheidend mitbestimmen, klarer sichtbar.

Im nächsten Beitrag bringen wir basierend auf den bisherigen Erkenntnissen eine Zusammenstellung der verschiedenen KI-Systeme.


Dies ist ein Beitrag zum Thema Künstliche Intelligenz.

Spiele und Intelligenz (1): Jassen und Schach

Schach oder Jassen, was erfordert mehr Intelligenz?

Jassen ist ein Schweizer Kartenspiel, verwandt mit Bridge, wenn auch etwas hemdsärmliger.

Allgemein wird angenommen, dass Schach mehr Intelligenz verlangt, denn offensichtlich haben weniger intelligente Spieler beim Jassen durchaus eine Chance, beim Schach hingegen nicht. Wenn wir uns überlegen, was ein Computerprogramm können muss, um zu siegen, sieht das Bild aber schnell anders aus: Schach ist für eine Maschine eindeutig einfacher.

Das überrascht Sie vielleicht, aber es lohnt sich, die Gemeinsamkeiten der beiden Spiele, aber auch die Unterschiede genauer anzusehen – und natürlich hat beides viel mit unserem Thema Künstliche Intelligenz zu tun.

Gemeinsamkeiten

a) Klares Spielfeld

Das Schachbrett hat 64 schwarze und weisse Felder. Nur die Figuren, die sich auf diesen Feldern befinden, spielen eine Rolle. Beim Jassen könnte man den sogenannten Jassteppich als Spielfeld bezeichnen. Dieser ist das materielle Spielfeld, so wie das materielle Schachbrett das Spielfeld fürs Schach ist. Wenn wir uns für das siegreiche Spielverhalten interessieren, spielen die Farbe des Jassteppichs und die materielle Beschaffenheit des Schachbretts jedoch keine Rolle, sondern es kommt nur auf das abstrakte, d.h. das ‹informatische› Spielfeld an: Wo können sich unsere Schachfiguren und Spielkarten bewegen? Und diesbezüglich ist die Situation auch beim Jassen völlig klar. Die Karten sind zu jedem Zeitpunkt an einem klar definierten Ort, entweder bei einem bestimmten Spieler bereit zum Ausspielen, bei einem bestimmten Spieler bereits eingesteckt als seine ‹Beute› oder auf dem Jassteppich als offene und für jeden sichtbare Karte. Sowohl beim Schach wie beim Jassen können wir von einem klar definierten Spielfeld ausgehen.

b) Klare Spielregeln

Auch hier gibt es zwischen den beiden Spielen kaum einen Unterschied. Zwar variieren in der Schweiz die Jassregeln von Dorf zu Dorf und von ‹Beiz› zu ‹Beiz› und ein diesbezüglicher Dissens kann zu heftigen Diskussionen führen, doch sobald man sich auf ein Set an Regeln geeinigt hat, ist die Situation klar. Wie beim Schach ist eindeutig, was geht und was nicht, und die möglichen Aktivitäten der Spieler sind eindeutig definiert.

c) Klarer Spielverlauf (Zeitverlauf)

Auch hier unterscheiden sich die beiden Spiele nicht. Zu jedem Zeitpunkt gibt es genau einen Akteur, der handeln darf und seine Handlungsmöglichkeiten sind klar definiert.

d) Klares Spielziel

Beim Schach geht es darum, den gegnerischen König matt zu setzen, ein ganz eindeutiges, klar definiertes Ziel. Beim Jassen entscheidet die Punkte- oder Stichzahl, je nach Variante. Jedes Spiel hat ein klar definiertes Ende. Beim Jassen wird nach neun Stichen gezählt, beim Schach verhindern Remis- und Patt-Regeln, dass ein Spiel nicht beendet werden kann. Es gibt immer einen klaren Sieger und klare Verlierer, notfalls ein definitives Unentschieden.

Unterschiede

e) Eindeutige Ausgangssituation?

Beim Schach ist die Ausgangslage bei jedem Spiel identisch, alle Figuren haben ihren angestammten Platz. Beim Jassen hingegen wird vor jedem Spiel gemischt. Während wir beim Schach somit immer die gleiche Ausgangslage vorfinden, müssen wir uns beim Jassen auf eine immer neue einstellen. Der Zufall spielt somit beim Jassen eine wichtige Rolle, beim Schach ist er hingegen  ganz bewusst ausgeschlossen. Das hat natürlich Konsequenzen. Weil ich beim Jassen mit dem Zufall rechnen muss, kann ich nicht wie beim Schach mit Gewissheiten, sondern muss mit Wahrscheinlichkeiten rechnen.

f) Verdeckte Informationen?

Das Nichtwissen bleibt nun für die Jasser während des ganzen Spiels eine Herausforderung. Während beim Schach zu jedem Zeitpunkt und für jeden Spieler alles offen auf dem Brett erkennbar ist, lebt das Jassen geradezu davon, dass der beteiligte Spieler NICHT weiss, wo sich die Karten befinden. Er muss also raten – d.h. mit Wahrscheinlichkeiten rechnen – und ein bestimmtes Risiko eingehen. Beim Schach gibt es kein Raten, die Situation ist immer klar, offen und evident. Selbstverständlich ist dadurch die Situation beim Schach wesentlich einfacher zu beschreiben, beim Jassen hingegen erschwert das Nicht-Wissen die Beschreibung der Situation.

g) Wahrscheinlichkeiten und Emotionen (Psychologie)

Wenn ich nicht alles weiss, muss ich mit Wahrscheinlichkeiten rechnen. Die Beobachtung zeigt, dass wir Menschen darin durchs Band sehr schlecht sind. Wir lassen uns dabei von Emotionen sehr viel stärker lenken, als wir uns das eingestehen möchten. Ängste und Hoffnungen bestimmen unsere Vorstellungen, und wir schätzen Wahrscheinlichkeiten oft grob falsch ein. Ein KI-Programm hat hier natürlich Vorteile, da Emotionen keine Rolle spielen und die Wahrscheinlichkeiten auch kalkulatorisch viel besser verarbeitet werden können. Doch die Maschine will ja einen Gegner besiegen und muss deshalb seine Reaktionen korrekt einschätzen. Das KI-Programm tut deshalb gut daran, den fehlerhaften Umgang des Gegenübers mit Wahrscheinlichkeiten in seine Überlegungen mit einzubeziehen, was algorithmisch aber nicht sehr einfach ist. Wie erkennt es den Optimisten? Der menschliche Spieler versucht den Gegner zu lesen und ihn gleichzeitig über die eigenen Emotionen zu täuschen. Das gehört zum Spiel. Es nützt dem Programm nichts, wenn es emotionslos rechnet, die Emotionen des Gegenübers aber nicht erkennen und bewerten kann.

h) Kommunikation 

Schach wird von einem Spieler gegen einen anderen gespielt. Gejasst wird meist zu viert, zwei Spieler gegen zwei andere. Dieser Aspekt, dass nämlich zwei Individuen ihre Aktionen miteinander abstimmen müssen, macht das Spiel interessant, und es wäre für ein Jass-Programm fatal, wenn es diesen Aspekt vernachlässigen würde. Wie sollen wir das nun programmieren? Beachten müssen wir dabei natürlich auch den Punkt f) oben, nämlich die Tatsache, dass ich die Karten meines Partners nicht sehen kann, ich kenne weder die Karten meiner Gegner, noch diejenigen meines Partners. Mein Partner und ich sind selbstverständlich daran interessiert, unser Spiel zu koordinieren, und dazu gehört, dass wir einander unsere Möglichkeiten (verdeckte Karten) und unsere Strategien (Absichten zum Spielverlauf) mitteilen. Wenn ich zum Beispiel ein Herz-As habe, möchte ich, dass mein Partner Herz spielt, sodass ich den Stich machen kann. Das darf ich ihm aber nicht offen sagen. Für routinierte Jasser ist das jedoch kein Problem. Erstens ergibt sich aus dem Spielverlauf oft, wer das Herz-As verdeckt in seinen Karten hat. Natürlich ist es nicht einfach, das herauszufinden, da dafür sowohl die gespielten Karten als auch mögliche Taktiken und Strategien in die Kalkulation einbezogen werden müssen. Die Zahl der Möglichkeiten, die Kalkulation der Wahrscheinlichkeiten und die Psychologie der Player kommen alle hier ins Spiel, was zu einer sehr spannenden Gemengelage führen kann – die ja letztlich auch den Reiz des Spiels ausmacht. Beim Schach hingegen, mit seiner stets sehr expliziten Situation, sind die Verhältnisse diesbezüglich sehr viel einfacher.

Doch es kommt noch dicker:

i) Der legale Graubereich

Kann ich mit meinem Partner wirklich nicht über unsere Karten und unsere Strategie kommunizieren? Offiziell ist das natürlich verboten – aber lässt sich das Verbot in der Praxis wirklich durchsetzen?

Natürlich nicht. Während beim Schach praktisch nur die expliziten Spielzüge eine Rolle spielen, gibt es beim Jassen viele zusätzliche Informationen, die ein geübter Spieler lesen können muss. Wie lächle ich, wenn ich eine Karte spiele? Wenn ich das Herz-As habe, das den nächsten Stich machen kann, möchte ich natürlich, dass mein Partner mir hilft und Herz ausspielt. Eine Möglichkeit das zu erreichen, wenn der Partner am Stich ist, ist es, eine wertlose Herzkarte zu spielen und sie dabei ganz deutlich und kräftig auf den Tisch zu hauen. Ein geübter Jasspartner wird das problemlos als Zeichen verstehen, als nächstes Herz und nicht etwa Karo auszuspielen, damit ich in der Folge mit meinem As den Stich machen kann. Niemand wird mir dieses Auf-den-Tisch-Hauen – solange es genügend diskret ist – wirklich verbieten können. Wirklich eingespielte Jassfreunde kennen neben den völlig legalen Zeichen, die sie automatisch durch die Wahl ihrer gespielten Karten abgeben, auch einige Zeichen aus dem Graubereich, mit denen sie ihr Spiel koordinieren.

Diese Zeichen sind Informationen, die eine ambitionierte KI erkennen und verarbeiten können muss. Die Menge der Information, die sie dabei verarbeiten muss, ist nicht nur viel grösser als die Informationsmenge beim Schach, sie ist auch keinesfalls limitiert. Meine KI spielt ja gegen zwei menschliche Gegner und auch diese kommunizieren. Ihre Kommunikation sollte die KI erkennen, um nicht hoffnungslos über den Tisch gezogen zu werden. Die von den Gegnern vereinbarten Zeichen können natürlich variieren und beliebig raffiniert sein. Wie findet meine KI heraus, wie sich die beiden vorgängig abgesprochen haben?

Fazit

Jassen ist schwieriger zu programmieren als Schach

Wenn wir ein Programm für das Jassen entwickeln wollen, müssen wir die Aspekte e) bis i) berücksichtigen, beim Schach hingegen spielen sie kaum eine Rolle. Algorithmisch gesehen stellen die Aspekte e) bis i) jedoch wegen ihrer Unwägbarkeiten eine schwierige Herausforderung dar.

Schach ist im Vergleich zum Jassen für den Computer wesentlich einfacher, da:

– immer gleiche Ausgangssituation
– keine verdeckte Information
– kein Einbezug von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen
– geringe Rolle der menschlichen Emotionen
– kein legaler Graubereich, da kein Informationsaustausch zwischen zwei Partnern möglich ist

Schach ist deshalb für ein KI-Programm das einfachere Spiel. Es ist komplett definiert, d.h. die Informationsmenge, die im Spiel ist, ist sehr klein, klar offengelegt und klar begrenzt. Beim Jassen ist all das nicht der Fall.


Dies ist ein Beitrag zum Thema künstliche Intelligenz. Im zweiten Teil zum Thema Spiele und Intelligenz werde ich auf Go und Deep Learning eingehen.